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Digital In Arbeit

Die beschränkte Freiheit

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„WENN SIE BEI KEINER GEWERKSCHAFT sind, kann und darf ich Ihnen keine Arbeit geben!“ sagte mir der Personalchef der Firma, bei der ich um eine Stellung während der Sommerferien angesucht hatte. „Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, werden Sie so schnell wie möglich Mitglied der Gewerkschaft und Sie werden überhaupt keine Schwierigkeiten mehr haben!“ So geschehen im Jahr 1962 in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Los Angeles, Kalifornien, in der Nation mit der großartigsten und freiheitlichsten Verfassung der Welt.

Ich konnte es anfangs kaum glauben und versuchte es immer wieder — mit dem gleichen Mißerfolg. Endlich gelang es mir, in einem Hotel aushilfsweise als Kellner unterzukommen, aber auch nur unter der Zusage, nach einem Monat der Kellnergewerkschaft beizutreten.

Ohne daß er es bemerkt oder bemerken will, wird dem Amerikaner die so teure Freiheit Stück um Stück abgebaut. Man spielt das Spiel der Freiheit, ohne zu merken, daß Amerika sich heute auf dem gleichen Weg befindet wie der europäische Nachbar. Das typischeste Beispiel dafür sind eben die Gewerkschaften und ihre Erfolg..

Auf der einen Seite ist man bestrebt, den einzelnen zu schützen, auf der anderen Seite will man aber ganze Berufsstände durch alle irgendwie möglichen Faktoren vor Katastrophen sichern. Amerika begibt sich immer mehr und mehr auf den Weg zu einem organisierten, geplanten und gelenkten Gemeinschaftswesen.

„Wir haben es einfach übersehen“, meinte ein älterer Amerikaner, „und jetzt ist es zu spät. Sogar die Regierung hütet sich davor, sich tiefer in irgendeine Angelegenheit einer Gewerkschaft einzumischen. — Gerade bei uns in Kalifornien ist es ziemlich schlimm!“ Ich konnte ihm zu seiner letzten Bemerkung, meinen jüngsten Erfahrun.rn zufolge, nur Recht geben.

VON ZEHN ARBEITSSTELLEN werden neun nur bei Vorweisen des Mitgliedsbuches einer Gewerkschaft vergeben. Lind Mitglied einer Gewerkschaft kann man nur dann werden, wenn man genügend Geld zur Verfügung hat oder aufbringen kann, um die Einschreibgebühr bezahlen zu können, und die ist nicht gering. Ein Kellner muß zum Beispiel an die 1300 Schilling Einschreibgebühr bezahlen plus der monatlichen Beiträge. Die Gewerkschaft der Bediensteten der Filmindustrie stellt noch viel höhere Bedingungen. So muß unter anderem ein Filmstatist rund 5000 Schilling Einschreibegebühr aufbringen, um Mitglied werden zu können. Ja, es gibt sogar Gewerkschaftsbranchen, die nur eine begrenzte Anzahl an Mitgliedern aufnehmen, und dann einfach eine Mitgliedersperre verhängen.

Die Fachausdrücke der Gewerkschaften für den Mitgliedszwang sind „clo-sed shop“ (geschlossener Betrieb) und „union shop“ (Gewerkschaftsbetrieb). In den „closed shop“ können nur Gewerkschaftsmitglieder eingestellt werden und jeder der Arbeitnehmer muß Gewerkschaftsmitglied bleiben, um seine Anstellung zu behalten.

Eine für diese Einrichtung typische Klausel besagt: „D)r Arbeitgeber soll nur bewährte Mitglieder der örtlichen Gewerkschaften einstellen und behalten ... Ein bewährtes Mitglied ist derjenige, der nicht mehr als zwei Monate mit der Beitrags- und Abgabenzahlung im Rückstand ist. .. und der ein Mitgliedsbuch besitzt.“

Nach dem „union-shop“-System können auch Nichtmitglieder in ein Unternehmen aufgenommen werden, die aber nach einer gewissen Zeit Gewerkschaftsmitglieder werden müssen, um ihren Posten zu behalten. Für den „union shop“ ist mein eigenes Beispiel am treffendsten. Nach einem Monat als Kellner stand ich vor der Wahl, entweder wegen des einen Monats, den ich noch zusätzlich arbeiten wollte, der Kellnergewerkschaft beizutreten, oder die Stellung aufzugeben. Zum Glück war aber gerade die Stelle eines Barkeepers freigeworden, die ich annahm und somit der Entscheidung enthoben wurde. Nun hatte ich wieder eine Frist von einem Monat, um der Barkeepergewerkschaft beizutreten, und mehr wollte ich ja nicht.

