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Die dritte Stimme

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Im vergangenen Herbst tauchte als Reaktion gegen die Truman-Erklärung über Griechenland und die Türkei einerseits und gegen die Konstituierung der Kominform andererseits die Idee der „dritten Kraft" auf; Es wurde darunter zweierlei verstanden: einmal ein demokratischer Sozialismus mit einer doppelten Front gegen östlichen Kommunismus und gegen westlichen Kapitalismus, zum andern eine neutrale Außenpolitik europäischer Festlandsstaaten. Beides war natürlich als wirksam nur auf der Grundlage einer internationaler Verständigung zwischen Ländern gedacht, die nicht genug östlich liegen, um sich unter allen Umständen einem Moskauer Diktat beugen zu müssen, aber doch so weit der atlantischen Einflußsphäre entrückt sind, daß sie den Wunsch hegen müssen, in einen amerikanisdi-russischen Konflikt nicht hineingezogen zu werden. In dieser ersten Phase würde der Gedanke der „dritten Kraft“ zwar sehr lebhaft nicht nur in ver- sdtiedenen Parlamenten, sondern auch in der Presse, besonders der sozialistisdaen Presse Frankreichs und Englands, diskutiert, aber die Anschauungen über seine praktische Verwirklichung waren im allgemeinen eher vage und gingen weit auseinander. Es bestand wohl eine Zeitlang' die etwas verschwommene Vorstellung, man könnte eine parteipolitische Verständigung mehrerer mittel- und westeuropäischer Staaten, die von Sozialisten regiert werden, mit einem Einvernehmen über eine gemeinsame neutrale Außenpolitik kombinieren. E ie ganze Erörterung verschwand dann ebenso plötzlich, wie sie entstanden war.

Warum? Der Gedanke schien doch im ersten Augenblick viel für sich zu haben, ja, man möchte sagen, er lag auf der Hand, er drängte sich geradezu auf. Nun, wieder einmal stießen sich die Dinge zu hart im Raume. Vor allem wirkte die Idee der „dritten Kraft" auf die großen Sozialistischen Parteien des europäischen Festlandes sogleich wie Scheidewasser. Namentlich in Frankreich und Italien, in den zwei Ländern, auf die es bei Bildung eines neutralen Blocks in erster Linie ankäme, machte sich die starke innere Spannung zwischen einem rechten Flügel, der — zumeist aus nationalen Gründen — bereit ist, die amerikanische Hilfe zur wirtschaftlidien Konsolidierung des Landes anzunehmen und sicherzustellen, und einem linken Flügel, der unter keinen Umständen die Fühlung mit Moskau verlieren möchte, leidenschaftlich geltend. Der scharfe Gegensatz zwischen Saragat-Sozialisten und Nenni-Sozialisten in Italien ist dafür das beste Be:spiel. Diese Spannungen wurden durch den Marshall- Plan in dem Augenblick akzentuiert, da Moskau eine Teilnahme schroff ablehnte und sich die Ostblockstaaten einschließlich der Tschechoslowakei, die bereits ihre Beteiligung zugesagt hatte, der Ablehnung ansdilossen. Wie schwierig es unter diesen Umständen für einen mitteleuropäischen Staat wurde, eine neutrale Linie einzuhalten, zeigt gerade der Fall der Tschechoslowakei, eines Landes, das für eine Politik der „dritten Kraft" prädestiniert erschien. Das Vorgehen der Vereinigten Staaten im Mittelmeer sdiuf gleichzeitig und in fortschreitendem Maße für alle im Bereich dieser See gelegenen Länder eine Lage, in der eine neutrale Politik wenig Aussicht hatte, sich durchzusetzen. In Frankreich löste zu allem der amerikanische Wunsch, die Industrie Westdeutschlands in die Höhe zu bringen und dieses Gebiet in den Marshall-Plan einzubeziehen, ein starkes Bedürfnis nach vorbehaltloser Anlehnung an Großbritannien aus. Die psychologisch wichtigste Ursache für das plötzliche Verflartern des Gedankens einer „dritten Kraft“ lag vielleicht in einem großen Irrtum — wenn man es so nennen kann —, der sich in der euro- päisdien öffentlichen Meinung seit dem vergangenen Herbst eingenistet hat und darin besteht, daß man den russischen Block dem totalitären Sozialismus und den in Bildung befindlichen Westblock der freiheitlichen Demokratie gleichsetzt, daß man also behauptet, nur derjenige, der für ein Zusammengehen mit Rußland eintritt, diene des Interessen der arbeitenden Menschheit, und jeder, der sich einer Zusammenarbeit mit Amerika nicht widersetze, verrate die Sache des Sozialismus.

