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Die Dogmatiker und der Taktiker

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Sehr vielsagend in diesen Aufzeichnungen ist die Stellung, die Renner zu den zwei bedeutendsten Menschen des öffentlichen Lebens der Ersten Republik einnimmt: zu Doktor Ignaz Seipel und Dr. Otto Bauer, von denen der erstere sein Gegner, weltanschaulich und als Politiker, der zweite sein führender Parteigenosse war, neben Seitz die stärkste Persönlichkeit des österreichischen Sozialismus seit Dr. Viktor Adlers Tode. Merkwürdig, wie scharf in beiden Fällen die gegensätzliche Natur Dr. Renners zu diesen beiden Grundsatzmenschen wirkt, sein diplomatischer Optimismus, seine Begabung zu kompromißlichcr Lösung, seine taktische Wendigkeit, die, wo es nottut, so oder auch anders kann. In den Couloirs hat man dafür das grobe Wort „der Packler“ geprägt. Unzweifelhaft rettet Renner durch seine Geschmeidigkeit seine Partei und auch den Staat aus kritischen Situationen, so da Otto Bauer als Leiter des Außenamtes vor den Friedensverhandlungen durch seine Anschlußpolitik und seine Handlungen die Staatsführung in eine gefährliche Lage hinein-manöveriert hatte, indes Renner unmittelbar vor Erscheinen der österreichischen Friedensdelegation in St.-Germain aus seinen pathetischen Kundgebungen für den Anschluß rasch in eine „westliche Orientierug“ hinüberzuwechseln vermochte. Renner ist Evolutionist, der Marxismus ist für ihn eine historische Angelegenheit, kein bluterfülltes Leben mehr. Das Revoluzzerische liegt ihm weit ab, wenn er auch gelegentlich wild und ungebärdig tut. Interessant, wie er das Entstehen bewaffneter Parteiformationen hüben und drüben einfach als die Nachgeburt des Frontgeistes nach dem ersten Weltkrieg analysiert und vom „Republikanischen Schutzbund“ seiner Partei leise ablehnend sagt, er hätte „unvermeidlich militärische Vorstellungen wiedererweckt; die junge Arbeitergeneration begann angesichts der Unergiebigkeit des parlamentarischen Systems (!) zu kommunistischen Auffassungen hinzuneigen, sie rangierte sich nach links, ohne übrigens die Partei zu verlassen“.

Hier sind Feststellungen enthalten, die von der bisherigen landläufigen parteipolitischen

..Oesterreich von der Ersten zur Zweiten Republik“ — Verlag der Volksbuchhandlung.

Dialektik abweichen, der zufolge der Schutzbund erst eine Reaktion auf die Heimwehr und im übrigen eine recht brave Einrichtung gewesen sei.

Die zweite Distanz, die Renner von seinem Parteigenossen Otto Bauer trennt, wird sichtbar, wenn er dessen Gestalt mit den Sätzen umreißt:

„Einer der Führer des sogenannten Austro-marxismus, jener Schule von Theoretikern und Praktikern des Sozialismus, welche die Lehren ihrer Meister am erfolgreichsten fortgebildet hatten; durch drei Jahre russischer Kriegsgefangenschaft noch mehr in sich selbst konzentriert und unter dem Eindruck der russischen Revolution Kerenskijs von 1917, die ihn freigesetzt und nach Petersburg geführt hatte, noch tiefer in die revolutionäre Ideologie verstrickt, erlag er dem gleichen Dogmatismus als linker Sozialist wie Seipel als katholischer Priester. Und was im sonstigen Leben als Vorzug des Charakters zu werten ist, das ernste unbeugsame Festhalten an der gewonnenen Ueberzeugung, wurde hier' zum politischen Fehler. Zu jener Zeit galt es also für viele Sozialisten noch als Versündigung am Prinzip, als „Reformismus“, sich mit einer bürgerlichen Partei zu koalieren, dem bürgerlichen Staate anders zu dienen als in der Absicht, ihn so rasch und so gründlich wie möglich abzutun. Otto Bauer machte durch seine starre Haltung, durch dasGewichtseinerPersön-lichkeit auch der Sozialdemokratie den Eintritt in die Koalition außer um den Preis einer Parteispaltung unmöglich. Diesen Preis zu zahlen aber war kein Sozialdemokrat bereit.“-Dr. Renner notiert es dann auch kritisch, daß „unter dem Einfluß Otto Bauers unbegreiflicherweise die Sozialdemokraten es unterließen“, im November 1920 für Dr. Hainisch bei der Wahl des ersten Bundespräsidenten zu stimmen.

