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Digital In Arbeit

Die Bewegung für Reform des Arbeiterrechtes

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Es ist eine eigenartige und wohl in der schöpferischen Weisheit begründete Erscheinung, daß Perioden mächtiger äußerer Umwälzungen, die von Zerstörung und schweren Heimsuchungen begleitet sind, der Ausgangspunkt neuer bedeutender geistiger Entwicklungen werden, in denen die Menschheit sprunghaft über die Vergangenheit und die Formen des früheren Gemeinschaftslebens hinausstrebt. Es ist so nicht zum ersten Male, daß der Katastrophe, die physisch und seelisch der zweite Weltkrieg über hunderte Millionen Menschen gebracht hat, das Drängen nach einem Gesetze des Zusammenlebens folgt und mit einer fast automatischen Gleichzeitigkeit der Wille nach einer völligen Neugestaltung des Sozialrechtes nach Geltung ringt.

In fast allen Industriestaaten steht gegenwärtig das Verlangen der Arbeiterschaft ach Teilnahme an dem Gewinnertrag der Arbeit und an den Produktionsmitteln auf der Tagesordnung. Da und dort hat die Gesetzgebung schon in dieser Richtung eingesetzt, zum Teil überstürzt. Die verfolgten Grundlinien weichen voneinander ab, Sozialisierung steht neben Verstaatlichung der Betriebe. Es ist bemerkenswert, daß in der Tschechoslowakei, wo die Verstaatlichung der Industrie, abgesehen von den Kleinbetrieben, eine totale ist, der Staat sich als Betriebsinhaber mehr Rechte vorbehalten hat, als dies in der Sozialgesetzgebung jener Staaten geschieht, die nicht so radikal in die Eigentumsrechte der Unternehmerschaft eingegriffen haben.

Sollen die Reformen ihrem letzten hohen Ziele, der Herstellung des sozialen Friedens dienen, so wird ihre Durchführung ebenso des Verständnisses der Arbeitgeber wie des Verantwortungsbewußtseins der Arbeiter bedürfen.

Es sei hier die einschlägige sozialrechtliche Gestaltung in mehreren Staaten übersichtlich gekennzeichnet.

Die jetzigen scharfen Arbeitskonflikte in Amerika folgen einer langen, während des Krieges dauernden Periode des Arbeitsfriedens. Während des Krieges war unter der Aufsicht der Regierung eine enge Zusammenarbeit zwischen Arbeiterschaft und Betriebsleitung erzielt worden. Betriebsausschüsse wurden gebildet, in denen die Arbeiterschaft und die Betriebsleitung vertreten war und in denen alle den Betrieb interessierenden Fragen behandelt und entschieden wurden. Bei Kriegsende gab es in USA 5000 Fabriken mit über acht Millionen Arbeitern, in denen solche Betriebsausschüsse einwandfrei arbeiteten.

Aufgaben der Betriebsausschüsse Die Betriebsausschüsse traten regelmäßig zusammen. Eine Reihe von Sonderausschüssen hatten Spezialaufgaben übertragen erhalten. So gab es zum Beispiel Sonderausschüsse für

a) allgemeine Fragen der Produktion, Produktionsprogramme, Rohstoffeinsatz, Selbstkosten usw.

b) Verbesserungswesen: Die Arbeiter waren aufgefordert, Produktionsverbesserungs-vorschläge aller Art einzubringen. Der Erfolg war überrasdiend. Tausende solcher Vorschläge wurden eingereicht, die besten mit Preisen prämiiert. Vorschläge, die auch für andere Industrien wertvoll sein konnten, wurden nach Washington weitergeleitet.

c) Sicherheitseinrichtungen.

d) Erholung und Gesundheit: Der Ausschuß führte regelmäßig Röntgenuntersuchungen durch, veranstaltete Vorträge über die richtige Ernährungsweise. Musikalische Veranstaltungen in Großfabriken wurden gegeben sowie Zeitungen gedruckt.

e) Abfallverwertung: Es galt, alle Produktionsabfälle im größtmöglichen Maße der Neuproduktion wieder zuzuführen. Papier, Eisen, Messingreste sowie Kunstharzteile usw.

Nicht in das Aufgabenbereich der Ausschüsse gehörte das Überprüfungsrecht der Geschäftsgebarung, insbesondere der Geschäftsbücher sowie der Gewinnverteilung.

Zusammensetzung der Betriebsausschüsse Geleitet wurden die Sitzungen von dem Werksdirektor, vertreten sind ferner der Gewerkschaftsleiter und freigewählte Betriebsangehörige. Die Folge dieser Zusammenarbeit war, daß bereits 1942 ein Streik-und Aussperrungs verzieht unterzeichnet wurde, der während der ganzen Kriegszeit eine ruhige Entwicklung auf sozialpolitischem Gebiet vermittelte. Die Betriebsausschüsse haben nach Kriegsende vielfach aufgehört, doch bleibt es im Ermessen der jeweiligen Unternehmer und der Arbeiterschaft, sie beizubehalten. Bereits im Herbst 1945 meldeten sich Anzeichen von Unruhe auf dem Arbeitsmarkt, die sich seither stark verschärften. Vermutlich wird man schließlich auf die in den Kriegsjahren bewährten Betriebsausschüsse zurückgreifen und sie gesetzlich zu untermauern trachten.