DIE GEWERKSCHAFTEN MIT MITGLIEDSSPERRE werden „closed shop with closed union“ genannt. Davon wird hauptsächlich alles, was mit der Filmindustrie zu tun hat betroffen, und da ist natürlich Hollywood ein Musterbeispiel dafür. So hat, unter anderem, die örtliche Gewerkschaft der Kameraleute eine Mitgliedssperre.

Das geht sogar so weit, daß, wenn ;cum Beispiel ein Regisseur aus Chicago mit seiner Kameramannschaft in Hollywood einen Film drehen will, er eine technische Mannschaft aus Kalifornien engagieren und bezahlen muß, ob er sie nun braucht oder nicht. Denn die Filmindustriegewerkschaften schreiben sogar dem Produzenten vor, wieviele technische Angestellte sie für einen Film von bestimmter Länge verwenden müssen.

Will zum Beispiel ein Produzent einen billigen Film herstellen und sagen wir statt der üblichen fünf nur zwei Kameraleute beschäftigen, so wird ihm das von den Gewerkschaften einfach nicht gestattet. Beugt er sich nicht ihren Vorschriften, wird seiner übrigen technischen Mannschaft das Arbeiten unter ihm untersagt und er steht plötzlich allein da. Diese Macht der Gewerkschaften ist auch einer der Hauptgründe, warum immer mehr und mehr amerikanische Filme im Ausland mit ausländischen Arbeitern und Technikern gedreht werden.

WEIT AUSEINANDERGEGANGEN sind die Ansichten der Arbeitgeber und die der Gewerkschaften seit jeher und es bestehen nicht allzu viele Aussichten, daß die Gewerkschaften als Gegenleistung für die Anerkennung seitens der Arbeitgeber den „Betrieb ohne Gewerkschaftszwang“ annehmen werden.

„Der Großteil der Gewerkschaften trachtet besonders deshalb nach dem System des ,closed'- oder ,union shop', um ihre Organisationnoch zu verstärken, Benachteiligung zu verhüten, ihre Bedingungen durchzusetzen und um eine größere Kontrolle über ihre Mitglieder ausüben zu können“, erklärte auf meine Fragen ein Funktionär einer örtlichen Gewerkschaft in Los Angeles.

Für uns bedeutet der ,closed shop' Gewerkschaftssicherheit“, fuhr er fort, „das heißt, Sicherheit und Schutz vor den Arbeitgebern und Sicherheit vor Abnahme der Mitgliedszahlen und der Mitgliedsbeiträge“.

Einige Arbeitgeber sind der Meinung, daß sich unter dem gegenwärtigen Gewerkschaftssystem ihre Beziehungen zu den Gewerkschaften verbesserten. Es sei besser und leichter, nach ihrer Ansicht, mit einer starken Arbeitnehmerorganisation auszukommen, als mit einer schwachen, argwöhnischen, die fast jede Anordnung des Arbeitgebers in Zweifel zieht. Ein weiterer oft erwähnter Vorzug des „union shop“ ist es, daß Eintracht innerhalb der Belegschaft herrscht, ohne irgendwelche Streitigkeiten zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtmitgliedern.

Andere Arbeitgeber — bisher noch immer der Großteil —, die dem „closed shop“ und dem „union shop“ feindlich gegenüberstehen, stellen fest, daß ihnen dieses System nur eine beschränkte Auswahl an Arbeitnehmern gewährleistet und sie oft gerade die Arbeitnehmer entlassen müssen, deren Arbeit vielleicht zufriedenstellend war, die jedoch entweder aus der Gewerkschaft ausgetreten sind oder ausgeschlossen worden sind.

Einerseits ist es den Arbeitgebern vom Gesetz verboten, Arbeiter vom Beitritt zu einer Gewerkschaft abzuhalten, anderseits werden Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehören wollen, gezwungen, einer solchen beizutreten, um eine Anstellung zu finden.