Wohl die zeitgeschichtlich bedeutungsvollste Aussage Dr. Renners knüpft an den Sozialdemokratischen Parteitag von 1927 an. Er hatte eine bewegte Vorgescchichte: Im Juni 1920 war die Koalition der beiden großen Parteien an dem Konflikt zerbrochen, den die von Staatssekretär Dr. Julius Deutsch erlassene Dienstvorschrift für Soldatenräte hervorgerufen hatte. Die schon im Herbst folgenden allgemeinen Neuwahlen brachten die Sozialdemokratische Partei, die fast um 200.000 Stimmen weniger als die Christlichsoziale erhielt, um ihre Vormachtstellung. Sie verwand diese Niederlage nicht und ihr Führer Dr. Otto Bauer trug daran um so schwerer, als sein politischer Antipode Doktor Seipel auch noch die Erfolge des Genfer Werkes für seine Regierung buchen konnte; viermal hatte Dr. Seipel umsonst die zweitgrößte Partei zum Eintritt an die Arbeitspartnerschaft vergeblich eingeladen. Die blutige Revolte vom 15. Juli 1927 mit dem Brand des Justizpalastes stand schon im Vorspiel des einsetzenden Dramas. Wie Dr. Renner sagt, verurteilten in der Sozialdemokratischen Partei „die radikalen Elemente“ nach diesem Katastrophentag den „Abbruch des Kampfes und waren unzufrieden, daß man ihn nicht zur bewaffneten Revolution gesteigert hatte“. Ende Oktober 1927 trat der Sozialdemokratische Parteitag zusammen. Hier berichtet rückschauend auf die Entwicklung Dr. Renner:

„Hier traten zum ersten Male seit vielen Jahren vor der gesamten Parteimitgliedschaft die Gegensätze zutage, die schon seit 1920, seit dem damali-' gen Austritt aus der Regierung, im Inneren sich ständig abgemüht hatten, nach außenhin jedoch verkleidet blieben, um die dauernd in schwerste Kämpfe verwickelte Partei durch Uneinigkeit nicht zu schwächen. Otto Bauer vertrat die unversöhnliche Richtung, vom stürmischen Beifall begrüßt und belohnt. Frostig aufgenommen und in leidenschaftsloser Gelassenheit trat ihm Karl Renner entgegen; er schilderte die Gefahr, die dem Land durch einen Bürgerkrieg drohe, betonte die Errungenschaften der Arbeiterschaft, die auf dem Spiele stünden und forderte eine Taktik der Verständigung mit dem Teil der bürgerlichen Welt, der noch immer demokratisch geblieben war. Eine Koalition sei im Interesse der ruhigen Entwicklung des Landes geboten . .. auch die bürgerliche Welt wünsche den Bürgerkrieg nicht. Zu einer Vermeidung sei ein parlamentarisches Regime der Verständigung geboten. Dies vor allem zum Behufe einverständlicher, gleichzeitiger Abrüstung aller bewaffneten Formationen.“ (S. 43.)

Am selben Tage noch erhielt Renner die Antwort des Republikanischen Schutzbundes, der am gleichen 15. Oktober in einer Konferenz neuerdings seine „Bereitschaft zum Kampfe für die Republik gegen die kapitalistische Diktatur bekräftigt hatte. S o k a m e s zu keiner Koalitio n.“

Rückhaltsloser, als Renner in der zitierten Niederschrift es getan, konnte die Verantwortlichkeit Otto Bauers, des Führers der „radikalen Elemente“, für den Ablauf der bedrohlichen inneren Entwicklung kaum herausgestellt werden. Dreimal in seinem Buche kehrt Dr. Renner sich gegen Bauer, klagt ihn der Schuld an, eine Einkehr zur friedlichen Entwicklung verhindert zu haben.

Der Widerspruch der Temperamente,, der sich in das Persönliche vertiefte, dieser Zusammenstoß des politischen Managers mit einem Tribunen erklärt in der Tat manches Rätsel in dem damaligen Geschehen: Die Sozialdemokratische Partei war unter den damaligen Umständen, wie Renner sie schildert, zu einer Mithilfe an der innerpolitischen Befriedung und Konsolidierung nicht zu haben. Also nicht Seipel war der Schuldtragende, wie die politische Legende zu erzählen pflegt.

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