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Die andere Fakultt

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Durch die Liquidation der Positionen des sogenannten deutschvölkischen Lagers in Oesterreich entstand ein Vakuum. Die heimatlos gewordenen nationalen Intellektuellen empfanden das Fehlen einer ihrer Tradition gemäßen Gemeinschaft, insbesondere aus ökonomischen Gründen, als unangenehm. Auf katholischer Seite bestand keine Auffangorganisation. Die vorhandenen Verbände waren in sich geschlossen, nahmen wohl Jungakademiker auf, aber keine Altakademiker. Besteht doch erst seit einigen Jahren und auch nur in einigen Diözesen ein offener katholischer Akademikerverband.

Dagegen erkannte man auf sozialistischer Seite die einmalige Chance, gewichtige Teile einer ganzen Gesellschaftsschichte, nämlich der Intellektuellen, dem Sozialismus vorerst zu verpflichten und später zum Kern einer neuen sozialistischen Wirtschaftsgesellschaft zu machen. Mit der Bildung der Regierung 1949 wurde erst der spezifisch österreichische Etatismus geschaffen und in einem gewissen Sinn von „bürgerlicher“ Seite legitimiert, ein Umstand, den man heute gerne vergessen machen will. Die SPOe wurde in weiten Bereichen der österreichischen Wirtschaft der Dienstgeber. Im Sozialversicherungswesen — besser bei den Krankenkassen — war sie es schon bisher, und dies auch unter faktischer Duldung der ebenfalls in den Führungsgremien der Sozialversicherungsinstitute vertretenen Unternehmer.

Schon am 2. Juni 1946 war der BSA (Bund Sozialistischer Akademiker, Intellektueller und Künstler) errichtet worden. Er besteht aus einem glaubenssozialistischen kleinen Kern, den es immer bei den Sozialisten gegeben hat, wenn auch heute die jüdische Intelligenz weitgehend fehlt und damit jene Gruppe, die dem Austro-marxismus Weltruhm zu verschaffen verstand. Daneben gibt es eW große Gruppe von Liberalen, von NS-F!iichtlJn<en (die iede Partei hat) und schließlich die rroße Schsr jener Intellektuellen, die der SPOe wirtschaftlich verpflichtet ist, deren Denken sich also (im Sinne marxistischer Annahmen) als ein Reflex ökonomischer Daten zeigt. Von jenen BSA-Angehöri-gen, die nur dem Schein nach Sozialisten sind, wollen wir absehen. Ihre Zahl ist, entgegen den Vermutungen auf nichtsozialistischer Seite, sicher nicht groß.

Die Bedeutung des BSA kann nicht hoch genüg eingeschätzt werden. Vor allem, weil auf nichtsozialistischer Seite keine gleich gut organisierte Gruppe von Intellektuellen besteht, ganz abgesehen davon* daß die meisten Akademikergruppen, die gegen die SPOe stehen, überwiegend Staatsbeamte (und jene, die es werden wollen) umfassen. Daher ist das Gewicht des BSA ein ganz anderes als der verschiedenen Akademikerbünde, die zum Teil den Charakter von Gewerkschaftssurroeaten haben, also keine politische Potenz darstellen.

Neben dem BSA gibt es noch andere Gruppen

1946 1947 1948

Einzelmitglieder ...... — 12 19

Aerzte .............. 483 835 1216

Hochschullehrer ...... — 11 32

Ingenieure ........... 317 544 762

Journalisten .......... 290 298 358

Juristen ............. 239 274 417

Künstler ............ 65 86 123

Mittelschullehrer ...... 50 88 170

Pharmazeuten ........ — — —

Tierärzte ............ — — —

Wirtschafter ......... 129 174 236

Gesamt ............. 1573 2312 3333 von Intellektuellen in der SPOe, so daß man drei Gruppen unterscheiden kann:

1. Die Jungakademiker; 2. die Altakademiker und 3. die Nichtakademiker, die in Intelligenzberufen tätig sind.

1. Die Jungakademiker

Die Position des Verbandes Sozialistischer Studenten Oesterreichs, der nach eigenen Angaben zu zwei Dritteln aus Werkstudenten besteht, ist schwach. Solange man studiert, scheint es den meisten noch nicht geboten zu sein, zur SPOe zu gehen. Das ist die Meinung jener Studenten, die potentiell zum Einflußbereich des BSA gehören. Im Jahre 1947 erhielt der Verband noch 25 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei den letzten Hochschulwahlen waren es nur noch zirka 12 Prozent.

