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Die Bauernbefreiung

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Am 26. Juli jährt sich zum hundertsten Male der Tag, an dem Hans Kudlich in der Reichsversammlung den Antrag auf Befreiung der Bauern aus dem bisher bestandenen Untertänigkeitsverhältnis stellte und damit eine Entwicklung einleitete, die nicht nur für den Bauernstand, sondern für alle Staatsbürger von der denkbar größten Bedeutung war.

Als Kudlich den Antrag stellte: „Die hohe Reichsversammlung möge erklären: Von nun an ist das Untertänigkeitsverhältnis samt allen daraus entspringenden Rechten und Pflichten aufgehoben", so sprach er damit, im Grunde genommen, nur eine Forderung aus, die schon lange in der Luft lag, an die sich aber bisher, beeinflußt durch eine durch Jahrhunderte in Geltung stehende Gewohnheit und aus einer gewissen Scheu vor den Schwierigkeiten der Durchführung, niemand herangewagt hatte. So brachte Kudlich — dessen Verdienst durch diese Feststellung durchaus nicht geschmälert werden soll —,

ein Gebäude zum Einsturz, das schon lange mehr als baufällig war.

Aus allen Berichten aus der Zeit vor den ereignisreichen Tagen des Jahres 1848 geht eindeutig hervor, daß sich das Untertänigkeitsverhältnis schon längst überlebt hatte, daß es weit mehr Nachteile als Vorteile mit sich brachte und daß man es nach dem Beispiel anderer Staaten auch schon längst beseitigt hätte, fürchtete man nicht die tiefgreifende, von allen Seiten größte Opfer fordernde Auseinandersetzung zwischen „Obrigkeit" und „Untertanen". Nur ein junger von Idealen geleiteter Mann, dem das Ziel groß, die Hindernisse aber — da ihm unbekannt — klein erschienen, konnte diesen Antrag einbringen, den die Reichsversammlung einstimmig annahm.

Ein Blick auf die damaligen Verhältnisse ergibt, daß die Voraussetzungen für die Begründung des Untertänigkeitsverhältnisses, das ursprünglich auf einer Art Arbeitsteilung zwischen dem Wehr- und dem Nährstand beruhte, in dem Augenblicke weggefallen waren, in dem der Staat die Sorge für die Verteidigung des Landes übernommen hatte.

Die Aufgaben der Herrschaft waren also ganz wesentlich zusammengeschrumpft und beschränkten sich im wesentlichen auf Rechtspflege, allgemeine Verwaltung und Beistand in Katastrophenfällen. Auch die Leistungen der Untertanen waren zurückgegangen.

. Die Aufgaben, welche dem Staat anläßlich der Aufhebung des Untertänigkeitsverhältnisses erwuchsen, waren außerordentlich groß: Die Rechte und Pflichten von 2,6 Millionen Bamernfamilien, die insgesamt im Jahr 58 Millionen Arbeitstage, hievon 29,5 mit eigenen Gespannen, auf 54.000 Gutsbesitzungen leisten mußten, waren für die Ablöse vorzubereiten und zu bewerten. Ein Drittel der mit 285 Millionen Gulden Konventionsmünze ermittelten Summe mußte von den Bauern zur Zahlung übernommen werden. Ein weiteres Drittel wurde vom Staat getragen, der seine Verpflichtungen an den „Grundentlastungsfonds“ in Teilbeträgen bis zum Jahre 1895 tilgte. Auf das letzte Drittel mußten die Herrschaften verzichten, gewisser maßen als Ausgleich für den Wegfall der bisherigen Gegenleistungen.

Zu gleicher Zeit mußten aber auch zahlreiche und einschneidende Umstellungen im Betriebe der Bauern und der Herrschaften vorgenommen werden, die große Anforderungen stellten und die nur nach und nach — zum Teil erst um die Jahrhundertwende — gemeistert werden konnten: Bis zum Jahre 1848 oblag dem Gutsherrn die Verpflichtung, im Falle der Not für den Untertanen zu sorgen, ihn nach Bränden mit Baustoffen, nach Hagelschlägen mit Saatgut, Lebens- und Futtermitteln und im Alter mit dem Nötigsten zu versorgen und ihn vor allem Ungemach zu schützen. Diese Verpflichtungen fielen nun weg, und dem bisherigen Untertan oblag es, sich recht und schlecht selbst zu schützen. Dieser Übergang, der dem Bauer ganz neue Sorgen auferlegte, war schwer, schützen. Dieser Übergang, der dem Bauern nicht nur die Steuern, die Grundbefreiungstaxen und — bedingt durch den allmählichen Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft — auch andere Ausgaben in Geld leisten mußte, nicht mehr, wie bisher, in den

Erzeugnissen seiner Wirtschaft, und er mit seinen Produkten nunmehr auf den Markt gehen mußte, der ihm bisher fremd geblieben war.

Dazu kam, daß sich gerade in dieser Zeit zahlreiche Umstellungen in der gesamten Wirtschaft vollzogen, die wieder große Veränderungen im Betriebe der bäuerlichen Güter notwendig machten oder — wenn die Umstellungen nicht rasch und gründlich genug vorgenommen wurden — deren Zusammenbruch herbeiführten! Die neuen Eisenbahnen brachten besten ungarischen, später amerikanischen Weizen, Milch aus Mähren, Schlesien und Ungarn, Wein aus Italien in die österreichischen Stammländer und die Kohle verdrängte das heimische Holz. Kurz, die Verwertung aller Erzeugnisse wurden immer schwieriger und schlechter, besonders solange man an den alten Arbeitsverfahren festhielt, und In Altväterweise Erzeugnisse auf den Markt brachte, die gütemäßig von den eingeführten übertroffen wurden.

