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Die Bomben von T onkin

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Am 9. August flogen amerikanische und rotchinesische Düsenjäger bis auf Sichtweite aufeinander zu. Keine der beiden Staffeln schwenkte ab. Erst nachdem sie in Sichtweite zueinander gelangt waren, manövrierten sie auf gleichbleibender Höhe und in gleichbleibender Distanz, offenbar um weitere Befehle zu erwarten. Dann drehten sie endlich ab. Fast 40 Minuten lang hing die Gefahr eines Luftkampfes zwischen chinesischen und amerikanischen Düsenmaschinen in der Schwebe. Das war über dem Golf von Tonkin, wo eine Woche vorher nordvietnamesische Torpedoboote den amerikanischen Zerstörer Maddox angegriffen hatten.

Tn der Nacht vom 1. auf den 2. August hatten südvietnamesische Schnellboote die nordvietnamesische Insel Hon Me Then angegriffen. Der Angriff war überraschend gekommen und er hatte einige Verheerung angerichtet. Am Morgen des 2. August kamen dann nordvietnamesische Schnellboote und Torpedoboote an die kritische Stelle, zu spät, um sich an den südvietnamesischen Schiffen revanchieren zu können, doch gerade zu der Zeit, da der amerikanische Zerstörer Maddox dort kreuzte. Maddox war gerade auf einer Routinepatrouille im Golf von Tonkin. Möglich, daß der Angriff der nordvietnamesischen Boote auf Maddox dem Verdacht entsprang, daß Maddox den Südvietnamesen in der Nacht Geleitschutz gegeben habe. Dann war dieser erste Angriff das Resultat eines Irrtums und nicht eine geplante Aggression. Am nächsten Tag fuhren wieder zwei amerikanische Zerstörer entlang der Küste im Golf von Tonkin. In dieser Nacht hat es keine Kämpfe im Golf von Tonkin gegeben und der Angriff der nordvietnamesischen Torpedoboote am Montag den 3. August kann als nichts anderes angesehen werden, denn als Aggression.

Am Mittwoch, den 5. August, setzte dann die 7. Flotte auf Befehl des Präsident Johnson zur Strafexpedition an. Die Düsenjäger der 7. US-Flotte griffen die nordvietnamesischen Marinebasen Hon Gay, Loc Chao, Phuc Loi und Quang Khe an, alle im Golf von Tonkin, alle Ausgangspunkte nordvietnamesischer Unterstützungsaktionen für die kommunistischen Partisanen in Südvietnam. 25 nordvietnamesische Torpedoboote wurden zerstört, 90 Prozent des Öls aus den Vinh-Tanklagern bei Phuc Loi wurde vernichtet, das sind zehn Prozent des Öllagers in Nordvietnam. Die Proteste aus Hanoi standen schon unter dem Schatten der akuten Kriegsgefahr, doch es kam einige Tage lang nichts; bis am Sonntag die chinesischen und die amerikanischen Düsenjäger aufeinander zuflogen und erst im letzten Moment abschwenkten. Nur: die Atmosphäre in Indochina ist nun bis zur Unerträglichkeit geladen. Die Explosion, die diesmal ausblieb, kann jedoch an jedem Tag und bei jeder Gelegenheit erfolgen.

Seit Februar dieses Jahreg ist der Golf von Tonkin Kriegsgebiet, Kriegsgebiet zwischen Nordvietnam und Südvietnam. Bis Ende vergangenen Jahres war der Nachschub für die kommunistischen Partisanen in Südvietnam aus dem kommunistischen Nordvietnam über den Ho-Chi-Minh-Pfad gekommen, über die Berge an den Grenzen. Immer mehr wurde der Transport aber von den mühsamen Bergpfad auf die ruhigen Seewege im Golf von Tonkin verlagert. In den ersten Monaten dieses Jahres zog die süd- vietnamesische Regierung dann über 300 motorisierte Dschunken und 500 Segelfahrzeuge im Golf von Tonkin zusammen, um den illegalen Verkehr zu unterbinden. Doch die südvietnamesischen Dschunken waren machtlos, angesichts der Modernisierung der nordvietnamesischen Schnell- und Torpedobootbasen, deren moderne Einheiten jeden Waffen- und Materialtransport der Vietcong zu einem sonnigen Kreuzen auf ungestörter See machte. Der plötzliche Angriff südvietnamesischer Boote auf die nordvietnamesischen Ausgangsbasen sollte diese Situation ändern, er hat aber die Gefahr einer Ausweitung des Krieges zur Potenz erhöht.

