6628743-1956_24_23.jpg
Digital In Arbeit

Die deutsche Tagespresse

Werbung
Werbung
Werbung

Jede Würdigung der deutschen Presseverhältnisse muß von der Tatsache ausgehen, daß, in geschichtlicher Perspektive gesehen, die deutsche Presseentwicklung in den letzten fünfundzwanzig Jahren zweimal eine entscheidende Zäsur erlitt.

Die erste erfolgte mit dem Machtantritt des Nationalsozialismus, das heißt mit der politischen Gleichschaltung aller deutschen Tageszeitungen durch die totalitäre Pressepolitik Hitlers. Ihre politischen Ergebnisse sind bekannt, der wirtschaftliche Tatbestand, der manchmal nicht genügend beachtet worden ist, aber mit dem Wiederaufleben der deutschen Presse nach 1945 zu lebhaften Auseinandersetzungen führte, ergab, daß 1944 rund 82,5 Prozent aller deutschen Zeitungen sich in dem riesenhaften nationalsozialistischen Pressetrust zwangsweise vereinigt sahen.

Die zweite Zäsur geschah mit dem Verbot der alliierten Militärbefehlshaber im Mai 1945. Keine deutsche Zeitung durfte vorläufig erscheinen. Im Rahmen dieser „tabula-rasa“-Politik wurden zunächst nur Blätter der Militärregierungen, in deutschen Druckereien hergestellt, herausgegeben.

In allen vier Zonen Deutschlands konnten vom Sommer 1945 an sogenannte „Lizenz-Zeitungen“ erscheinen. Ihre Herausgabe wurde vielfach an die Lizenz politischer Parteien geknüpft, oder, wie besonders in der sowjetisch besetzten Zone, auch an wiedergegründete Gewerkschaften. Die Methode der Lizenzierung war freilich überall verschieden. In der amerikanischen Zone waren alle vier zugelassenen Parteien an einer Zeitung durch Lizenzträger beteiligt, während in der britisch besetzten Zone je eine Partei ihre Exponenten in eine Zeitung entsandte und in der französischen Zone die Lizenz nicht an bestimmte Parteien gebunden war. Zudem wurden die Entnazifizierungsgesetze in den Zonen verschieden gehandhabt.

Diese von politischen Gesichtspunkten beherrschte Wiederzulassung deutscher Zeitungen in den ersten Nachkriegsjahren hatte freilich ihre wirtschaftliche Berechtigung; denn eine große Zahl von deutschen Zeitungsdruckereien war im Kriege zerstört worden, besonders in der britischen Zone. Auch fehlte es an Zeitungspapier, an Kohle und sonstigen für die Produktion lebenswichtigen Materialien. Die meisten Lizenzzeitungen erschienen im ersten Jahr ihrer Zulassung nur zweimal wöchentlich, mit vier Seiten Umfang. Zum täglichen Erscheinen konnten die deutschen Zeitungen im allgemeinen erst von etwa 1948 an übergehen.

Die radikale Schließung der deutschen Tagespresse im Jahre 1945 war auch ein Akt der geistigen Demontage, denn eine Reihe von einst bedeutenden deutschen Zeitungen von altem Ruf und Namen durfte nicht wieder erscheinen, obwohl sie von Hitler verboten worden waren: zum Beispiel die „Frankfurter Zeitung“, die „Kölnische Zeitung“, das „Berliner Tageblatt“, die „Vossische Zeitung“, die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ und das „Hamburger Fremdenblatt“. Nur sehr wenige, die von Hitler verboten worden waren, z. B. die „Frankfurter Zeitung“, konnten, wenn die Lizenz erteilt worden war, wieder unter ihrem alten Namen herausgegeben werden.

Für die spätere wirtschaftliche Entwicklung der deutschen Nachkriegspresse ist auch zu berücksichtigen, daß ihre Auflage und ihr Verbreitungsgebiet zunächst genau festgelegt wurden. In der britischen Zone ist die Auflage an die Entwicklung der Stimmverhältnisse bei Wahlen gebunden worden. Strukturell wichtig für die allgemeine Nachkriegsbeurt'eilung ist ferner, daß die sogenannte ..Heimatpresse“ zunächst überhaupt nicht zugelassen war. Dieser tiefe

Eingriff in die traditionelle Struktur war. um so bemerkenswerter, als von jeher der weitaus größte Teil der deutschen Presse auf kleine und kleinste sogenannte Heimatzeitungen entfiel. Hitler hatte bereits den Anfang der Zerstörung gemacht, indem er dafür sorgte, daß alte Heimatzeitungen zwangsweise mit Parteizeitungen der NSDAP vereinigt wurden. Dadurch wurde auch die Gesamtzahl der deutschen Presse wesentlich reduziert.

