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Die ausweglose Sackgasse

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Athen, im Juli

Der Plan des britischen Erstministers MacMil-lan, der die Zypernfrage für sieben Jahre regeln sollte, wurde von allen betroffenen Seiten abgelehnt. Ankara hat genau so nein gesagt wie Athen und die Zyprioten selber. Was soll nun geschehen?

Dabei war der MacMillan-Plan nicht der schlechteste. Er sah nicht nur freigewählte Vertretungskörperschaften der beiden Volksgruppen der Insel, der Griechen und der Türken, vor, nicht nur eine Regierung, in der auch die Bevölkerung vertreten gewesen wäre: Großbritannien war sogar bereit, auf erhebliche Souveränitätsrechte zu verzichten, indem es je einen Vertreter der Regierungen zu Athen und Ankara in die Regierung von Zypern aufnehmen wollte, wobei diese Vertreter das Recht gehabt hätten, gegen Maßnahmen des britischen Gouverneurs bei einem internationalen Schiedsgericht Berufung einzulegen.

Allerdings verdient dieser Vorschlag MacMil-lans nur dann eine positive Bewertung, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Türken an einer Lösung der Zypernfrage mitbeteiligt werden müssen. Dies scheint heute Engländern wie Amerikanern unerläßlich. Den Ball, den die Engländer schon vor Jahren den Türken zugeworfen haben, um die ihnen damals unbequemen griechischen Forderungen zu neutralisieren, hat man in Ankara begierig aufgegriffen und läßt ihn nicht mehr los. Heute werden die Engländer die Geister, die sie riefen, nicht mehr los und können die Türken nicht mehr übergehen. Aber auch die Amerikaner hüten sich, gegen die Türken in den Streit einzugreifen. Ihre fast ängstliche Zurückhaltung in der Zypernfrage erklärt sich daraus, daß sie in der Türkei die exponierte Ostflanke des NATO-Blocks sehen, die dazu von einem zuverlässigen und militärisch besonders tüchtigen Verbündeten gebildet wird, in dessen Armee man große Beträge investiert hat.

bgiticläJEE; baiawri 3tU .moÜ tri issnmd Angrisiebtff der ' Unvereinbarkeit der Stand--' punkte wird den Engländern nichts anderes übrigbleiben, als ihr Kolonialregime vorläufig fortzusetzen. Um die Teilung zu verhindern, hätten die Griechen im Grunde nichts dagegen einzuwenden — sofern das Regime durch die Gewährung einer gewissen Selbstverwaltung an die Bevölkerung für deren innere Fragen gemildert wird. Aber selbst dazu bildet die Beruhigung der aufgepeitschten Gemüter auf Zypern die unumgängliche Voraussetzung. Die Aufhetzung von außen müßte aufhören. In dieser Hinsicht trifft, gegenwärtig wenigstens, Athen kein Vorwurf. Die letzten Ausschreitungen sind von den türkischen Zyprioten ausgegangen, und während Athen jede Demonstration nationalistischer Heißsporne untersagt, fördert Ankara solche Kundgebungen. Die Briten werden wohl wissen, warum sie 37.000 Mann auf die Insel gebracht und vor allem die Nordküste besetzt haben: die Gefahr, daß von der nahen türkischen Küste wenn nicht „Freiwillige“, mit denen türkischerseits schon gedroht wurde, so doch wenigstens Waffen, Munition und Propagandamaterial herübergeschmuggelt werden, besteht offensichtlich.

