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Die Achse Moskau—Peking

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Während die Sowjetunion an ihrer europäischen Front außenpolitisch hoch aktiv ist, hört man von ihren asiatischen Grenzen kaum etwas. Die russisch-chinesischen Beziehungen entwickeln sich beinahe unter jedem Ausschluß der Oeffentlichkeit. Trotzdem steht es fest, daß die innerchinesische Entwicklung und damit auch die russisch-chinesischen Beziehungen für künftige Jahrhunderte das Schicksal der gesamten Menschheit beeinflussen Werden. Ddt'ScKä't-"ten des riesig großen Reiches der Mitte mit seinen über 6O0 Millionen Einwohnern‘ fördert geradezu zu politischen und entwicklungsgeschichtlichen Spekulationen heraus. Oft ist dabei der Wunsch der Vater des Gedankens. Es ist die gewaltige, heute einer diktatorischen Zentralgewalt unterworfene Menschenmasse, welche die Phantasie anfeuert. Man errechnet sich nicht mit Unrecht, daß bereits in greifbar naher Zeit diese Bevölkerung bis zu einer Milliarde ansteigen wird, und hofft, daß man auch in Moskau rechtzeitig diese drohende Gefahr erkennt und dann in die Front der weißen Rasse einschwenkt. Mit verstärkter Aufmerksamkeit beobachtet man also das sowjetisch chinesische Verhältnis in der Hoffnung, schon jetzt Sprünge in diesem festen kommunistischen Block feststellen zu können.

So bestechend die obige Konstruktion ist, so ist sie doch nicht mehr als eine Hypothese ohne alle Kenntnisse der in Frage stehenden Realitäten. Richtig ist nur, daß die Bevölkerungszahl Chinas sehr stürmisch zunimmt. Das .ist durch eine ,bestimmte Eigenart jedes kommunistischen Regimes erklärlich. Setzt auch eine nur leiseste medizinische Betreuung ein, sei es auch nur durch wenig ausgebildete Schwestern oder Hebammen, oder auch nur durch eine mehr oder weniger geschickte hygienische Aufklärung der Bevölkerung, sofort nimmt die Säuglingssterblichkeit ab und dank dem gewaltigen Multiplikator beginnt die Bevölkerungszahl rasch anzusteigen. Dieser Vorgang ist jetzt in China festzustellen.

Doch dieser rasche Zuwachs der Bevölkerung — und hier ist der Fehler der laienhaften Beobachtungen — muß nicht unbedingt zu einer Uebervölkerung im volkswirtschaftlichen Sinne führen. Uebervölkerung ist nicht schon dann vorhanden, wenn eine bestimmte Anzahl von

Menschen auf einem Quadratkilometer lebt, sondern erst dann, wenn die wirtschaftliche Struktur nicht mehr der Bevölkerungsdichte entspricht. Vor dem zweiten Weltkrieg war es ein Axiom, daß die Uebervölkerung Japans dieses dazu zwinge, auf dem asiatischen Festland neues Land für seine überschüssigen Volksmassen zu erobern. Das war damals die berühmte japanische Gefahr für alle Staaten und Länder am Rande des Pazifiks. Heute hört man kaum mehr davon. Wenn man mit gebildeten Japanern spricht, so erklären sie einem frank und frei, das wäre nur ein Propagandaslogan der damaligen Regierung gewesen. Die sich entwickelnde japanische Industrie sei noch für lange fähig genug, weitere Arbeitskräfte aufzunehmen. Darüber hinaus gebe es auch in Japan noch weite unbesiedelte oder nur wenig besiedelte Gebiete, die natürlich mit großen Investitionen kolonisiert werden könnten.

Dasselbe gilt heute von China. Der Grund der chinesischen Uebervölkerung ist die extensive, veraltete Landwirtschaft, die sehr langsame Entwicklung seiner Industrie, die in weiten Gebieten überhaupt ganz fehlt. Die chinesischen Kulis, welche sich in die Plantagen außerhalb Chinas anheuern ließen, kehrten beinahe alle wieder in die Heimat zurück. Für China, ob kommunistisch oder nicht, besteht darum das Problem im sehr raschen Aufbau einer Industrie. Bis jetzt gibt es ja nur in der Mandschurei und an den Küsten ansehnliche Industriebetriebe. Der Zwang zur raschen Industrialisierung bildet auch das eigentliche innen- und außenpolitische Problem Chinas.

Neben der Industrialisierung, welche das Bevölkerungsproblem wesentlich zu lindern vermag, stehen als weitere Reserve jene Gebiete zur Verfügung, die in chinesischer Sprache seit jeher als Rand- oder Außengebiete des Reiches bezeichnet wurden. Hier gibt es weite Räume. Im sogenannten Westchina, allein in der Provinz Sinkiang, die erst jetzt einer zentralchinesischen Regierung unterstellt ist, gibt es heute noch weite, sehr schwach besiedelte Gebiete. Auf einer Fläche von 1,5 Millionen Quadratkilometern wohnen keine viereinhalb Millionen Einwohner. Dabei ist Sinkiang nicht nur ein fruchtbares landwirtschaftliches Gebiet, sondern auch sehr reich an Bodenschätzen, so daß jetzt schon mit dem Ausbau eines riesigen Industriegebietes begonnen worden .ist. Auch die jüngsten Ereignisse in Tibet erklären sich zum großen Teil dadurch, daß die chinesische Regierung begann, in beschleunigtem Tempo Osttibet für eine große chinesische Einwanderung reif zu machen.

