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Die Buchpolitik in der Ostzone

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Wie seit der Errichtung der Deutschen Demokratischen Republik das geistige Leben durch die staatlich gelenkte Buchproduktion und durch den weithin verstaatlichten sogenannten „volkseigenen“ Verlagsapparat sich ausweist, darüber unterrichtet sehr anschaulich eine von der marktanalytischen Abteilung des Börsenvereines Deutscher Verlegerund Buchhändlerverbände in Frankfurt am Main auf Grund amtlichen Materials erarbeitete Untersuchung. Als Grundlage diente, um jede Mißdeutung der Untersuchung auszuschließen, die „Deutsche Nationalbibliographie“ der Deutschen Bücherei zu Leipzig.

Die Oeffentlichkeit wußte seither zwar, daß sich die Buchhändlerstadt Leipzig weithin entvölkert hat, sie wußte, daß sehr viele führende alte Verlagshäuser ihren Sitz nach dem Westen verlegt haben; Reclam beispielsweise nach Stuttgart, Insel und Brockhaus nach Wiesbaden. Es ist auch nicht unbekannt, daß die Namen der alten Verlagsfirmen im Osten für die dort unter staatliche Verwaltung gestellten Häuser beibehalten wurden, so daß der paradoxe Fall möglich ist, daß es heute eine ostzonale Insel-Bücherei und eine ostzonale Reclamsche Universalbibliothek gibt, die an sich mit der im Westen geführten Insel-Bücherei und der Reclamschen Universalbibliothek nichts zu tun haben. Die im Osten „übernommenen“ Firmen publizieren auf eigene Faust und verwerten die Verlagsrechte im Sinne der staatlich gelenkten Buch- und Kulturpolitik.

Es ist bezeichnend, daß zur „Ausrichtung“ der Buchproduktion die Aemter des „Dritten Reiches“ zwar nicht dem Namen, aber doch der Funktion nach in der Ostzone übernommen wurden. Das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ dürfte der ehemaligen Reichsschrifttumskammer entsprechen.

Ueber den Umfang und die Auswirkung der staatlichen Buchpolitik in der Ostzone vermag die Buchproduktion ihrem Inhalt und ihrer Titelzahl nach ein grelles Licht zu werfen. Ergänzt wird diese Seite der Untersuchung durch die Verschiebung und regionale Verteilung der Verlagshäuser. So gab es in Leipzig 1927 noch 401 Verlage, denen 1951 nur mehr 37 gegenüberstehen. Dresden verlor sogar noch mehr Firmen, von 117 des Jahres 1927 sind heute nur noch 7 verblieben. Im Gebiet der heutigen Ostzone gab es 1927, ohne Berlin, i n s g e s am t 1028 Verlage, während es heute einschließlich Ost-Berlins 127 Firmen sind. Es ist mit einem durchschnittlichen Abbau um 90 Prozent zu rechnen.

Die 127 Verlage der Ostzone verteilen sich wie folgt:

Leipzig 37, Ost-Berlin 35, Halle 9, Dresden 7, Potsdam 4, Weimar 4, Gera 3, Jena 3, Eisenach 3, Erfurt und Gotha je 2 und 19 weitere Verlagsorte mit je einem Verlag.

57,6 Prozent der 127 ostzonalen Verläge waren 1951 in Leipzig und Ost-Berlin ansässig, wobei zwar Leipzig mit 37 Verlagen vor Ost-Berlin mit seinen 35 Häusern führt, doch titelmäßig betrug die Leipziger Kapazität nur die gute Hälfte der Buchproduktion Ost-Berlins. Beide Städte kamen titelmäßig zusammen auf über 75 Prozent der Gesamtkapazität in der Ostzone. Die großen parteiamtlichen und die Staatsverlage, zu denen auch die Schulbuchverlage zählen, haben ihren Sitz in Ost-Berlin. Wir nennen hier den Aufbau-Verlag, den Verlag „Die Tribüne“, der dem „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ zugehört, die Verlage „Volk und Welt“, „Volk und Wissen“, „Neues Leben“ und andere.