Mitgliederzahlen: Wien 518, Graz 124 und Innsbruck 28.

2. Der BSA

Von 1947 auf 1954 ist der BSA von 1574 auf 9286 Mitglieder gestiegen, also um das Sechsfache. Der eigentliche Machtanstieg beginnt mit der Konstitution der zweiten Regierung Figl. Gehörten 1949 1030 Ingenieure zum BSA, waren es 1954 schon 2349. Daneben verläuft die gewaltige Masse der Aerzte, deren Zahl zwischen 1947 und 1954 von 835 auf 2859 vermehrt werden konnte, ein Beweis dafür, daß vor allem die Jungärzte weitgehend davon ausgehen müssen, daß ihnen fast allein von sozialistischer Seite wirksame Hilfe zuteil werden kann, während auf nichtsozialistischer Seite kaum noch ein Ansatz für eine systematische Unterbringung von Aerzten auf geeigneten Posten besteht, am schwersten wohl bei Gebietskrankenkassen ...

Es ist eine sehr billige Taktik, das Anwachsen der Sozialisten im Bereich der Akademiker zu bagatellisieren und darauf hinzuweisen, daß der BSA seine Kraft einfach aus der Tatsache beziehe, daß ihm Posten in großer Zahl geradezu legitim rur Verfügung stehen. Dabei wollen wir ganz davon absehen, daß die Behauptung, der BSA verschaffe seinen Mitgliedern Posten, nicht gegen, sondern für den BSA spricht. Soweit eine Akademikerorganisation nicht allein spirituellen Charakter hat, gehört eben die Betreuung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder auch zu ihren Aufgaben. Der BSA ist eben eine von der Masse der Akademiker als wirksam anerkannte Organisation. Vielleicht die beste, über welche die SPOe heute verfügt. In fast allen anderen Berufsgruppen ist ein relativer Rückgang des sozialistischen Einflusses festzustellen. Auch bei den Bauern (nicht den Halbbauern, deren soziale Position nicht festzulegen ist).

Aufgegliedert zeigt der BSA im Zeitvergleich und geordnet nach Berufsgruppen folgende Entwicklung:

1949 1950 1951 1952 1953 1954 28 109 154 167 208 196

1689 2042 2278 2541 2758 2859 37 42 37 48 52 52

1030 128p 1560 1865 2145 2349 371 322 342 353 427 443

'588 726 911 1044 1156 1243

169 222 249 278 255 270

214 660 748 829 88C 930

— — 66 96 108 113

- - 70 92 106 112 324 413 501 599 646 719

4450 5816 6916 7912 8741 9286

Ab 1953 ist also eine wenn auch nicht sehr erhebliche Verlangsamung des Wachstums sichtbar, offensichtlich, weil eine Sättigung in der Erfassung eingetreten ist.

Die Tätigkeit des BSA zeigt sich vor allem in beruflicher Hinsicht. Die einzelnen Berufsgruppen sind bundeseinheitlich zusammengefaßt. Darauf beruht die ausgezeichnet funktionierende Stellenvermittlung, deren Tätigkeit um so intensiver ist, je mehr sie gegen die vielbemühte ,,ProtektionsWirtschaft“ des CV Stellung nimmt.

In den letzten Jahren bemerkt man ein Uebergreifen der Tätigkeit des BSA auf die Erfassung der Mittelschuljugend (etwas Aehnliches konnte man nach dem ersten Weltkrieg für den CDSB feststellen). So wurde die Gründung des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler nachhaltig vom BSA gefördert. Wie dankbar wären die katholischen Mittelschüler, wenn sie gleiche Förderung von katholischen Akademikergruppen erführen (eine Ausnahme bildet der MKV).