Die große Widerstandsbewegung in Frankreich, die in entscheidender Weise an der militärischen Befreiung des Landes mithalf, war gleichzeitig eine solche sozialer Natur. Schon in London zur Zeit der provisorischen Regierung General de Gaulies wurden Pläne für den sozialen Wiederaufbau Frankreidis ausgearbeitet, die als eines der wichtigsten sozialen Reformziele die Beteiligung der Arbeiterschaft an der Leitung des Wirtschaftslebens und der Verwaltung der Betriebe herausstellten. Es bildeten sich denn auch sofort nach der Befreiung Frankreichs in zahlreichen Fabriken Produktions- und Verwaltungsausschüsse, mit der zunächstliegenden Aufgabe, die Industrie wieder in Gang zu bringen.

Durch Gesetzesdekret vom 22. Feber 1945 wurden die Betriebsausschüsse für alle Betriebe mit über hundert Arbeitern eingeführt und alle solche die zufolge der Eigenart ihrer Produktion eine anerkannte allgemein wirtschaftliche Bedeutung haben. Die Vertreter für die Betriebsausschüsse werden einerseits durch die Arbeiter und Angestellten, andererseits durch die Ingenieure, Abteilungsleiter, Meister und ihre Gleichgestellten gewählt. Zur Wahl werden von den in den einzelnen Betrieben am stärksten vertretenen Gewerkschaften (Christliche Gewerkschaft oder marxistische Gewerkschaft) getrennte Listen aufgelegt, in vielen Fällen im Einvernehmen beider Gewerkschaften einvernehmlich aufgestellt. Die Verteilung der Sitze in den Betriebsausschüssen zwischen den beiden Lohnempfängergruppen geschieht im Einvernehmen mit dem Betriebsvorsteher und den in Frage kommenden Gewerkschaften. Neben dem Betriebsvorsteher oder seinem Vertreter umfaßt die Delegation des Personals bei

100 bis 500 Arbeitern: 5 Vertreter der

Arbeiter und Angestellten; 3 Vertreter der Ingenicure, Abteilungsleiter usw.

500 bis 1000 Arbeitern: 6 Vertreter der

Arbeiter und Angestellten; 4 Vertreter der Ingenieure, Abteilungsleiter usw.

1000 bis 2000 Arbeitern: 7 Vertreter der

Arbeiter und Angestellten; 5 Vertreter der Ingenieure, Abteilungsleiter usw.

über 2000 Arbeitern: 8 Vertreter der

Arbeiter und Angestellten; 5 Vertreter der Ingenieure, Abteilungsleiter usw.

Die soziale Aufgabe der Betriebsausschüsse Das zitierte Gesetz räumte den Ausschüssen nur beratende Stimme ein. Sie haben die Möglichkeiten der Produktions- und Ertragssteigerung des Betriebes zu untersuchen; sie schlagen dafür Maßnahmen vor. Der Betriebsausschuß ist über sämtliche Fragen der Organisation, der Verwaltung und der allgemeinen Tätigkeit des Betriebes in Kenntnis zu setzen und der Betriebsleiter ist verpflichtet, wenigstens einmal im Jahre über die Lage des Betriebes Aufschluß zu geben. Der Ausschuß ist über die erzielten Gewinne in Kenntnis zu setzen. In Industrien von über 500 Lohnempfängern kann er über die Verwendung der Gewinne Vorschläge machen. Bei Aktiengesellschaften ist der Ausschuß über alle Bilanz-und Rechnungsfragen, bevor ■ sie der Generalversammlung der Aktionäre vorgelegt werden, zu informieren. Soweit das erste Gesetz.