So statrd der Bauer fast unvermittelt zahlreichen Schwierigkeiten allein und hilflos gegenüber und gelegentliche Hilfsmaßnahmen erwiesen sich bestenfalls als Linderung, niemals aber als Mittel zur endgültigen Bereinigung der Notlage.

Besonders nachteilig wirkte sich das Fehlen einer Möglichkeit aus, Kredite zu tragbaren Bedingungen zu erhalten. Wie trostlos daher die Lage jener Bauern war, die gezwungen waren, irgendwo und irgendwie Schulden aufzunehmen, geht treffend aus den bitteren Worten hervor: „Der Hof wird durch das Darlehen aufrechterhalten, wie der Gehenkte durch den Strick"!

Auch der Großgrundbesitz mußte in der Zeit nach dem Jahre 1848 große Schwierigkeiten überwinden. Verlor er doch binnen kurzer Zeit die Arbeitskräfte und Gespannleistungen der untertänigen Bauern. Es gelang ihm jedoch in nicht allzu langer Zeit, den Stand an Knechten und Mägden im notwendigen Umfange zu erweitern und den vorhandenen Viehbestand zu vergrößern. Der Umstand, daß er über Angestellte verfügte, die nunmehr von den früher bestandenen Arbeiten auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung befreit waren, erleichterte den Übergang ebenso, wie die Mittel, die ihrti anläßlich der Ablösungen zur Verfügung gestellt wurden. Audi kam ihm die Tätigkeit der verschiedenen Fach vereine, vor allem die der österreichischen Landwirtschaftsgesellschaft, sehr zugute, die’sich in jeder Weise, vor allem durch die Einführung neuzeitlicher Verfahren der Bewirtschaftung, durch Bezug von Zuchtvieh, Saatgut und Maschinen, Trockenlegung nasser Grundstücke außerordentlich verdient machten. Die Leistungen von Wissenschaft und Technik auf allen Gebieten der Landwirtschaft, die sich seit dem Jahre 1800 auszuwirken begannen, waren es also, welche die Umstellungen der Großbetriebe nach dem Jahre 1848 in einem solchen Umfange möglich machten, daß deren Weiterbestand trotz dem Wegfall der billigen Arbeitskräfte, gesichert war.

Eine fühlbare Erleichterung der Lage der Landwirtschaft, insbesondere der bäuerlichen Betriebe, trat abfer erst allmählich gegen die Jahrhundertwende zu ein, als es durch die Schaffung, beziehungsweise den großzügigen Ausbau verschiedener Einrichtungen gelang, die Produktions-, Absatz- und Kreditverhältnisse gründlich zu verbessern und einen vollwertigen Ersatz für die Hilfsmaßnahmen, die ehedem der Herrschaft oblagen, zu schaffen. Die landwirtschaftlichen Vereine, später die Landeskulturräte (die Vorgänger der Landwirtschaftskammern) mit ihren gut gegliederten Unterorganisationen führten, mit Unterstützung des Staates und der Länder, sehr viele Verbesserungen im Wirtschaftsbetriebe ein, die eine außerordentliche Steigerung der Erzeugung der Menge und vor allem auch der Güte nach herbeiführten. Die Genossenschaften aller Art erleichterten die Produktion, übernahmen die Verarbeitung und Verwertung und machten erst die Bauernware großhandelsfähig. Die Raiffeisenkassen übernahmen die Beschaffung kurzfristiger, die Hypothekenanstalten die langfristiger Kredite, die grundsätzlich durch niedere Annuitäten allmählich getilgt werden müssen. In Schulen aller Art erhalten nun die angehenden Landwirte das geistige Rüstzeug, und die Versuchsanstalten sind berufen, neue Verfahren ausfindig zu machen, bekannte zu vervollkommnen und den Kampf gegen die Schädlinge erfolgreich zu führen. Versicherungsanstalten wurden ins Leben gerufen, welchen die Aufgabe oblag, die durch Krankheit, Invalidität, Feuer und Hagel und Viehsterben verursachten Schäden auf breitester Grundlage zu verteilen und ihnen dadurch ihre Härten zu nehmen.

Diese Entwicklung ist weit vorgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. So gibt es noch zahlreiche Lücken in dem Netz der . Genossenschaften, vor allem auf dem Gebiete der Vieh- und der Weinverwertung. Noch immer verarbeitet der einzelne WeLnhauer •sein Produkt, nicht immer in bester Weise und naturgemäß immer nur in durch die Kleinarbeit des Betriebes bedingten unzulänglichen Mengen, statt die Trauben an die Winzergenossenschaft zu liefern, welche die großen Quantitäten gut gepflegter Weine in verschiedenen Sorten liefern könnte, die der Großhandel benötigt,: und’"die ällriii’“ güt bezahlt werden können.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Bauernbefreiung war nicht ein Werk, des Jahres 1848, sondern bereitete sich schon etwa hundert Jahre früher vor. Sie konnte nicht sogleich voll wirksam werden. Rund hundert Jahre waren notwendig, um die Urtistellün- gen, die sie auslöste, zu vollziehen und noch immer sind nicht alle ln befriedigender Weise geregelt. Es ist die Aufgabe einer weltschauenden Agrarpolitik, auch noch die letzten Schlacken der Umbildung zu beseitigen.

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