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Die beiden Flügel des Abendlandes

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Es gehört wohl zu den Merkwürdigkeiten unserer so verwirrten politischen Geschichte Europas, daß der Botschafter Hitlers in Paris der Jahre 1940 bis 1944, Otto A b e t z, hinter Gefängnismauern die Erinnerungen seines politischen Lebensweges niederschreibt. Otto Abetz, der 1949 von einem französischen Gerichtshof zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde, gibt in seinen Aufzeichnungen ein erregendes und in vielen Wegstrecken erschütterndes Bild des Kernproblems der europäischen Einigung. Nicht aus der wilhelminischen Diplomatie, die so oft und auch im zweiten Weltkrieg das Problem Frankreich nur unter dem Blickwinkel des Erbfeindes 6ah, kam dieser Diplomat, sondern aus der deutschen Jugendbewegung. Badenser von Geburt, aufgewachsen in der politisch-historisch einmaligen Situation de6 Grenzlandes, widmete sich der junge Student und angehende Zeichenlehrer frühzeitig dem Gedanken der deutsch-französischen Verständi-dungsarbeit. Der Solberger Kreis und die Arbeitsgemeinschaft der Karlsruher Jugendverbände haben unter der Leitung von Abetz lange vor der Machtergreifung Hitler versucht, über den Rhein Brücken der Verständigung der jungen Generation zu schlagen. Daß nach 1933, als zunächst die Reichsregierung und Hitler selbst den feierlichen Verzicht auf jede Grenzkorrektur im Westen aussprachen, Abetz das Werk einer Verständigung der Jugend beider Völker nicht aufgab, war nur zu erklärlich. Im Comite France-Allemagne und der später so sehr geförderten Verständigungsarbeit der beiderseitigen Frontkämpferverbände versuchte er, die beiden Völker, die, nach einem schönen Wort Herrlots, sich immer nur in den Gräbern der Schlachtfelder fanden, näherzubringen. Daß Ribbentrop bei dem Aufbau eines außenpolitischen Apparats neben dem Auswärtigen Amt Abetz zu seinem Frankreichreferenten berief, wurde für ihn Schicksal. Der Krieg von 1939 begrub zweifellos vorhandene positive Ansätze der Verständigung zwischen den beiden Völkern, und die Berufung von Abetz als Botschafter in das besetzte Frankreich, mit gebundenen und sehr eingeschränkten Vollmachten, konnte in dieser Situation auch Abetz keinen Erfolg bringen. Als Abetz, nach dem Treffen von Montoire zwischen Hitler und Petain, auf eine Klarstellung der schwankenden deutschen Politik gegenüber dem besiegten Frankreich drängte, 6tand tausendfältiger Widerstand gegen ihn, der den Parteifunktionären als Franzosenfreund suspekt erschien, auf. Zunächst war es die Bindung an den italienischen Verbündeten, der immer wieder befürchtete, daß Hitler Frankreich als beherrschende Macht des Mittelmeeres und des nordafrikanischen Raumes gewinnen könnte, dann vornehmlich die radikalen Parteikrei6e, darunter Bürckel, der durch seine brutalen Ausweisungen der Lothringer, die Atmosphäre vergiftete, und nicht zuletzt Hitler, der irrli enternd zwischen der Konzeption Europa und den Haßgesängen von „Mein Kampf“ hin und her schwankte. Nicht der Präliminarfriede mit Frankreich, auf den Abetz hinarbeitete und der einen Verzicht Deutschlands auf die Träume radikaler Parteiführer von der Annexion Nordfrankreichs, El6aß-Lothringens und Burgunds beinhalten 6ollte, sondern die rücksichtslose Ausbeu-tungspolilik Sauekels und Göring6 sowie die Verschärfung der Besatzungsmaßnahmen, waren die Ursachen, daß der Krieg in einem Meer von Blut und Tränen zu beiden Seiten des Rheins endete. In einem dramatischen Gespräch zwischen Rommel und Abetz am Vorabend des 20. Juli, offenbarte der tief pessimistische Feldherr dem Botschafter, dessen politische Wirkungsmöglichkeit durch die radikalen Kräfte auf beiden Seiten immer mehr eingeschränkt wurde, die Unausbleiblichkeit der Niederlage.

Abetz hat auch hinter den Gefängnismauem seinem Ideal einer deutsch-französischen Verständigung nicht abgeschworen und sieht in der Tat des General Choltitz, der mit seinem Einverständnis Paris vor der Zerstörung be-

wahrte, und in der Jugend beider Länder, die über Gräber und Vernichtung zusammenfinden wird, die Brücke für die Zukunft. Der nüchterne und vor allem viele neue historische Tatsachen bringende Bericht seines Lebens gehört zu den wertvollsten Erinnerungen unter der Hochflut der Erinnerungswerke, weil Abetz nicht anklagt und verteidigt, sondern den Begriff des Abendlandes über alles setzt, eingedenk der Worte Romain Rollands: Deutschland und Frankreich 6ind die beiden Flügel des Abendlandes. Wer den einen lähmt, stört den Flug des anderen.