Die Funktionärsschulung scheint intensiviert zu werden bis hin zu Internatskursen. So trafen sich im letzten Berichtsjahr in Salzburg 400 BSA-Funktionäre zu einer Tagung. Ebenso fand im Heim der Metall- und Bergarbeiter in Feichtenbach eine Funktionärsschulung statt.

Als Zeitschrift gibt der BSA den „Sozialistischen Akademiker“ heraus, der 1954 in neun Ausgaben mit einer Gesamtauflage von zirka 156.000 Stück erschien.

3. Der Sozialistische Lehrerverein Oesterreichs

Der SLV kann auf eine sechzigjährige Tradition zurückblicken. Derzeit güfilt er 10.822 Mitglieder. Auch bei den sozialistischen Lehrern zeigt sich ein stetiges, wenn auch keinesfalls augenfälliges Wachstum. Freilich konnte der Lehrerverein in einigen Bundesländern noch kaum Fuß fassen (Tirol, Burgenland und Vorarlberg, wo er nur ein einziges Mitglied hat).

Von 50.308 in öffentlichen Lehranstalten und den 3948 in privaten Unterrichtsanstalten tätigen Lehrkräften (einschließlich Religionslehrern und den nebenberuflich beschäftigten Lehrkräften) sind also ungefähr 20 Prozent sozialistisch organisiert. Am meisten bei den Berufsschullehrern (58 Prozent), zu denen aber nicht die Lehrer an den technischen Mittelschulen zu rechnen sind, wie dies oft geschieht.

Von den 409 Berufsschullehrern in Wien sind 366, das sind zirka 90 Prozent, bei den Sozialisten, in der „schwarzen“ Steiermark sind es gar 95 Prozent. Auch ein Proporz. Die geringsten Mitgliederziffern weist die Gruppe der Kindergärtnerinnen auf (17,4 Prozent), bei den Pflichtschullehrern sind es 31,9 Prozent und bei den Mittelschullehrern 20,9 Prozent (davon sind 781 im SLV und 930 im BSA). (Es wäre interessant, zu erfahren, wieviel Mittelschullehrer christlich organisiert sind.) Von den 1850 Mittelschullehrern, die Wien hat, sind 5 80 bei den Sozialisten.

Die vorliegenden Ziffern über die Erfassung der Intelligenz durch die Sozialisten vermitteln eine Einsicht in eine Entwicklung, die auch den Christen zu denken geben sollte. So ist der BSA heute unbestritten die stärkste und noch mehr die einflußreichste Organisation der Akademiker. Was ihm auf katholischer Seite gegenübersteht, ist nicht unbedeutend, hat jedoch zu sehr traditionellen oder nur-spiritucllen Charakter. Der katholische Akademiker etwa in der Provinz ist ein Einsamer, wenn er nicht irgendwo korporiert gewesen und so Mitglied eines Zirkels ist. Wir haben es schon einmal in unserem Vaterland erlebt, daß die Christen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, daß der Christ im Berufsleben — eben weil er Christ war — kein Fortkommen fand. In Richtung auf eine solche Entwicklung befinden wir uns. Ist es nicht grotesk, daß in einem Wiener Klosterspital ein katholischer Arzt, der sich um eine Stelle bewerben wollte, davor gewarnt wurde, seine Zugehörigkeit zu einem katholischen Akademikerverband einzugestehen? Ist es nicht heute wieder ein Vorzug, entweder nirgends dabei („unpolitisch“, „überparteilich“ u. ä.) zu sein, um in der Weit etwas zu gelten? Wobei interessanterweise in der großen Gesellschaft die Zugehörigkeit zum BSA keineswegs eine Abstempelung darstellt, sondern die Demonstration eines neuen, besonders strukturierten Liberalismus. Das ist ein Faktum, das man auch nicht mit dem billigen Hinweis auf gewisse scheinbare Positionen, die heute dem Christen auch offen ^ind, entkräften kann.

Die Ziffern zeigen uns auch noch, wie sehr es not tut, daß die Christen unter den Akademikern erkennen, daß es ihnen aufgegeben ist, eine alle Bünde und Verbände überdachende Gemeinschaft der christlichen Akademiker zu schaffen, die offen ist auch denen, die zufällig keine Mitgliedskarte zum Beweis ihrer weltanschaulichen Qualität vorlegen können.

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