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Die „Affäre“ Sixtus

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Am 23. März 1917 rollte ein Autc durch ein geöffnetes, aber unbesetztes Tor in den Hof des Schlosses Laxenburg südlich von Wien. Seine Insassen waren die beiden Brüdei der Kaiserin Zita, Prinz Sixtus unc Prinz Xavier von Bourbon-Parma und einer der Adjutanten Kaisei Karls von Österreich, Rittmeister Graf Erdödy von der Feldgendarmerie. Der Hofstabsadjutant geleitete die Gäste zu dem Kaiserpaar, das sie im Salon erwartete. Damit erreichte eine von Kaiser Karl schon vor Monaten eröffnete Aktion zur Beendigung des ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt.

Was war diesem mm fünfzig Jahre zurückliegenden Schritt vorausgegangen?

Vom militärischen Standpunkt aus hatten sich die vier Zentralmächte Deutschland, Österreich-Ungarn, die Türkei und Bulgarien 1916 im ganzen in der Verteidigung behauptet, nur die Türkei hatte größere Einbußen erlitten. In Europa hatten die beiden Kaisermächte eine fast das ganze Jahr 1916 währende russische Offensive nach großen Anfangserfolgen gehalten, am Isonzo war zwar Görz verlorengegangen, die Front aber nicht durchbrochen worden, der Uberfall Rumäniens hatte zur völligen Niederwerfung dieses Landes geführt und auch die Westfront stand. Die USA hatte sich freilich der Entente bereits stark genähert, ihr Eintritt in den Krieg war recht wahrscheinlich, anderseits zeigte Rußland die ersten Ermüdungserscheinungen.

Man hat oft behauptet, es habe In dieser Frage ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Kaiser Karl, dem eifrigsten Vertreter des Friedensgedankens, und seinen deutschen Verbündeten, Kaiser wie Kanzler, bestanden. Angeblich sollen die Deutschen auch damals noch auf einen Sieg im normalen Sinne gehofft haben. Aus der Darstellung des letzten Biographen Kaiser Karls, Reinhold Lorenz, geht jedoch deutlich hervor, daß es sich eigentlich nur um einen Unterschied der Gangart handelte. Die deutsche Reichsleitung lehnte den Verständigungsfrieden nicht ab, glaubte jedoch nicht an die Friedensbereitschaft der Gegner und wollte durch militärische Angriffsunternehmungen erst einen Stimmungsumschwung im feindlichen Lager herbeiführen, ehe verhandelt werden konnte. Der Kaiser von Österreich fühlte die Gefahren, die nicht nur seinem Staat, sondern der ganzen Welt drohten, weit stärker und wollte daher keine Zeit verlieren und kein Mittel unversucht lassen. Sein Einfluß stand bereits hinter dem Frie-

densangebot, das die Mittelmächte auf Anregung des österreichischungarischen Außenministers Baron Burian von Rajecz am 12. Dezember 1916 an die Entente richteten. Es war eine ganz allgemein gehaltene Aufforderung zu Verhandlungen, aus der allenfalls die Absicht, einfach den Vorkriegszustand wieder herzustellen, herausgelesen werden konnte. Der französische Ministerpräsident Briand erklärte das Angebot jedoch als Manöver, um unter den Alliierten Uneinigkeit hervorzurufen und die Bevölkerungen von ihren Regierungen zu trennen. Er müsse das französische Volk vor „Vergiftung“ bewahren! Als Präsident Wilson am 21. Dezember 1916 in einer an alle Kriegführenden und die Neutralen gerichteten Note Sondierungen über die Friedensbedingungen vorschlug, entgegnete Briand am 10. Jänner 1917 im Namen aller Alliierten, diese kämpften nicht für sich, sondern für die Menschheit; ein Friede, der ihnen die nötigen Sicherheiten und Bürgschaften biete, sei jedoch derzeit noch unmöglich.

Anderseits hatte die deutsche Kriegsleitung entgegen den Warnungen Kaiser Karls und auch Bethmann-Hollwegs die „letzte Karte“ ausgespielt und den uneingeschränkten U-Boot-Krieg beschlossen, obgleich der Eintritt der USA in den Krieg nach diesem Schritt mit Sicherheit zu erwarten war.