Die Buchproduktion

1951 wurden in der Ostzone in 30 Verlagsorten insgesamt 2142 Titel verlegt. Das sind 15 Prozent der im gleichen Jahr in Westdeutschland erschienenen Titel (14.161). In nachfolgender Aufstellung stehen den Produktionszahlen von 1951 die entsprechenden von 1927 gegenüber, soweit die Zahlen für 1927 erreichbar waren. Bei Ost-Berlin kommt eine Gegenüberstellung,naturgemäß nicht in Frage, aber auch von Potsdam und Bautzen und einigen kleinen Städten fehlen sie. Doch ist die Aufstellung überzeugend genug. Ort Titelanzähl

Unter Nichteinrechnung von Berlin kamen 1927 in den Gebieten des heutigen Ostdeutschland 7758 Titel heraus, denen 1951, ebenfalls ohne Berlin, nur 1059 Titel entsprechen. Die Produktion ist also titelmäßig um rund 86 Prozent abgesunken. Diese Tatsache ist das entscheidende Merkmal der Veränderung. Freilich ist die Auflagenhöhe nicht bekannt, und hier dürfte sich das Bild vielleicht etwas zugunsten der Buchproduktion der Ostzone verschieben, da anzunehmen ist, daß weniger Schulbuchtitel, dafür durch die Vereinheitlichung eine weit höhere Auflage von einem Titel gedruckt wurde.

Aufschlußreich ist das Verhältnis der Privat-

verlage zu den staatlichen und parteiamtlichen Verlagen. Den 30 staatlichen Verlagen von Ost-Berlin mit einer Produktion von 1029 Titeln stehen nur noch 5 Privatverlage mit 54 Titeln im Jahre 1951 gegenüber. In Leipzig ist 1951 das Verhältnis noch: 12 staatliche zu 25 Privatverlagen. Doch dürfte sich auch dieses Bild zur Verstaatlichung des Buchwesens hin verschoben haben, seit im Herbst 1951 das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ die Lizenzen der Privatverlage für ungültig erklärt hat. Damit ist ein weiterer Schritt zum Verlagsköllektiv erfolgt.

Was wurde verlegt?

Zum Vergleichsjahr 1928 nahmen 1951 im prozentualen Aufbau folgende Sachgebiete a b :

Rechtswissenschaft um 82, Handel und Verkehr um 79, Philosophie, Psychologie um 69, Pädagogik um 61, Schulbücher um 64, Religion, Theologie um 49, Geschichte, Kulturgeschichte um 40 Prozent.

Titelmäßig angewachsen sind dagegen folgende Sachgebiete:

Mathematik um 175, Naturwissenschaften um 118, Technik und Handwerk um 116, Land- und Forstwirtschaft um 84, Schöne Literatur um 36 Prozent.

In der gesamtdeutschen Buchpröduktion von 1928 nahm beispielsweise das Sachgebiet Technik und Handwerk 6,1 Prozent der Produktion ein. In Westdeutschland beträgt der Anteil dieser Sparte 1951 7 Prozent, in Ostdeutschland aber im gleichen Jahr 13 Prozent. Tjaß auch die „Schöne Literatur“ einen nicht unerheblichen Zuwachs gegenüber der gesamtdeutschen Produktion von

1928 und der westdeutschen von 1951 beträgt, nämlich 16,1 : 17,7 : 22 Prozent, ist wohl den vielen Uebersetzungen aus der russischen Literatur zuzuschreiben.

Den geisteswissenschaftlichen Disziplinen bleibt also im Jahre 1951 in der Ostzone weit weniger Spielraum als früher, während die Westzone so ziemlich mit den Hundertsatzzahlen der Gesamtstatistik von 1928 übereinstimmt. Die naturwissenschaftlichen, technischen und handwerklichen und auch die landwirtschaftlichen Disziplinen stehen in der Umschichtung der Buchproduktion der Ostzone an bevorzugter Stelle.

Wenn schon die nackten Zahlen der Statistik eine so ungeheuere Schrumpfung an Verlegern und Titeln in der Buchproduktion innerhalb der Ostzone bekunden, so kann 'man sich etwa ausmalen, wie ausgerichtet und tendenziös der Inhalt der noch verbliebenen 14 Prozent der Produktion fast aller Sachgebiete beschaffen sein muß. Wir haben eine solche Ausrichtung schon einmal im „Dritten Reich“ erfahren und wissen, daß sie bis in die wissenschaftliche Publikation hinein gereicht hat.

Die Buchpolitik ist ohne Zweifel ziel- und planbewußt und rücksichtslos geführt worden. Sie hat erreicht, daß ein ehemals reicher farbiger Garten zum spärlich bewachsenen Kartoffelacker geworden ist. Hat die Nahrung aus diesem Einheitsacker die geistige Kollektivierung vorangetrieben? Wie war der Erfolg dieser Buchpolitik? Die Ereignisse des 17. Juni scheinen die Bestätigung zu erbringen, daß alle Zwangsmaßnahmen gerade am Geist zuschanden werden und der gesunde Sinn des Volkes dem gedruckten Wort heute ebenso skeptisch und kritisch gegenübersteht wie dem gesprochenen.

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