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Die „akademische” Insel

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Es hat nicht den Anschein, daß die recht mühevoll zustandegebrachten Sprachgesetze und die „ewige” Sprachgrenze in Belgien die streitenden Brüder leruhigen und den inneren Frieden herstellen. „Die unterdrückte Mehrheit”, wie Expremier L efivre den flämischen Teil des Landes einmal treffend benannt hat, will sich nicht dareinfügen, daß durch die systematischen Angriffe auf ihren Volksbestand die Früchte eines langjährigen Kampfes zuletzt doch noch verlorengehen.

Der Streit konzentrierte sich bisher vor allem um die Hauptstadt Brüssel. Dieses schnell wachsende Städteagglomerat, wo der Hof, die Ministerien und administrativen Ämter, Elite und „haute finance” die französische Sprache in der Verwaltung und Wirtschaft wie im gesellschaftlichen Verkehr weitaus bevorzugen und wo das Superioritäts- gefühl und eine verfeinerte Lebenskunst in diesen Kreisen eine Art Herrenmentalität herangezüchtet haben, ist angesichts des für diese Stadt gesetzlich anerkannten Prinzips der Zweisprachigkeit durchaus in der Lage, die neuen Sprachgesetze zu umgehen und zu sabotieren. Und man nützt die Chancen, die zum Beispiel der Prozentsatz der Schulen (nur 20 Prozent sind flämisch) und der Umstand, daß sechs rein flämische Randgemeinden der Metropole einverleibt wurden, reichlich bieten, gründlich aus.

Der „Löwen-Anteil”

Mittlerweile entbrannte der Sprachkampf auch an der Löwenschen Universität in aller Heftigkeit. Die Alma mater, gegründet im Jahre 1426, war, wie in diesem Lande nicht anders zu erwarten ist, seit eh und je eine Hochburg französischer Sprache und Kultur. Noch vor einem halben Jahrhundert erklärte eine hohe Autorität wie Kardinal Mercier, der einst weltbekannte Erzbischof von Mecheln, die flämische Sprache sei für den akademischen Unterricht ungeeignet. Die Emanzipierung von Flandern und die Aufwertung seiner Sprache schritten indessen so weit voran, daß während der letzten 30 Jahre in zunehmendem Maße Lehrgänge und Vorlesungen auf Flämisch abgehalten werden konnten. Heute bevorzugt etwa die Hälfte der 20.000 Studenten die flämischen Kollegien. Die Universität ist somit eine zweisprachige, wenn auch der Geist französisch und der Rector magnificus sowie ein Großteil der Professoren Wallonen sind.

Stachel im Fleisch

Die Stadt Löwen freilich, und da liegt der Hund begraben, ist eine flämische Stadt, wo nach den Sprach- gesetzen offiziell nur die niederländische oder die flämische Sprache Kelten soll. Die teils franzrisiarhsprachige Universität mitsamt dem Stadtviertel, wo die Professoren und Studenten wohnen, bilden eine fremdsprachige Insel im flämischen Land, und das stempelt Löwen mehr oder weniger zu einer zweisprachigen Stadt, als welche nur Brüssel ausersehen wurde. Es war für den belgischen Episkopat, der den in Löwen bestehenden Status um jeden Preis aufrechterhalten möchte, weil es sich hier um die einzige zweisprachige katholische Universität Belgiens handelt, nicht schwer, bei der Regierung für Löwen eine Ausnahmeposition zu erwirken. Schwerer dürfte es sein, die unitäre Universität angesichts der scharfen Forderungen der Flamen auf die Dauer zu behaupten.

Die Entwicklung schreitet weiter und erfordert nach Ansicht der Flamen nunmehr die vollständige Autonomie der niederländischsprachigen Abteilung. Das würde wohl die absolute Spaltung der Universität bedeuten. Wenn es einmal so weit wäre, hätten die französisch- sprachigen Fakultäten in der flandrischen Stadt überhaupt keine Daseinsberechtigung mehr. Die zweite Forderung lautet denn auch folgerichtig: Versetzung der französischsprachigen Abteilung nach Wallo- nien. In erster Linie handelt es sich bei diesen Fragen um eine Auseinandersetzung zwischen flämischen Professoren und Studenten einerseits und den belgischen Bischöfen anderseits.

Ein propagandistischer Umzug am 15. Dezember, an dem sich 8000 flämische Intellektuelle beteiligten, brachte denn auch Vorwürfe an die Adresse der belgischen Bischöfe in Zusammenhang mit dem Konzil, wie etwa: „In Rom progressiv, in Belgien äußerst konservativ.” Professoren und Studenten drohten mit der Einstellung des Unterrichtes, falls die von ihnen empfohlene Lösung nicht ernsthaft geprüft und möglichst bald versucht würde.

Logisch und plausibel erscheint auf den ersten Blick der Vorschlag des Bischofs von Brügge, die zweisprachige Universität in ihrer Gesamtheit nach der zweisprachigen

Stadt Brüssel zu versetzen, und dies zwar um so mehr, weil Flandern in Gent über eine rein flämische Universität eigenmächtig verfügen kann. Bedenkt man aber, wie wenig Brüssel seiner hohen Berufung als Haupt und Herz des mehrsprachigen Staates gerecht wird, wie ausgerechnet diese Stadt immer wieder das Mißtrauen und den Widerwillen der Flamen herausforderte, so wird man kaum eine berechtigte Hoffnung hegen dürfen, daß diese Lösung des Problems bei den Flamen auch nur eine geringe Chance hat. Man muß aber befürchten, daß die „Franskil- jons” nicht mehr lange in Löwen geduldet werden.

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