Die Aggressivität beider Regierungen, der Regierung von Nordvietnam und der Regierung von Südvietnam, ist unabwendbar. Die Verträge und Vereinbarungen von 1954 und 1962 schufen in Indochina zwei politische Rumpfstaaten; Nordvietnam ist ohne die Reisfelder von Südvietnam auf Hungerdiät gesetzt. Südvietnam lebt in einem ideologischen Vakuum und kann nur durch den Schutz der Amerikaner vor einer kommunistischen Aggression behütet werden. Der Norden Vietnams lebte vor der Teilung des Landes von den 400.000 Tonnen Reis, die in jedem Jahr aus dem südlichen Vietnam kamen.

Ganz Nordvietnam will Reis und weiß, daß Südvietnam Reis lagert. Nur „die Hand des amerikanischen Imperialismus liegt auf den Reisfeldern und den Reislagern Südvietnams”.

Zum wirtschaftlichen Druck kommt das politische Dilemma. Lange Zeit versuchten die vietnamesischen Kommunisten einen Seiltanz zwischen Peking und Moskau. Ho Chi Minh und General Giap, der Waffen aus Moskau brachte, zogen in die sowjetische Richtung. Der Generalsekretär der Partei Le Duan in die chinesische. Ob das ein abgekartetes Spiel war oder nicht, Hanoi konnte sich bis zum Winter dieses Jahres im kommunistischen Rivalenkampf ziemlich neutral halten. Dann drohten fast zu gleicher Zeit Peking und Moskau, und keiner wollte die vietnamesische Neutralität mehr hinnehmen. Nun wendete sich Nordvietnam langsam Peking zu. Ho Chi Minh und auch General Giap sind aber nicht die Männer, einem Lagerkommandanten in Peking zu gehorchen. Ho Chi Minh gilt als der unabhängigste Politiker, Giap gilt als der eigenwilligste Militär des Kommunismus von heute. Und Nordvietnams Auslandspolitiker und Diplomaten lassen keine Zweifel darüber, daß Hanoi als dritte Kraft zu operieren gedenkt. Das politische Verständnis zwischen Hanoi und Paris ist durchaus nicht von ungefähr, doch soll aus diesem politischen Verständnis eine politische Kraft werden, muß Ho Chi Minhs Hausmacht im Kommunismus größer sein. Hanoi als Zentrum eines zur Gänze kommunistisch gewordenen Indochina konnte im Kommunismus als dritte Kraft auf- treten und in der Asienpolitik als Partner de Gaulles. So ist die Aggressivität Nordvietnams in Südvietnam und in Laos auch Hausmachtpolitik im Kommunismus.

Südvietnam hat Reis und es gibt dort kaum Hunger, doch es gibt dort Elend, denn der Krieg, es ist jetzt bald ein dreißigjähriger Krieg, bringt auch ohne Hunger Elend genug. Während Nordvietnam einen ideologischen Überhang an Kommunismus und Nationalismus hat, breitet das ideologische Vakuum in Südvietnam sich nach der Ermordung Präsident Diems sich ungehemmt aus.

Hanoi hat Hunger, Südvietnam hat den Krieg. Die Regierung in Südvietnam muß den Krieg auf seinem Boden bei den Wurzeln ausreißen, wenn es die geringste Chance haben will, als politisches Regime zu überleben. Und die Wurzeln dieses Partisanenkriegs liegen oft jenseits der Grenze, in Nordvietnam.

Die Amerikaner liegen wie Rudel von verlorenen Hunden in Südvietnam herum. Sie sind als „Experten” zur Unterstützung der Regierung von Südvietnam ins Land gekommen und sie tragen heute den Krieg. In Südvietnam gibt es heute 20.000 amerikanische Experten und die Zahl wird bis Ende dieses Jahres wahrscheinlich auf 25.000 erhöht werden. Sie tragen in der Rolle der „weißen Protektoren” die ganze Last der Unpopularität. Völlig verloren und unglücklich liegen sie mit ihrer modernen Ausrüstung im ganzen Land herum. Bleiben sie so im Land und sehen sie zu, wie die Vietcong sich immer tiefer einfrißt, so tragen sie zur Unpopularität als Protektoren noch die Schande für die Niederlage.

In Indochina ist alles im Pat, und die Steine sind gesetzt, mit denen die Züge der Zukunft erfolgen müssen. Für die Amerikaner gibt es nur zwei Möglichkeiten: Aus Indochina hinaus. Im besten Fell heißt das eine Neutralität unter dem Überhang des rotchinesischen Kolosses und auf jeden Fall den Verlust Thailands, des letzten Verbündeten. In Indochina bleiben: Das heißt, die Regierung Khan mit allen Mitteln zu unterstützen, auch wenn die Wurzeln des Vietcong im Dschungel ausgerissen werden müssen, die jenseits der Grenze liegen.

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