Die Ansicht also, daß der Druck der chinesischen Lieberbevölkerung sich einmal notwendig gegen Rußland wenden müsse, ist sicher nicht richtig. Sehr viele der in China selbst noch unbewohnten Gebiete bedürfen natürlich großer Investitionen, um sie als Siedlungsgebiet herzurichten. Das ist jedoch auch in Sibirien der Fall. Die Russen sind die ersten Europäer, die mit den Chinesen in ein nachbarliches Verhältnis gelangten. — Obwohl die Russen bei ihrem Vormarsch nach Osten immer mehr damals nominell chinesisches Gebiet besetzten, machten die Chinesen jahrhundertelang nicht die leiseste Anstrengung, um dieser russischen Gefahr zu begegnen. Eine einzige kriegerische Aktion begleitete dieses über zweihundertjährige Vordringen, als die Chinesen im 17. Jahrhundert die am Amur auf chinesischem Gebiet erbaute russische Stadt Albasin zerstörten. Jedoch knapp ein Jahrzehnt später gestatteten sie ruhig wieder den Russen deren Aufbau.

Der einzige Stein des Anstoßes zwischen den beiden Weltmächten kann nur die mongolische Volksrepublik sein. Gemeint ist die sogenannte äußere Mongolei mit 1,6 Millionen Quadratkilometern und 850.000 Einwohnern. Diese Volksrepublik ist bekanntlich von den Russen eingerichtet worden und hat sich seither stark entwickelt. Lange Jahre anerkannte dabei der Kreml die chinesische' Oberhoheit, nicht aber die Mongolen selbst. Im letzten Vertrag, den Tschiangkaischek mit Stalin schloß, anerkannte China endlich die mongolische LInabhängigkeit. — Die rSowjefs übernahmen keinerlei Verpflichtungen. Im Vertrag, den nach monatelangen

- Verhandlungen Mao mit Stalin abschloß, waren auch die Russen gezwungen, nicht nur aus

Stalin regelt überhaupt für viele Jahrzehnte das russisch-chinesische Verhältnis. Mao hat damals erreicht, daß Stalin alle russischen Interessen in der Mandschurei und"Sinkiang, die er eben im Vertrag mit Tschiangkaischek erworben hatte, ebenso wie das Pachtgebiet von Port Arthur wiederum preisgab. Gleichzeitig sah der Vertrag die russische LInterstützung für die chinesische • Politik in Asien vor und den Bündnisfall, falls China angegriffen wird. China ist jedoch nicht verpflichtet zur Unterstützung der russischen Politik oder zur Teilnahme an einem außerasiatischen Krieg.

Auch parteipolitisch wurde die eurasische Welt geteilt. Moskau blieb das-kommunistische Weltzentrum für die ganze Welt mit Ausnahme jedoch von Asien. Die rein mohammedanischen Gebiete Asiens allerdings blieben einstweilen unter russischer weltrevolutionärer Einflußsphäre. Das rote China trat also seinerzeit nicht der Kominform bei und auch nicht später dem Warschauer Block. In einer ganzen Reihe von Aktionen mußte aber, die Sowjetunion die chinesische Politik in Asien sehr aktiv unterstützen. Der Druck, der wirtschaftlich auf China lastet, hat es jetzt veranlaßt, aktiver an der Seite Rußlands aufzutreten. Die Chinesen beteiligten sich nicht nur an diversen Konferenzen der Ostblockstaaten, sondern Peking intensiviert auch seine: diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den europäischen Volksdemokratien. Und schließlich erklärten die Chinesen, und zwar in Warschau, daß China die Oder- Neiße-Grenze militärisch zu verteidigen helfen werde. Das Ziel dieser Aktivität ist klar: Der westlichen Welt soll vordemonstriert werden, daß die ganze kommunistische Welt ein einheitlicher Block ist. Das stärkt natürlich die sowjetisch-diplomatische Position, doch noch mehr nützt es dem roten China. Das Auftreten auf europäischem Boden im Gefolge Rußlands soll die Westmächte dazu zwingen, doch mit Peking direkt zu sprechen.

Es ist also bloßer Wunschtraum, wenn man statt einer Stärkung der Achse Moskau-Peking eine Schwächung der Zusammenarbeit dieser , beiden kommunistischen Großmächte erwartet. Die Ignorierung des gewaltigen Chinas, womit man sich auch jedes Einflusses auf die Entwicklung daselbst beraubt, hat zur Stärkung dieser Achse geführt.

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