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Die Antwort auf die große Schuldfrage

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Der geflissentlich schon durch Pasic verbreiteten Darstellung des Attentates von Sarajewo als eines Verbrechens, für das Serbien in keiner Weise verantwortlich gemacht werden könne, da die Täter Staatsbürger Oesterreich-Ungarns gewesen seien, setzte der Anwalt die Feststellung entgegen, daß es ja ein Serbe, Dimitri- jevic, war, ein Serbe von Rang in der Armee, der schon nach Abschluß der Vorbereitung des Balkankrieges eine „Aktion im Norden und Westen" in den zu Oesterreich-Ungarn gehö-

rigen Gebieten begann, weil er in Oesterreich den Hauptfeind für die Unabhängigkeit des serbischen Staates und das Haupthindernis für die Durchführung der nationalen Vereinigung sah. Besonders in Thronfolger Franz Ferdinand und seinen politischen Reformplänen meinte er die große Gefahr erblicken zu müssen.

„Für seine Aktion" — fuhr Anwalt Doktor V a s i 1 j e v i c fort — „warb Apis die geeigneten Leute, Dank des gegenwärtigen Prozesses wissen wir heute um die wichtigsten und bedeutendsten Einzelheiten dieser Tätigkeit. In der Organisierung des Attentates von Sarajewo arbeitete Apis mit dem serbischen Spion Malo- babic Hand in Hand und auch mit Voja Tan- kosic und Ljuba Vulovic. Bis heute meinte man, das Sarajewo-Attentat sei von Seiten der revolutionären bosnischen Organisation -„Mlada Bosna", also von einer Organisation im Räume der österreichisch-ungarischen Monarchie, in Szene gesetzt worden und nur unter Beihilfe der „Narodnä Odbrana".

„Von heute ab muß man jedoch dies Ansicht, in der Geschichtsschreibung vorherrschend, revidieren, denn im gegenwärtigen Prozeß wurde eindeutig erhärtet, daß der Hauptorganisator des Sarajewoer Attentates, Apis, und ebenso seine Mithelfer Malobabic, Tankosic und Vulovic aus Serbien stammten.“

Das Urteil des Revisionsprozesses kam dann auch in Erwägung aller erhobenen Tatbestände zu dem Schluß, der Regierung sei diese Tätigkeit des Bundes „Vereinigung oder Tod" s o- wohl direktwieindirektbekannt gewesen. Ausdrücklich wurden in dieser Verbindung der serbische Thronfolger und die Ministerpräsidenten Milanovic und Pasic genannt.

Das Urteil mündete in den kapitalen Satz:

Die Staatsorgane benützten den Bund „Die schwarze Hand“ zur Erreichung ihrer außenpolitischen Ziele sowohl gegen die Türkei als auch gegen Oesterreich-Ungarn.

Diese Feststellungen eines serbischen Gerichtes sind Aussagen über das Wesentliche der Schuldfrage.

Man kann jetzt nur noch im Interesse einer bis ins Letzte gehenden geschichtlichen Feststellung wünschen, daß das von dem alten Jugoslawien 1928 abgegebene Versprechen, die serbischen Archive eröffnen und die diplomatischen Akten von 1903 bis 191 4 der geschichtlichen Forschung aufschließen zu wollen, nunmehr ohne langes Zögern eingelöst werde. Die Hauptfragen sind bereits geklärt. Uebrig bleiben nur einzelne, der Aufklärung werte reizvolle Rätsel aus dem Kulissenzauber der Pasic-Zeit, darunter auch die restlose Aufhellung der Motive des Saloniki-Prozesses. Und diese Aufklärung würde zeigen, daß das alte System in einer morbiden, der sittlichen Maße entbehrenden Intelligenzschichte und der auf ihr ruhenden Parteiherrschaft seine Stütze hatte. Heute besteht für niemanden ein Grund mehr, die Belgrader Archive geschlossen zu halten, da der Wesensgehalt der Tatsachen schon feststeht. Es sei hier wiederholt: Es wäre zu begrüßen, würde Belgrad sich entschließen, dem Beispiel der meisten europäischen Staaten durch die Aufhebung der Sperre seinerAr- c h i v e zu folgen und damit ein schon vor einem Vierteljahrhundert von der serbischen Regierung gegebenes Versprechen einzulösen.