Dies war die für Friedensbestrebungen wahrlich nicht ermutigende, aber eben deshalb besonders bedrohliche Lage, als Kaiser Karl am 21. Jänner 1917 den k. u. k. Militärattache in Bern, Oberst William von Einem, empfing, ihm erklärte, er wolle die Friedensbereitschaft der Gegner erkunden und sich dazu seiner beiden Schwäger Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma bedienen, und ihn um Vorschläge zur Verwirklichung dieser Pläne ersuchte. Auf Grund der Anträge von Einems reiste der schon erwähnte Rittmeister Graf Erdödy nach Neu-chätel in der Westschweiz, begegnete dort den beiden Prinzen und lud sie nach Wien ein. Wer waren diese Herren aus alter Familie, denen hier eine möglicherweise weltgeschichtlich entscheidende Rolle zufallen konnte? Der jüngere von ihnen, Prinz Xavier, war noch nicht stark hervorgetreten; der ältere jedoch, Prinz Sixtus, war in der politischen wie in der wissenschaftlichen Welt kein Unbekannter mehr. Er hatte erfolgreich an geographischen Expeditionen teilgenommen und in Frankreich mehrere historische Werke und zahlreiche Zeitungsartikel veröffentlicht. Obgleich als Sohn des letzten regierenden Herzogs von Parma, Robert (geboren 1848, gestorben 1907, Regent unter der Vormundschaft seiner Mutter 1854 bis 1860) aus einer 1748 abgezweigten Nebenlinie des spo-nischen Bourbonenhauses stammend fühlte sich der streng konservativ gesinnte Herr als französischer Patriot und Fortsetzer der Traditionen der ausgestorbenen älteren Linie des französischen Königshauses. Beziehungen zu Italien hatte er ebensowenig wie seine Schwester, die Kaiserin von Österreich — hatte doch beider Vater durch das Risor-gimento den Thron verloren! Wenn er sich jetzt den Friedensbemühungen Kaiser Karls zur Verfügung stellte, so geschah es im Sinne jener französischen konservativen Politik, die er bereits am 10. Jänner 1916 im Pariser „Correspondant“ erörtert hatte. Hier sieht er in einem erneuerten Österreich-Ungarn einen künftigen unentbehrlichen Bundesgenossen Frankreichs gegen das deutsche Ubergewicht in Europa und betont, die Monarchie dürfe nicht zerstört, sondern müsse unbedingt erhalten werden. Dabei besteht kein Zweifel, daß sich sein politisches Ziel mit dem Kaiser Karls nicht deckte. Der Kaiser wollte einen allgemeinen Frieden im Einvernehmen auch mit Deutschland, das ebenso wie Österreich-Ungarn gewisse Opfer bringen sollte. Prinz Sixtus dagegen kam es auf ein selbständiges Vorgehen Österreich-Ungarns im Einvernehmen mit Frankreich an, wobei nötigenfalls das Bündnis mit Deutschland gebrochen werden sollte. Offenbar in dieser Absicht entwarf der Prinz noch im Februar 1917 ein Manifest für seinen kaiserlichen Schwager, das die einseitige Einstellung der Feindseligkeiten, auch ohne Rücksicht auf die Verbündeten und bedeutende Konzessionen ankündigen sollte. Daß der Kaiser von diesem Entwurf keinen Gebrauch machte, widerlegt bereits hinlänglich den auch heute noch immer nicht verstummten Vorwurf des „Verrates am Bundesgenossen“ doch ohne eigentlichen Beweis.

Ehe wir die Begegnung in Laxenburg selbst darstellen, muß noch ein bis heute nicht völlig gelöstes Problem erwähnt werden: die Schweigsamkeit Kaiser Karls gegenüber seinem Außenminister Ottokar Graf Czernin von Chudenitz. Der Minister unterschied sich von seinem Souverän vor allem in der Weltanschauung: er war liberal bis zum Atheismus. Dennoch war er kurz nach dem Thronwechsel zum Außenminister ernannt worden, da er sich als Botschafter in Bukarest durch zutreffende Berichte bemerkbar gemacht hatte. Politisch gesehen, war er ein Diplomat alter Schule, der durch das Ausbalancieren der Machtverhältnisse zu einem dauerhaften Frieden gelangen wollte. Es ist zu betonen, daß in der Frage, ob Frieden geschlossen werden sollte, keinerlei Gegensatz zwischen dem Kaiser und ihm bestand. Ja, er hatte über diie Zukunft der Mittelmächte noch weit pessimistischere Vorstellungen als der Monarch und äußerte diese Gedanken auch unverhohlen seinem deutschen Kollegen Bethmann-Hollweg gegenüber, um ihn zu Friedensverhandlungen zu drängen. Dennoch unterrichtete ihn der Kaiser über seine Absicht, eine Besprechung mit Prinz Sixtus herbeizuführen, nur in so allgemeiner Form, daß der Graf annahm, die Initiative sei von Frankreich ausgegangen. Kaiser Karls Motiv dabei war wahrscheinlich der Wunsch nach besserer Geheimhaltung des Unternehmens.

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