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Die Bombe und die Bomben

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Radio und Fernsehen hier in Frankreich behandeln zwar regelmäßig das Thema Atomversuche, aber nie an erster Stelle - als wären die Franzosen nicht wirklich an der Sache interessiert.

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Radio und Fernsehen hier in Frankreich behandeln zwar regelmäßig das Thema Atomversuche, aber nie an erster Stelle - als wären die Franzosen nicht wirklich an der Sache interessiert.

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Tatsächlich ist die Streiterei um die Versuche sehr schnell, mehr als eine rein französische, eine internationale Angelegenheit geworden. Hierzulande hört man höflich zu, was Japaner, Australier und Greenpeace-Leute dazu sagen, aber von einer echten innenpolitischen Debatte kann man nicht reden. Diejenigen Stimmen, die man hören möchte, so zum Beispiel die des ehemaligen Präsidenten Mitterrand, bleiben stumm.

Auf der einen Seite verstehen die Franzosen ja ganz gut, daß die Wiederaufnahme der Versuche wahrscheinlich nicht unbedingt nötig war. Auf der anderen Seite sehen sie ungern, daß die ganze Welt sie angreift. Was denn - ein Boykott Frankreichs wegen einer Sache, die ja schließlich eine strikt französische Angelegenheit ist?

Die Entscheidung Präsident Jacques Chiracs, am 13. Juni veröffentlicht, die französischen Nuklearversuche wieder aufzunehmen, war sicherlich ein schwerer Urteilsfehler. Es ging natürlich darum - symbolisch gesprochen, denn technisch existierte ja keine echte Notwendigkeit -, innenpolitisch die nationalistische Fiber zu streicheln und außenpolitisch an die vergangene Größe de Gaulles zu erinnern. Aber Chiracs Diktat hatte kaum die Wirklichkeit im Lande einzuschätzen gewußt.

Die Regierung Alain Juppes mußte inzwischen erfahren, daß mehr als 63 Prozent der Franzosen gegen die

Wiederaufnahme der Versuche waren. Fragt man, wie es eigentlich zu dieser sonderbaren Entscheidung hat kommen können, so gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder verachtet Chirac einfach die anderen oder er wußte nicht richtig, worum es ging und war schlecht beraten (und diese Möglichkeit ist ja, wie immer bei Chirac, die allerwahrscheinlichste).

Aber was nun? Wie soll es weitergehen? Die neue neogaullistische Mehrheit ist es nicht gewohnt, zurückzumarschieren. Es genügt also nicht ein simples „Entschuldigung, es war ein Fehler, wir hören auf damit”. Die acht Versuche werden stattfinden müssen. Und daran ändern vier Millionen Unterschriften aus aller Welt auch nichts.

Am 1. September waren 400 Sympathisanten der Organisation Greenpeace aus ganz Europa nach Paris gekommen, um Chirac acht Kubikmeter Protestpapiere zu überreichen. Aber früh morgens schon hatte die ganze Polizei in der Hauptstadt den Befehl bekommen, diese Unterschriften nicht zum Präsidenten gelangen zu lassen. So wurden etwa 260 Personen verhaftet und manche mehr als fünf Stunden in Untersuchung gehalten (was in Frankreich völlig gesetzwidrig ist). Fast zur selben Zeit wurde in Mururoa die Bainbow Warrior durch die französische Flotte neutralisiert. Es war 17 Uhr 20 in Paris. Verteidigungsminister Charles Millon beglückwünschte die Marine für ihre Tapferkeit.

Ein Seekampf, der aber wenig Chancen hat, in die französischen Geschichtsbücher einzugehen. Der Kampf einer Armee gegen eine stechende Fliege. Man stellt sich leicht vor, wieviele andere Fliegen angreifen werden, sobald der erste Atomversuch stattgefunden haben wird.

Premierminister Juppe hat am 26. August im Pariser „Figaro” einen Artikel geschrieben, um klarzumachen, daß die Atombombe nichts anderes bedeute als Frieden. Eine erstaunliche Neuigkeit! Der Minister für Europäische Angelegenheiten, Michel Bar-nier, hatte zuvor schon in der Abendzeitung „Le. Monde” beweisen wollen, daß die Dissuasion ganz Europa dienen könnte. Präsident Chirac fand die Idee gut und eignete sie sich an. Philippe Seguin, Präsident der Französischen Abgeordnetenkammer, meinte, Frankreich sei der Gewährsmann der strategischen Unabhängigkeit Europas.

Noch nicht genug der Information der Öffentlichkeit? Jean-Jacques de Peretti, Minister für die Überseeländer, hatte sich zwar schon vor mehr als einer Woche die Mühe gemacht, in Mururoa, genauer gesagt bei der Tulpe Isums 153, ins Wasser zu springen, genau an der Stelle, wo man 1991 den letzten Atomversuch gemacht hatte; er hatte mit seiner Tauchermaske im Magazin „Paris Match” erklärt, daß nicht die geringste Gefahr bestünde; aber die Welt gab sich noch immer nicht zufrieden, sie wollte sich nicht informieren lassen! Das war eine unangenehme Sache. Welch eine Epoche! Man werde sich bestimmt noch etwas Neues einfallen lassen müssen, um die Leute doch umfassend und definitiv zu informieren ...

Und die Franzosen fanden, daß man ihnen ein wenig die Nerven kitzle mit dieser Bombe, die bis dato (Redaktionsschluß, Dienstag, 12 Uhr, Anm. d. Red.) nicht platzen wollte in Polynesien - da sie doch in Frankreich ganz andere Sorgen hatten mit Bomben, die tatsächlich in die Luft gegangen waren.

Hätte man ihnen gesagt, der nächste Atomversuch würde im Burgunderland stattfinden, so hätten sie sich ganz sicher mehr dafür interessiert. Aber auf den Bildschirmen der Fernsehapparate war alles klar: Es gab in Polynesien eine harmlose und sichere Atombombe, die nicht knallte; es gab in Paris kleine Gasflaschen mit Nägel und Bolzen, die Schrecken einjagten.

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