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Die Bauern und der Europamarkt

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„Wir rufen Europa, es gibt kein Zurück, es gibt nur noch ein Vorwärts.“ Diese Worte rief der Nestor der europäischen Agrarpolitiker, der heute 89jährige frühere Sekretär des Schweizer Bauernverbandes und Gründer des Verbandes jder Europäischen Landwirtschaft (CEA), Prozessor Dr. Ernst Laur, 1949 in Innsbruck, wo der erste europäische Agrarkongreß nach dem zweiten Weltkrieg abgehalten wurde, den Bauernführern aus 20 Ländern zu. Während eines Tiroler Heimatabends in Mayrhofen im Zillertal teilte der Leiter der französischen Delegation mit, daß er die deutsche Bauernführung zu Besprechungen nach Paris eingeladen habe, um Mittel und Wege für eine möglichst enge Zusammenarbeit zu finden. In Österreich wurden damals die ersten Kontakte zwischen den Agrarpolitikern Europas hergestellt und die Gründsteine für einen europäischen Agrarmarkt gelegt.

Ein Jahr später unterbreitete der Straßburger Rechtsanwalt und damalige französische Landwirtschaftsminister Peter Pflimlin den Regierungen der OEEC den nach ihm benannten Plan einer „Europäischen Agrarunion“. Im März 1952 trat in Paris die „vorbereitende Kommission zur Prüfung der Pläne für die Schaffung einer Agrarunion“ zusammen. Für Österreich nahm Minister Thoma daran teil. Der Pflirolin-Plan scheiterte, alle Agrarkonferenzen im Rahmen der OEEC blieben ergebnislos. Erst der am 25. März 1957 in Rom unterzeichnete Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft leitete eine neue Phase ein. Eine gemeinsame Agrarpolitik soll entwickelt werden. In einer gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte sind gemeinsame Regeln für den Wettbewerb vorgesehen, die nationalen Marktordnungen sollen koordiniert und schließlich Vorschriften für eine europäische Marktordnung erlasseji werden. Im Gegensatz zum EWG-Vertrag, der für die Landwirtschaft eingehende Bestimmungen enthält, ist die Landwirtschaft im Stockholmer Vertrag über die Freihandelsvereinigung durch Sonderbestimmungen praktisch ausgeklammert. Es wird darin nur ganz allgemein von den Mitgliedstaaten anerkannt, daß die von ihnen verfolgte Agrarpolitik zum Ziel hat, eine Erhöhung der Produktivität und eine rationelle Entwicklung der Produktion zu fördern, für die Stabilität und gleichmäßige Versorgung der Märkte zu angemessenen Preisen zu sorgen und den in der Landwirtschaft Beschäftigten einen entsprechenden Lebensstandard zu sichern. Im zwischenstaatlichen Handelsverkehr sollen die traditionellen Handelsverbindungen der Mitgliedstaaten gebührend berücksichtigt werden.

Sowenig Gesetze oder Verordnungen eines Staates das wirtschaftliche und soziale Leben der Staatsbürger bis ins einzelne regeln können, ebensowenig können völkerrechtliche Verträge, die eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten fördern sollen, alle wechselseitigen Beziehungen und Handlungen der jeweiligen Parntner erfassen und reglementieren. Das Leben läßt sich nun einmal nicht in Paragraphen zwängen, und sowohl in der EWG wie auch in der EFTA werden Kräfte wirksam werden, die nicht immer voraussehbar sind.

Von allen Berufen wissen es die Bauern am besten, daß man ihnen ein Risiko nicht abnehmen kann und daß im größeren Markt auf die Dauer nur die bessere Leistung entscheiden wird. Unsere Bauern für den Europamark< wettbewerbsfähig zu machen — darum bemühen sich seit einem Jahrzehnt Ministerium, Kammern, bäuerliche Standesorganisationen und Genossenschaften. 1957 sagte der damalige Landwirtschaftsminister Thoma, daß ein Drittel der Landwirte Österreichs die Konkurrenz auf dem Europamarkt bereits mit Erfolg aufnehmen könne, daß ein weiteres Drittel bis zum Inkrafttreten der Verträge über einen Gemeinsamen Markt wettbewerbsfähig sein werde, daß jedoch das letzte Drittel einige Sorgen bereite. Ob seit 1957 die erhoffte Leistungssteigerung des zweiten Drittels realisiert werden konnte und ob die Sorgen um das letzte Drittel geringer geworden sind, darüber liegen keine Äußerungen offizieller Stellen vor. Tatsachen sind, daß die Mechanisierung weitere Fortschritte gemacht hat (Stand an Traktoren: 1939 = 1782, 1950= 12.500, März 1960 = 115.000), daß Produktion und Produktivität erhöht werden konnten und daß auf dein Gebiete der Inlandsversorgung (88 Prozent) und des Agrarexportes (1959: 900 Millionen Schilling Exporterlös für Agrarprodukte, zusammen mit Holz mehr als 4 Milliarden Schilling) beachtliche Erfolge erzielt wurden. Vor allem in der Viehzucht und in der Viehmast nutzen unsere Landwirte alle sich in unseren Regionen bietenden günstigen Möglichkeiten. Von Jahr zu Jahr steigt im Ausland die Nachfrage nach österreichischen Zuchtrindern. Rußland und Jugoslawien haben in den letzten Jahren wiederholt nach Österreich geschickt. Auch der Schlachtviehexport nimmt ständig zu, besonders nach Italien.