Mit der Schließung der deutschen Zeitungen durch die Alliierten im Jahre 1945 fand auch das deutsche Nachrichtenwesen zunächst sein Ende. Das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) war von den Nationalsozialisten politisch mißbraucht und zu einem Organ ihrer Propaganda gemacht worden — also wurde es liquidiert. Das alte Wolffsche Telegraphenbüro (WTB) war durch Hitler beseitigt worden: es konnte auch nach 1945 nicht wieder erstehen. Statt dessen richteten die Besatzungsmächte zunächst eigene Nachrichtenbüros ein, aus denen, nach Ueber-tragung der Lizenz an Deutsche, schließlich die heutige Deutsche Presseagentur in der Bundesrepublik (DPA) wurde, die heute in der Bundesrepublik die eigentliche Hauptnachrichtenquelle ist. Daneben haben sich in Deutschland eine Reihe privater Nachrichtenkorrespondenzen entwickelt. In der sowjetisch besetzten Zone, der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik“, existiert unter dem Namen Allgemeines Deutsches Nachrichtenbüro (ADN) eine eigene Nachrichtenagentur, die einen großen Teil ihres Materials von der sowjetisch-amtlichen TASS empfängt.

Nach der Aufhebung des Lizenzsystems, der sogenannten „Generallizenz“, konnten deutsche Zeitungen ohne besondere Zulassung wieder herausgegeben werden. Seit 1948 wurde dadurch die Pressefreiheit wiederhergestellt; eine kurze Uebergangsperiode war vorhergegangen, in der unter Oberaufsicht der alliierten Befehlsstellen deutsche Lizenzorgane funktionierten. Die Wiederherstellung der Freiheit wurde vor allem in der ehemaligen amerikanischen Zone an pressegesetzliche Bestimmungen geknüpft. Daraus ist auch erklärlich, daß bisher ein Bundespressegesetz in Deutschland nicht existiert, der rechtliche Zustand vielmehr gekennzeichnet ist durch eine gewisse Zersplitterung. So haben zum Beispiel Bayern und Baden-Württemberg ein eigenes Landespressegesetz; in der ehemaligen britischen Zone gibt es Pressegesetze in den Ländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, während Niedersachsen kein Landespresserecht geschaffen hat. Der Grundsatz der Presse-und Meinungsfreiheit wurde schließlich in der Bundesrepublik durch den Artikel 5 der Bonner Verfassung festgelegt. Er ist das eigentliche Fundament für die Pressefreiheit in Westdeutschland. Der Versuch, den das Bundesinnenministerium im Jahre 1952 machte, ein Bundespressegesetz als Rahmengesetz zu schaffen, scheiterte am Widerstand der Presse und der öffentlichen Meinung. Ein Referentenentwurf dafür fand deswegen scharfe Kritik, weil darin gewisse sogenannte „Schutzbestimmungen“ aufgenommen waren, die nach Ansicht der Presse eine unzulässige Beschränkung der Freiheit bedeutet hätten. Seither ist kein neuer Entwurf einer bundesgesetzlichen Zusammenfassung der presserechtlichen Bestimmungen gemacht worden. Nach einer vor kurzem erfolgten Auslassung des derzeitigen Bundesinnenministers Schröder wird daran für absehbare Zeit auch nicht gedacht. Geplant wird lediglich eine Aenderung des Beschlagnahmerechts gegenüber Presseerzeugnissen, nachdem sich eine gewisse Willkür lokaler Be-behörden bei solchen Aktionen gezeigt hat, die lebhafte Kritik in der Presse hervorrief.

Der Charakter der neuen deutschen Presse läßt sich in ihrem gegenwärtigen Zustand dahingehend deuten, daß Nachrichten- und Meinungspresse überall vertreten sind. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß Berlin als die ehemalige Reichshauptstadt seine frühere führende Bedeutung auch für das internationale Ansehen der deutschen Presse noch nicht wieder erlangte. In gewisser Weise ist also die deutsche Nach-krieespresse „verprovinzialisiert“, obwohl diese Bezeichnung keine Qualitätsminderung in sich zu schließen braucht. Vielmehr erscheinen in einigen deutschen Großstädten, wie zum Beispiel in Hamburg, München, Stuttgart, Frankfurt und Düsseldorf große Zeitungen von Format, die eine vorzügliche Qualität entwickelt haben und sich bemühen, an die besten Traditionen des deutschen Journalismus anzuknüpfen. Neben solchen Zeitungen, die zwar regional gebunden sind, dennoch aber durch ihren universalen Inhalt und ihren geistigen Anspruch hervorragen, gibt es zahlreiche Heimatblätter, die gleichfalls in LInterrichtuhg und Meinungsbildung durchaus qualitative Ansprüche zu erfüllen versuchen.