Erweiterung der Reform

Im Lager der christlichen Gewerkschaften sah man sich mit dem Erreichten noch nicht am Ziele, wenn man auch eindeutig zugab, daß es die Verfasser des Dekretes vom Feber 1945 verstanden haben, daß das Wohl der Arbeiter von dem neuen sozialen Geist abhängig ist. der in den Betrieben Einzug halten muß. Die Kritik wandte sich gegen Punkt 3 der Verordnung, der dem Betriebsausschuß nur ein beratendes Votum und keinerlei Entscheidungs-gcwalt zuerkannte Das Verlangen ging nach einer aktiven Teilnahme der Arbeiter am ganzen Leben des Be- riebes, denn das Wohl des Arbeiters sei nicht nur vom sozialen Leben im Betrieb, sondern auch von dessen wirtschaftlichem Gange abhängig. Auch von der Betriebsführung, dem Gebrauch des Kapitals, der Qualität und der Quantität der eingesetzten Rohstoffe hänge das Schicksal des Arbeiters ab. Stellte sich ein Versagen in einer dieser Richtungen ein, wie dies in der Zeit vor dem Kriege häufig geschehen sei, so könne von einer Stunde auf die andere Arbeitslosigkeit der Arbeiterschaft eintreten. Der Arbeiter sei der Hauptfaktor der Produktion, er habe das Recht, so wie die Vertreter des Kapitals, mit diesen gemeinsam die wirtschaftliche Leitung des Betriebes zu sichern. Nur eine enge Zusammenarbeit mit der Arbeiterschaft kann auf die Dauer einen wahren sozialen Frieden sichern. Die Arbeiterschaft ihrerseits muß allerdings bereit sein, an der Verwaltung der Betriebe vollverantwortlich mitzuarbeiten, die von ihr bestellten Vertreter müssen sachkundig sein und dürfen vor allem keine Betriebsdemagogen sein. Die Forderungen der christlichen Gewerkschaften gaben ganz wesentlichen Anstoß dazu, daß die letzte Nationalversammlung das Gesetzesdekret vom 22. Februar 1945 noch in einem ihrer letzten Beschlüsse dahingehend änderte, daß

1. der Betriebsausschuß über seinen bisherigen Wirkungskreis nicht mehr nur beratend, sondern mitentscheidend an den Betriebsbeschlüssen, betreffend Produktionsplanung, Gewinn bem'h-nung und Gewinnverteilung mitzusprechen habe, und daß zwei Mitglieder des Betriebsausschusses konsultative Stimmen im Verwaltungsrat erhalten.

2. Lohnfragen fallen nunmehr auch in das Tätigkeitsgebiet der Betriebsausschüsse; für deren Gestaltung sind sie mitverantwortlich.

Freilich hat die Arbeiterschaft damit eine große Verantwortung für die Gestaltung des Einzelbetriebes, aber letzten Endes auch des gesamten Wirtschaftslebens mit übernommen und es wird viel darauf ankommen, wie sie sich dieser schweren Aufgabe, deren Erfüllung auf nicht wenigen sehr ernsten Voraussetzungen beruht, gewachsen zeigen wird. Das Erreichte ist bedeutsam; es wäre nicht zu erlangen gewesen ohne das Eintreten der christlichen Gewerkschaften für diese Reform, die dabei zugleich von gefährlichen Übersteigerungen bewahrt wurde.

In der Tschechoslowakei wurden mit Gesetz vom 24. Oktober 1945 grundsätzlich die Betriebsausschüsse geschaffen, doch viele Fragen blieben im Gesetz offen und sollen erst durch eine spätere, bisher noch nicht erlassene Durchführungsverordnung geregelt werden. Die Bezeichnung in der Tschechoslowakei ist nicht Betriebsausschuß, sondern „Betriebsrat“.

Die Aufgaben der Betriebsräte Sie beziehen sich auf drei Flauptgebiete:

1. Sozialgesundheitliche im weitesten Sinne. Die bereits bestehenden sozialpolitischen Einrichtungen sowie die noch zu schaffenden, sollen auf Grund der noch ausstehenden Regelung auf den Betriebsrat als juristische Rechtspersönlichkeit übergehen.

2. Betriebsleitungsfragen: Leitung, Rohstoffeinsatz, Kostenfragen, Absatzfragen. Der Arbeiterschaft sind 10 Prozent des Reingewinnes und 30 Prozent, soweit dieser den vorausgesehenen Gewinn übersteigt, zuerkannt. Der Gewinnanteil wird nicht dem einzelnen Arbeiter ausbezahlt, sondern muß vom Betriebsrat für soziale Einrichtungen verwandt werden. Wichtig ist, daß für die Führung des Betriebes die Betriebsleitung allein verantwortlich ist und auch gegen den Betriebsrat handeln kann, wenn dieser seine Befugnisse überschreitet. Dem Betriebsrat bleibt dann nur die Möglichkeit, bei der zuständigen staatlichen Stelle über die Entscheidung der Betriebsleitung sich zu beschweren.

3. Allgemeinwirtschaftlidie Aufgaben. Der Betriebsrat kann also zum Beispiel auch gegen Maßnahmen Stellung nehmen, die von Behörden erlassen werden und seiner Ansicht nach nicht dem allgemeinen Wirtschaftsinteresse entsprechen.

Bestellung und Zusammensetzung des Betriebsrates Die Gewerkschaft kann die Auflösung des jeweils auf ein Jahr gewählten Betriebsrates beantragen, während die Arbeiterschaft die Auflösung nur verlangen kann, wenn der Betriebsrat einverstanden ist. Er ist der Betriebsversammlung verantwortlich. Die Kosten fallen der Betriebsleitung zur Last.

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