In anderen Betriebszweigen wird dagegen die Konkurrenz des Auslandes sich sehr stark bemerkbar machen, zum Beispiel bei Gartenbauerzeugnissen, bei Obst und Wein, weil in den südlichen Ländern bessere klimatische Bedingungen als in den Alpenländern und billigere Arbeitskräfte die Erzeugung begünstigen. Im Getreide- und Hackfruchtbau sind noch höhere Hektarerträge möglich, die mit allen Mitteln (besseres Saatgut, mehr Mineraldünger) angestrebt werden müssen. Im Statistischen Handbuch der Republik Österreich, Ausgabe 1959, sind die durchschnittlichen Hektarerträge der Länder der Erde für das Jahr 1957 angegeben. Für Österreich lauten die Zahlen bei Weizen 22,3 Zentner, bei Roggen 19 Zentner, bei Gerste 22,7 Zentner und bei Hafer 18,5 Zentner. Zum Vergleich seien die Hektarerträge anderer Staaten erwähnt: Bundesrepublik Deutschland: Weizen 31,5, Roggen 26, Gerste 28,7 und Hafer 24,6 Zentner. Niederlande: Weizen 39,7, Roggen 29,2, Gerste

40.6 und Hafer 31,8 Zentner. Belgien: Weizen 35,8, Roggen 28,8, Gerste 34,4 und Hafer

30.7 Zentner. Wenn auch zu berücksichtigen ist, daß die Bodenverhältnisse und die klimatischen Bedingungen in Österreich weitaus schlechter sind als in den vorgenannten Ländern, so kann man am Beispiel der Schweiz nachweisen, daß weitere Ertragssteigerungen auch in Österreich noch erreicht werden können. Die eidgenössischen Bauern erzielten 1957 folgende durchschnittliche Hektarerträge: Weizen 29,3, Gerste 27,9 und Hafer 26,7 Zentner. Den zuständigen Organen der Landwirtschaft wird es obliegen, auch in Österreich die noch vorhandenen Produktionsreserven zu mobilisieren.

Ein entscheidender Faktor bei allen Bemühungen, die österreichischen Bauern auf den „europäischen Leistungsstand“ zu bringen, ist das Be-ratungs-, Aufklärungs- und Bildungswesen. 1952 konnten von den damals rund 1,6 Millionen Beschäftigten in der österreichischen Landwirtschaft nur 3,7 Prozent eine Fach- oder Berufsschulausbildung nachweisen. Selbst von den Betriebsleitern waren es nur 4,1 Prozent. Auf diesem Gebiet wurden im letzten Jahrzehnt bedeutende Fortschritte gemacht. Während 1946 nur 840 Schüler in unseren landwirtschaftlichen Fachschulen gezählt wurden, waren es im Schuljahr 1958/59 insgesamt 4527 (landwirtschaftliche Mittelschüler: 1945 = 150, 1958/59 : 919). Diese Zahlen beweisen, daß die bäuerliche Jugend ihr Wissen und Können vermehren und keineswegs hinter den Fachkräften der Industrie und des Gewerbes zurückstehen will. Den Wissensdurst und Bildungsdrang unserer Landjugend zu befriedigen, noch mehr Schulen einzurichten und beste Lehrkräfte einzusetzen, um die Versäumnisse eines Jahrhunderts aufzuholen, ist eine staatspolitische Aufgabe ersten Ranges; denn die Erde ist und bleibt die ewige Nahrungsquelle der* Menschheit und das im eigenen Lande gewonnene Brot ist immer noch das sicherste und das billigste.

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