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Die Atomkraft und der Frieden der Menschheit

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In diesem historischen Augenblick ist das Atomkraftwettrüsten der beiden Weltkonstellationen das Uebel, das zuerst einmal überwunden werden muß, soll die Zivilisation der Menschheit den Antagonismus ihrer beiden Hälften überdauern. Als Amerika unter Roose- velt und Truman, den beiden Präsidenten des amerikanischen Liberalismus, die Atomkraft im Krieg einzusetzen und im Frieden auszugestalten begann, waren die Amerikaner beider Richtungen in dem ihnen eigentümlichen Zivilisations- eptimismus bereit, darauf zu schwören, daß sie kraft des amerikanischen Industriepotentials ein Atomkraftdauermonopol besaßen, durch das sie dem Gegner ihre eigene weltpolitische Konzeption aufzuzwingen vermochten. In wenigen Jahren ward diese Grundauffassung ad absurdum geführt. Amerika hat daraus freilich noch nicht die politischen Konsequenzen gezogen. Noch immer wird die amerikanische Weltpolitik vom Gesichtspunkt des Atomkrafteinsatzes gemacht, auch wenn dessen praktische Möglichkeit sich außerhalb selbstmörderischer Intentionen immer mehr verflüchtigt. Daß sich die Militärs diesen Einsatz militärisch im Präventivkrieg denken, ist von ihrem engeren Standpunkt, wenn allein auf sich selbst gestellt, ebenso logisch, wie es umgekehrt unlogisch, ja irrational ist, daß die Politiker in militärischer Phraseologie von „massiver Wiedervergeltung“ reden, um auf dem Konferenztisch die militärische Ueberlegenheit, die sie zu haben glauben, in die Waagschale zu werfen.

Der Optimismus des amerikanischen Denkens zeigt sich klassisch in den bisherigen Bemühun gen und Verhandlungen um die internationale Atomkraftvereinbarung. Alles ist dabei auf die Ueberzeugung abgestellt, daß allein eine „wasserdichte“ Kontrolle, wie sie in letzter Linie nur dem „Weltstaat" eigentümlich ist, die Verwendung der Atomkraft im Kriegsfälle verhindern kann. Darin liegt das Wesentlichste des Planes zur internationalen Bändigung der Atomkraft, den der amerikanische Finanzier Bernard M. Baruch aufgestellt und die amerikanische Regierung zu ihrem eigenen gemacht hat. Eine solche internationale Kontrolle wäre sicher in Amerika, das bereits einzelne Elemente des „Weltstaates“ verwirklicht hat, durchführbar, nicht jedoch in Rußland oder China, außer diese Länder würden sich freiwillig der amerikanischen Durchdringung, der Angleichung an den amerikanischen „Weltstaat“, eröffnen, was sie nur unter Preisgabe ihres bisherigen Standpunktes tun könnten, weshalb es auch zwecklos ist, es von ihnen zu verlangen. Aber selbst angenommen, daß eine solche „wasserdichte“ Kontrolle auf beiden Sei ten in gleicher Weise möglich wäre und funktionieren würde, so bliebe die unkontrollierte, wenn nicht überhaupt ihrem Wesen nach unkontrollierbare Friedensverwendung der Atomkraft übrig, in der sich dasselbe Problem, nur in viel komplizierterer Weise, wiederholen würde. Denn in dieser Friedensverwendung liegt jenes Kriegspotential, das in einer gegebenen historischen Situation durchaus genügen kann, um einer verbrecherischen Minderheit die Möglichkeit des vollen Einsatzes der Atomkraft zur Erlangung der Weltherrschaft zu gewähren. Die Konsequenz des Begriffes einer internationalen Kontrolle der Atomkraft wäre demnach, daß auch ihre Friedensverwendung derselben striktesten Inspektion zu unterwerfen wäre. Das würde freilich eine internationale Bürokratie voraussetzen, wie noch keine jemals geträumt worden ist. Wenn daher diese letztere Kontrolle weder wünschenswert noch möglich ist, dann muß auch an Stelle der ersteren Kontrolle ein besseres Prinzip gefunden werden, das nicht alles auf diese eine, überaus unsichere Karte setzt.

Diese skeptische Erkenntnis besagt nicht, daß die internationale Regelung des Atomkraftwettrüstens in irgendeiner Form nicht aller positiven Anstrengungen wert ist. Um freilich wirksam zu sein, bedarf eine solche Regelung weniger eines ausgetüftelten Systems von Inspektionen, die immer vereitelt werden können, solange die internationale Ueberwachung der Produktion nicht eine dauernde ist, es bedarf vielmehr des bewußten Ausbaues der internationalen Ethik auf allen Gebieten in langer Vorausschau (wofür zweifellos die Idee der „Koexistenz“ bessere Bedingungen schafft als der Tatbestand des „kalten Krieges“). Daß gelegentlich die Russen oder auch einzelne nichtchristliche westeuropäische Gelehrte, Techniker und Politiker oder auch nichtkatholische christliche Persönlichkeiten und Gruppen vor allem in den Englisch sprechenden Ländern (wie die anglikanischen Bischöfe Englands oder die Weltkirchenkonferenz in Evanston, Illinois) das Richtige fordern, darf nicht davon abhalten, es gleichfalls zu tun. Das Richtige, das getan werden muß, wird auch allein von einem ökumenischen christlichen Standpunkt aus allseits und umfassend richtig formuliert werden können.