Andere Arbeitgeber wiederum finden eä äußerst unlogisch und widerspruchsvoll, daß man den „closed shop“ gestattet, der ja eine eindeutige Monopolstellung einnimmt, während ihnen selbst Antitrustgesetze verbieten, sich mit MonopohnetKoden zu befassen.

DIE REGIERUNG HAT SICH mit der Frage des „union shop“ bis jetzt nur äußerst zaghaft befaßt. Ihr Leitsatz ist, daß diese Frage freiwillig von denen, die sie angeht, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und nicht von Washington geregelt werden soll.

„Die Regierung der Vereinigten Staaten wird den sogenannten .closed shop' nicht anordnen, und der Kongreß wird keine Gesetze erlassen, die die Einführung desselben fordern“, erklärte Präsident Roosevelt noch im November 1941.

Erst die Regierung Eisenhowers setzte dem stetig wachsenden Machtstreben der Gewerkschaften Schranken. Die bedeutendste dieser Einschränkungen ist das sogenannte „Taft-Hai tley-Gesetz“, das den „closed shop' verbietet und den Einzelstaaten die Möglichkeit gibt, durch bundesstaatliche Gesetze auch den „union shop“ zu verbieten. So steht es auf dem Papier, in der Praxis wird dieses Gesetz aber nur äußerst selten angewandt und dann auch nur, wenn die Sicherheit der gesamten Nation auf dem Spiel steht.

Durch die Regierung in Washington wird offiziell die Ausdehnung und der Fortschritt des Gewerkschaftswesens gefördert, wobei sie jedoch eine Situation begünstigt, in der die organisierte Arbeiterschaft vielleicht nicht mehr genötigt wäre, den „union shop“ zu ihrer Sicherheit zu fordern.

Vor 80 Jahren hatten die amerikanischen Gewerkschaften lediglich etwa

45.000 Mitglieder. Heute gibt es 18 Millionen organisierter Arbeitnehmer, darunter 13,5 Millionen in der fusionierten AFL (American Federation of Labor) und CIO (Congress of Industrial Organisations).

NICHT NUR EINE PRIVATE MONOPOLORGANISATION sind die amerikanischen Gewerkschaften heute, sondern auch eine ausgesprochene Investitionsmacht, dank der hohen Einschreibgebühren und der monatlichen Beiträge ihrer Mitglieder.

Die Gelder aus dem sogenannten „union-f unds“ (Gewerkschaftsgelder) weiden zum Großteil für private Investitionen verwendet oder verliehen —, das heißt, es werden damit zum Beispiel ganze Wohnbezirke finanziert, die dann jedem Käufer offenstehen, man beteiligt sich an großen Hotelbauten, wie in Las Vegas, oder es werden mit dem Geld Bürowolkenkratzer gebaut, die dann vermietet werden.

Oft wird den Gewerkschaften, vor allem den kleineren Organisationsgiuppen, vorgeworfen, daß sie sich Gangstermethoden bedienten, um ihre Interessen zu wahren. So stand vor nicht allzu langer Zeit einer der führenden Gewerkschaftsfunktionäre Kaliforniens vor einem Gericht unter der Anklage, einen Untergebenen „auf Gangstermanier“ behandelt zu haben, um ihn gefügig zu machen. In New York wurde ein Reporter, der etwas zu genau in die Machenschaften einiger Gewerkschaften hineingeleuchtet hatte, brutal überfallen und dabei sein Gesicht durch eine stark ätzende Säure entstellt.

Das sind Beispiele extremer Vorfälle. Es zeigt sich jedoch deutlich, wie gefährlich es werden kann, wenn es einer derartig großen Organisation gestattet ist, ihre Macht und ihren Einfluß immer weiter auszubauen und es kommt nicht von ungefähr, wenn ein großer Prozentsatz der Amerikaner für eine Schmälerung der Rechte und Ausdehnungsmöglichkeiten der Gewerkschaften eintritt.

DER AMERIKANISCHE ARBEITNEHMER, der die Gewerkschaften so groß und mächtig gemacht hat, erkennt und wird langsam erkennen müssen, daß er selbst immer weniger im Mittelpunkt steht, während die Gewerkschaften immer mehr nach der Ausdehnung und Vergrößerung der eigenen Macht und dem Investitions-, dem Finanzmarkt streben.

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