Das nächste Wort auf dem Wege zu einer inneren Entspannung wird bei Erzbischof Makarios liegen. Mit dem neuen Gouverneur von Zypern, Sir Hugh Foot, dürfte eine Verständigung möglich sein. Er hat mit dem von seinem „harten“ Vorgänger, Marschall Harding, verfemten Makarios einen freundlichen Briefwechsel eingeleitet, der für die Zukunft zu Hoffnungen berechtigt. Es wird sich zeigen, ob die Londoner Regierung diese Linie weiterverfolgen wird. Außenminister Lloyd hat jedenfalls im Fernsehen erklärt, er sei bereit, mit Makarios zu sprechen, wenn dieser nach England komme. Aber Makarios sah sich veranlaßt, die Einladung des Erzbischofs von Canterbury, Fisher, zum Kongreß von Lambeth der anglikanischen und Ostkirchen, im letzten Augenblick abzusagen. Er dürfte sieh davon überzeugt haben, daß ein Gespräch mit Selwyn Lloyd erst dann fruchtbar sein könnte, wenn er diesem präzis formulierte Vorschläge zu machen imstande ist, die er gegenwärtig erst ausarbeitet. Auch ist er bemüht, die Frage seiner Rückkehr nach Zypern zu klären. Um deren Genehmigung werden die Briten, wenn ihnen an einer Befriedung gelegen ist, nicht herumkommen. Denn selbst Gegner der Taktik des Erzbischofs unter den zypriotischen Griechen — und es gibt solche, namentlich in den wirtschaftlich führenden Schichten und in den politisch linksstehenden Kreisen — stellen seine Ltgimität und seine Autorität keinen Augenblick lang in Frage. Makarios ist und bleibt für die Briten der einzige autorisierte Gesprächspartner.

Aber selbst im Falle einer Verständigung zwischen den Briten und Makarios mit dem stillschweigenden Einverständnis Athens, welche Möglichkeit sich indes konkret noch gar nicht abzeichnet, ist immer mit dem Einspruch der Türkei zu rechnen, die ihr Gewicht als wichtiger militärischer Bundesgenosse' des Westens in die Waagschale wirft. Aber dieses Gewicht wird geringer. Denn die NATO ist im Zuge der türkisch-griechischen Spannung längst schwer notleidend geworden.

Es konnte gar nicht ausbleiben, daß sich der durch die Zypernfrage heraufbeschworene türkisch-griechische Gegensatz auch auf den ganzen Südostabschnitt der NATO auswirkte.

Schon im Vorjahr sah sich die NATO genötigt, bei Manöverplanungen auf den griechisch-türkischen Gegensatz Rücksicht zu nehmen. Als in diesem Jahr erneut von gemischten Manövern die Rede war, beeilten sich die Griechen, ihre Teilnahme an Manövern, bei denen auch türkisches Militär in Aktion trete, zu dementieren. Der NATO blieb nichts anderes übrig, als umzudisponieren: man führt jetzt auf und um Kreta gemischte Land- und Seeoperationen mit amerikanischen, griechischen und italienischen Verbänden durch. Nach den Ausschreitungen der Türken gegen die Griechen auf Zypern berief Griechenland demonstrativ alle seine Offiziere und die meisten Zivilangestellten aus dem Südosthauptquartier der NATO in Smyrna (Izmir in der Türkei) ab. Seither läuft der Betrieb dort wie ein Wagen auf drei Rädern. Statt Uebungen im Rahmen der von der NATO gestellten Themen abzuhalten, liegen sich an der griechisch-türkischen Landgrenze in Thrakien mehrere aufgefüllte griechische und türkische Divisionen einander argwöhnisch gegenüber und konzentrieren die Türken Truppen an der südanatolischen Küste, gegenüber von Zypern.

Die höheren NATO-Stäbe sind zwar optimistisch und meinen, im Ernstfall würde das NATO-Bündnis sich bewähren und könnten die geplanten Operationen reibungslos ablaufen, ohne Beeinträchtigung durch den türkischgriechischen Gegensatz. Solch einseitiges militärisches Denken läßt aber die politische Bedeutung eines Militärbündnisses außer acht, das gerade durch sein Vorhandensein, durch seine dem Gegner bekannte Wirksamkeit den Ernstfall verhindern soll. Wie aber, wenn der Gegner zur Lieberzeugung gelangt, daß das Bündnis nicht mehr oder nur noch beschränkt wirksam ist? Es wird auch dann nicht gleich zum Krieg kommen. Aber die Sowjetunion, die scharf beobachtet, wird sich keine Gelegenheit entgehen lassen, jeden Vorteil wahrzunehmen, diesen Raum politisch zu unterhöhlen und in ihm weiter Fuß zu fassen.

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