So ist es jetzt recht still geworden um den Gedanken der „dritten Kraft“. Ja, es waren gerade die besonnensten und erfahrensten Sozialisten, die ihn auch bei uns als eine gefährliche Illusion abtaten. Aber wenn er auch als Plan einer internationalen Organisation zur Stunde aus der Publizistik so gut wie verschwunden ist, so macht er sich doch von Zeit zu Zeit als „dritte Stimme" immer wieder vernehmbar. In diesen Tagen hat der schwedische Außenminister Unden im Stockholmer Parlament eine Rede gehalten, in der er sagte, Schweden werde sich an einer westeuropäischen Union nicht beteiligen, um nicht der Möglichkeit beraubt zu werden, in einem künftigen Kriege seine Neutralität zu bewahren. Dieser Äußerung folgte eine Besprechung der Ministerpräsidenten Schwedens, Norwegens und Dänemarks auf dem Fuß, die, wie es heißt, dem Gedanken eines neutralen skandinavischen Blocks galt. Auf der internationalen Handelskonferenz in Havanna erklärte, vor kurzem der Sdiweizer Vertreter Minister Stucki, die Schweiz könne sich angesichts ihrer geographischen Lage und der gegenwärtigen politischen Verhältnisse eine internationale Bindung nicht leisten, die mit dem Prinzip strengster Neutralität unvereinbar wäre. Diese dritte Stimme war vielleicht auch aus der Ablehnung herauszuhören, welche der nach dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz einen Augenblick aufgetauchte Gedanke eines Separatfriedens der Vereinigten Staaten mit den von den Russen nidit besetzten Teilen Deutschlands 'find Österreichs sofort in Erklärungen Dr. Kurt Schumachers und Dr. Grubers gefunden hat.

Es liegt nicht in unserer Absicht, für die Idee der „dritten Kraft“ hier eine Lanze zu brechen, sondern wir wollen lediglich Tendenzen und Strömungen registrieren, die offenbar durch die sich täglich in erschreckender Weise vergrößernde Gefahr einer neuen Konflagration hervorgerufen werden und dieser furchtbaren Drohung entgegenzuwirken versuchen. Wer wollte es leugnen, daß derartige Versuche die höchste Aufmerksamkeit verdienen, von welcher Seite sie auch kommen, wie vereinzelt und vorsichtig sie auch auftreten und wie wenig realpolitisches Gewicht sie im Augenblick auch besitzen mögen! Ist es auch länge nidit eine „dritte Kraft", deren Heranbildung wir da verspüren, so ist es immerhin eine dritte Stimme, die ebenso in Washington wie in London und Moskau gehört zu werden verdient. In Washington: weil man im Weißen Haus gewiß das Bedürfnis empfindet, die öffentliche Meinung in den der russischen Grenze näher als dem Atlantik gelegenen Ländern genau zu kennen, und weil der Marshall-Plan desto mehr an moralischer Kraft gewinnt, je mehr die amerikanische Regierung solche Tendenzen einer unabhängigen Haltung der von ihr wirtschaftlich geförderten Staaten unterstützt. In London: da doch Bevin selbst — wenigstens eine Zeitlang — es sich angelegen sein ließ, einen dritten Weg zu gehen, auf dem für Großbritannien offenbar die Chance liegt, sich aus einem eventuell amerikanisch russischen Konflikt herauszuhalten und auf diese Weise seine frühere Weltgeltung wieder zu erjangen. Und in Moskau: weil man dort jede Entwicklung begrüßen müßte, welche geeignet wäre, die Bedeutung eines Westblocks abzuschwächen und der Sicherheit Rußlands ein neutrales Vorgelände zu bieten. Und schließlich dürfte diese dritte Stimme überhaupt nirgends überhört werden, am allerwenigsten im Sicherheitsrat der „Vereinten Nationen", denn sic ist die letzte Stimme, die noch zu Vernunft und Verständigung mahnt, in einer Welt, in der täglich nur höchst gefährliche Dinge geschehen und neue Explosionen den Untergang der menschlichen Gesittung besiegeln müßten.

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