Was könnte realistischerweise sofort getan werden, um die Weltspannung, die das Atomrüsten verursacht hat, abzubauen? Sicherlich wäre die gemeinsame grundsätzliche Verwerfung des Atomkrieges, die feierliche wechselseitige Verpflichtung auf die Nichtverwendung der Atomwaffen und die ausdrückliche Bereitschaft zur organisierten Liquidierung derselben und ihrer Produktionsstätten das wünschenswerteste. Die Russen verlangen in diesem Punkt nichts Unsittliches! Darauf freilich allein die Hoffnung zu setzen, wäre naiv. Hingegen wäre die gemeinsame Einstellung aller weiteren Atomexplosionen wegen der dadurch gegebenen Gefährdung der gesamten Erdoberfläche und als eine Geste des guten Willens, wie Indien es gefordert hat, sofort durchführbar, soferne nur auf beiden Seiten die nötige Erkenntnis von der wechselseitigen Gefährdung durch die Atomrüstung sich ausreichend durchgesetzt hat. Die modernen Instrumente erlauben es, mit Sicherheit die Einhaltung einer solchen Vereinbarung vom eigenen Boden aus zu kontrollieren. Damit wäre dem Wettrüsten, wenigstens auf Zeit, der wesentlichste Giftstachel ausgezogen. Es bliebe Raum für Verhandlungen, in denen der diplomatische Einsatz der Atomwaffen nur noch eine statische Größe wäre.

Auf dieser Grundlage, namentlich wenn sie einmal eine gewisse Zeitspanne überdauert hätte, wäre es offenbar auch leichter denkbar, daß die gemeinsame Vernichtung aller bisher aufgestapelten Atomwaffen nach einem internationalen Plan zur Durchführung käme. Das Nebenprodukt eines solchen Planes könnte wohl eine Vereinbarung über die sicherste und nützlichste Denaturierung oder Unschädlichmachung der radioaktiven Abfallprodukte sein, womit bereits in die internationale Gestaltung der Atomfriedensindustrien eingegriffen würde. Die gemeinsame Vernichtung der Atomwaffen sollte und könnte unter wechselseitiger Kontrolle erfolgen, ebenso die Abmontierung oder Umstellung der bisherigen Produktionsstätten für Atomwaffen. Dann wäre abschließend auch die feierliche Verpflichtung und Proklamation beider Partner, keine wie immer geartete neue Atomaufrüstung mehr zu beginnen, weder die alten Atomwaffen neu zu erzeugen noch neue Atomwaffen aus der friedensmäßigen Atomindustrie 2U gewinnen, sinnvoll und realistisch. In einem solchen Stadium internationaler Zusammenarbeit wird man sich gewiß auch über einzelne zukünftige Kontrollmaßnahmen zu einigen vermögen und dies um so besser, je weniger man von der Kontrolle irgendwelche magischen Erfolge erwartet und je stärker man den eigentlichen Nachdruck nicht auf die Inspektionen, sondern auf den Geist der internationalen Ethik und auf ihren Ausbau legt.

Erst auf dieser .Grundlage kann es einen ernsthaften Sinn haben, die gemeinsame Organisation der Atomkraft für den Friedensgebrauch, das ist gleichzeitig des nach wie vor verbleibenden atomischen Kriegspotentials, in allen Konsequenzen entschlossen in Angriff zu nehmen. Darin läge die in letzter Linie allein wirk-

same organische Kontrolle der gesamten beiderseitigen Atomentwicklung. Eine solche friedensmäßige Zusammenarbeit, die auch den Austausch aller neuen Erkenntnisse zum Gegenstand hätte, würde hinreichende Möglichkeiten bieten, jeden der beiden Partner ausreichend darüber zu informieren, wie weit auch die Gegenseite alle bisherigen Vereinbarungen einhält, ohne daß dazu eine technische Kontrolle in allen Einzelheiten nötig wäre. In einer solchen Ordnung allein kann die Möglichkeit einer neuen, geheimen Atomwaffenproduktion, die in der kriegsvorbereitenden Verwertung der radioaktiven Abfallprodukte liegen würde, auf ein Minimum restringiert werden. Ganz würde eine solche Möglichkeit freilich niemals ausgeschaltet werden können. In jeder wie immer gearteten, sozialen Organisationsform, die sich auf die moderne Technik stützt, wird einer rücksichtslos herrschaftswilligen Minderheit immer ein gewisser Spielraum verbleiben, um ein kriegsmäßiges Unternehmen auf Grundlage der viel weniger komplizierten Verwendung der Atomabfallprodukte in Angriff zu nehmen. Niemals wird das natürliche Kriegspotential, das in der Friedensatomindustrie liegt, auch nur in derselben Weise kontrollierbar sein wie die Produktion der Standard-Monsterwaffen, die selbst wieder nur in bescheidenem Maße und offenbar erst, nachdem eine Liquidierung des bisherigen Volumens der Atomwaffenproduktion erfolgt ist, kontrollierbar ist. Es muß dem Geiste der internationalen Zusammenarbeit und der Ethik, die er hervorbringt, überlassen bleiben (also gewiß nicht dem bloßen Faktum eines mechanischen Aequilibriums), daß aus dem Kriegspotential der Friedensatomindustrie nicht neuerdings eine friedensbedrohende Atomaufrüstung hervorgeht.

Ein Schlußartikel folgt,

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