Uebersehen wir das politische Summarium:

Vier Tage nach jener schrecklichen Nacht des 11. Juni 1903, in der die Dynastie Obreno- vic mit dem gewaltsamen Ende des Königs Alexander versank, hatte in aller Form rechtens die nach der Verfassung zuständige Versammlung von Volksrepräsentanten unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Velimirovie den Prinzen Peter Karageorgjevic durch einstimmigen Beschluß auf den Thron berufen. Aus seinem Genfer Exil hatte der Gewählte mit einer Proklamation geantwortet, in der er sich auf den Wahlspruch seines Hauses berief: „Für das heilige Kreuz und unsere teure Freiheit!" In seiner Kundgebung erklärte er seine Entschlossenheit, Serbien „zu einer Aera der Ruhe, Ordnung und Wohlfahrt zu führen", forderte alle kirchlichen und staatlichen Amtsträger und alle Militärchefs auf, in ihren Funktionen zu verbleiben und verhieß, daß er „alle persönlichen Vorkommnisse, welche in den letzten vierzig Jahren unter außerordentlichen Verhältnissen aufeinanderfolgten, der Vergessenheit übergebe" und „es der Geschichte überlasse, jeden nach seinen Taten zu richten".

Das Manifest schloß auf solche Weise in runder Verrechnung alles ein, was seit 1858, dem Sturze seines Vaters, des Fürsten Alexander Karageorgjevic, geschehen war, auch die Ermordung dessen Nachfolgers, des Fürsten Michael Obrenovic, und amnestierte schon vor der Thronbesteigung des Königs auch die Teilnehmer an dem jüngsten Königsmord, unter ihnen auch das Haupt, der Verschwörer, den damaligen Hauptmann Dragotin Dimitrijevic, nicht achtend des Abscheus, den in der Welt das mit wüster Brutalität begangene Verbrechen hervorgerufen hatte. Das war ja nun seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts der dritte Fürstenmord und die siebente gewaltsame Veränderung auf dem Throne Serbiens gewesen. Seit drei Generationen war keinem Regenten Serbiens eia Tod in Amt und Würden beschieden gewesen. Mit blutiger Gewalt trugen die beiden Dynastiefamilien der Karageorgjevic und Obrenovic seit hundert Jahren ihre Rivalität aus. Auf Gewalt und Korruption beruhte die schrankenlose Macht der herrschenden altradikalen Partei, und Gewalt und wieder Gewalt waren schließlich die Kampfmittel der dritten Kraft im Staate, der Zur großserbischen Propaganda und zur „Aktion" mächtig auf gerichteten Bünde der Narodna Odbranä und Crna Ruka.

Doch wie ein Gesetz steht die alte Erfahrung in der Menschheitsgeschichte: Gewalt gebiert Gewalt, Gewalt frißt die eigenen Kinder.

Es verfallen der Gewalt die Organisatoren des Attentats von Sarajewo, da zur Gewalt in Saloniki wider sie Pasic greift, der vor ihnen für sich und sein System fürchtet. Aber auch Pasic und seine politischen Freunde sind schuldig geworden an dem 28. Juni von Sarajewo. Ihr Werk zerbricht 1945 mit dem monarchischen Verfassungsstaat Serbien, dessen Könige ihren schönen Wahlspruch einzulösen vergessen haben. Das Revisionsverfahren, das die jugoslawische Volksdemokratie gegen das alte Regime einleitet, zerreißt die letzten Hüllen um das Schuldgewirr, in das Regierung, ihre Verbündeten, ihre Handlanger und ihre Gegner verstrickt sind. Und schließlich, um die tragische Konsequenz auf die höchste Spitze zu steigern, geschieht noch das Schreckliche: Am 19. Oktober 1934 fällt zugleich mit dem französischen Minister Barthou in Marseille König Alexander Karageorgjevic durch die Hahd südslawischer Terroristen, eine Mordtat, deren Urheber in den Reihen der „Ustasa" Kroatiens gesucht werden.

Am 29. November 1945 wind die Dynastie Karageorgjevic des Thrones verlustig erklärt.

So steht heute vor dem Richterstuhl der ewigen Gerechtigkeit, die zuweilen sichtbar in großen Dingen der Weltgeschichte dem Auge der Menschheit sich offenbart, die ganze Schar der Schuldigen, zur Warnung vor das Gewissen der Völker gestellt.

Ende

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