Die leibhaftige Kirche. Von Ida Friederike G ö r r e s. Verlag J. Knecht, Frankfurt a. M. 300 Seiten, geb. DM 5.60.

Die Begegnung mit der Kirche, wie sie wirklich ist, bedeutet heute ein schmerzhaftes Anliegen, aber auch eine heilsame Beunruhigung. Sie scheucht die Christen zu Fragen auf, sie verlangt gültige Antwort. Eva Firkel spricht in ihrem neuesten Werk „Frömmigkeit des Sünders“ ungemein deutlich darüber, Görres aber deren „Brief über die Kirche“ von Hunderttausenden gelesen wurde, sieht in großartiger, oft erschreckender Offenheit „das Sterben der Kirche in den Seelen“. Nichts von billiger Selbstrechtfertigung, nichts von dem Optimismus jeder jungen Generation: „sich in die Hände 6pudcen, die Ärmel aufkrempeln und die Sache endlich einmal richtig anpacken, trotz allem, was die Alten verpatzt und uns an Scherben hinterlassen haben ... Wir würden ihnen das Antlitz der Kirche zeigen, wie es wirklich ist, an Stelle jener abschreckenden Maske, zu der e6 die veraltete, verkalkte, unbiblische, unliturgische Verkündigung zusammenschrumpfen ließ .. i“ Nein, der Gegensatz zwischen Kirche und Welt liegt nicht bloß in der zeit- und weltfremden Verkündigung, in der mangelhaften Seelsorge, es i6t eine existentielle Feindschaft, die bis zu dem Endsieg Gottes dauern wird. — In Kapiteln, wie die „leidige Moral“ und „Der Thronende“, stößt Görres in eine geradezu beglückende Tiefe und Weite vor, und sie beweist bei aller kühnen Offenheit, oder gerade durch sie, eine unwiderlegliche lebendige Liebe zur Kirche Dieses von wahrhaft religiöser Kultur und humanistischer Bildung durchwobene Buch könnte wie kaum ein zweites zum fruchtbarsten Gespräch unter Laien führen.

Dr. P. Virgil Redlich O.S.B. (Seckau)

Die ökumenische Wirklichkeit der Kirche. Von Carl E. Schneider. Evangelisches Varlagswerk, Stuttgart. 24 Seiten.

Schneider, Professor am Theologischen Eden-Seminar der Evangelical and Reformed Church in America in St. Louis, richtet in diesem Vortrag, den er vor Studenten verschiedener theologischer Fakultäten in Deutschland gehalten hat, ein mahnendes Wort an die protestantischen Kirchen der Welt, die trennenden Schranken des „Denominationalismus“ aus einer radikalen Rückorientierung auf den universalen Charakter der neu-testamentlichen Kirche zu überwinden. Unter „Denominationalismus“ versteht Schneider nach angelsächsischem Sprachgebrauch die einseitige und engherzige Bindung an das eigene Kirchentum, die die geschichtliche Kontinuität und Tradition höher stellt al6 den Gehorsam gegenüber der weltweiten Schau der Kirche im Neuen Testament. Im Sinne der „reformatio aeterna“ fordert Schneider eine ökumenische Reformation, die ähnlich der im 16. Jahrhundert aus der Besinnung auf das neute6iamentliche Erbe erwachsen soll. Die protestantischen Kirchen müssen sich vom .Heiligen Geist über ihre Erstarrung im Konfessionalismus zu einem neuen Verständnis christlichen Glaubens und christlicher Bruderschaft führen lassen. Nur so kann die Verstümmelung am Leibe Chri6ti zur Heilung kommen. Univ.-Prof. Dr. Franz Fischer

Ich ging nur mit... (Auf Tierfang in Afrika).

Von Ellen Gatti. Ullstein-Verlag, Wien. 309 Seiten mit vielen Illustrationen und einer Landkarte.

Ate Commander Attilio Gatti im Jahre 1931 zu seiner achten Afrikaexpedition aufbrach, gab es in ganz Europa nur ein einziges Okapi.

Sämtliche in dieser Nummer angekündigten und besprochenen Bücher sind zu beziehen durch

■ II Buchhandlungen

oder,

Buchhandlung Harold

Und Gatti zog aus, zwei weitere Exemplare dieser seltenen, Innerafrikanischen Tiergat-tung für den Londoner Zoo zu fangen. Auf dieser Expedition begleitete ihn seine spätere Frau Ellen, und ihr verdanken wir dieses vortreffliche Reisebuch, das von einer unbesiegbaren inneren Lebensstärke getragen ist. Es ist voll Heiterkeit, Natürlichkeit und Menschenkenntnis — Eigenschaften, die diese Amerikanerin des 20. Jahrhunderts, die 6ich bis dahin niemals.auch nur mit den einfachsten Arbeiten eine6 westlichen Haushalts befaßt hatte, über jede Schwierigkeit der afrikanischen Wildnis hinwegtragen. Und dieser Schwierigkeiten gab es bei der Durchquerung des Kontinents von Mombasa bis zur Kongomündung übergenug. Man folgt diesem höchst persönlichen und reizvollen Bericht gespannt von der ersten bis zur letzten Seite und legt das Buch mit dem angenehmsten Eindruck aus der Hand. Carl Peez

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