Man muß dabei bedenken, daß die finanziellen Fundamente im deutschen Zeitungsverlagswesen schon durch Hitler erheblich geschwächt worden sind und daß später im Kriege gewaltige Werte durch Zerstörung verlorengingen. In den Nachkriegsverhältnissen konnten zahlreiche Lizenzverleger nur mit Hilfe entweder beschlagnahmter oder vertraglich gebundener Druckereibesitzer ihre Zeitungen herausgeben. Da nach der allgemeinen Wiederzulassung zahlreiche ehemalige Verleger ihre Ansprüche geltend machten, haben sich die Besitzverhältnisse im deutschen Zeitungsverlagswesen wesentlich verändert. Generell steht aber fest, daß die finanziellen Reserven auch heute noch nicht ausreichen, um in jedem Falle die Krisenfestigkeit der Zeitunsen zu gewährleisten. Die Gewährung von ERP-Krediten zum Ausbau der deutschen Nachkriegspresse hat diese Verhältnisse deutlich demonstriert. Durch solche Kredite aber sind viele Zeitungsverlage erst in den Stand gesetzt worden, sich die notwendigen Maschinen anzuschaffen.

Im allgemeinen zeigt das Bild der heutigen deutschen Taeespresse moderne Züge. Die Zunahme der Illustrierten ist ebenso bezeichnend wie das Bedürfnis, der Information, der Nach-richtengebung auf jeden Fall den Vorzug zu geben. Die eigene Meinung der Redaktion wird zwar gepflegt, meist jedoch ohne Anlehnung an eine bestimmte Partei, es sei denn in der sozialistischen und kommunistischen Presse, obwohl selbst in solchen Zeitungen Gesichtspunkte einer möglichst breiten Verkaufsfähigkeit manchmal den engeren parteipolitischen Standpunkt überragen. Das erfolgreichste Tageszeitungsorgan der Bundesrepublik ist ein Blatt, das die Illustration und die darauf abgestellte Information mit äußerster Präzision zum Ausdruck zu bringen verstand. Der sensationelle Aufstieg dieses Organs kennzeichnet zugleich das Bedürfnis der Massen, nicht nur auf das prägnanteste, sondern auch in einer auf das menschliche Interesse eingerichteten Form zu befriedigen. Bisher aber ist diese Form in der Bundesrepublik kaum nachgeahmt worden, obwohl der Boulevard-Stil im allgemeinen die größeren Auflagen erreichte. Die Bedeutung des tiefgründigen Leitartikels ist zurückgegangen. Ein prägnanterer Stil und eine aufgelockerte Aufmachung traten an die Stelle der ausführlichen Darstellung.

Statistiken haben ergeben, d.ß ungefähr in jedem Haushalt der Bundesrepublik beute eine Zeitung gelesen wird. Auf 3,29 Personen entfällt im Durchschnitt ein Zeitungsexemplar. Die gesamte Druckauflage der Zeitungen erreichte im ersten Halbjahr 1955 15,854 Mill. Stück, und diese Druckauflag.e wurde in 16,374 Mill. Haushalten gelesen. Die starke Wiederentwicklung der Heimatzeitungen wird auch durch die Auflagen gekennzeichnet; während die FJttrch-schnittsauflage aller Zeitungen bei etwa 25.448 Exemplaren liegt, ist die Auflagengruppe zwischen 2000 und 5000 Stück die größte. Nur 36 Zeitungen der Bundesrepublik und West-Berlins haben eine Auflage von mehr als 100.000 Stück, 39 eine solche zwischen 50.000 und 10.000 und 74 eine Auflage zwischen 20.000 und 50.000; 82 Zeitungen haben 10.000 bis 20.000 Auflage. Charakteristisch für die Struktur der deutschen Nachkriegspresse ist ihre Gliederung in Haupt- und Nebenausgaben. Nach einer Untersuchung des Instituts für Publizistik an der Universität Münster gab es Anfang Dezember 1954 225 Zeitungen mit 1500 Ausgaben. Die meisten Zeitungen erscheinen in Bayern (45 mit 316 Ausgaben). In Nordrhein-Westfalen werden 41 Zeitungen mit 411 Ausgaben hergestellt, in Hessen 30 mit 144 Ausgaben, in Baden-Württemberg 33 mit 247 Ausgaben, in Schleswig-Holstein 13 mit 76 Ausgaben und in Hamburg 10 mit 23 Ausgaben. Dabei ist es charakteristisch, daß im Gegensatz zu dieser Konzentration der 1500 Ausgaben auf 225 Zeitungen die Vielfalt der Zeitungstitel hervorragt.

Nachrichtenquellen für die deutsche Tagespresse sind, abgesehen von den eigenen Reportern und Korrespondenten, die Nachrichtenagenturen (DAP), die zahlreichen Korrespondenzen und natürlich auch die Rundfunksender. Diese sind allerdines zugleich Nachrichtenempfänger, da sie einen großen Teil ihres Materials von den Agenturen erhalten und von anderen, journalistischen'Mitarbeitern. So ist die Zusammenarbeit zwischen Rundfunk und Presse im Nachkriegsdeutschland eng geworden. Tn diesem Sinne besteht kein unfruchtbarer Wettbewerb, sondern eine Gemeinschaft, die dem Nachrichten- und Informationsbedürfnis von Lesern und Hörern entgegenkommt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung