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Die „Dynastie weinen

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Nicht nur die finnische KP war seit eh und je eng mit der sowjetischen Entwicklung verknüpft. Der finnische Staat selbst stand seit seiner Entstehung im Jahre 1917 dicht im Schatten der Sowjetunion.

Eine — weniger aus Spannung als vor Kälte — zitternde finnische Regierungsdelegation stand an einem bitteren Dezembertag des Jahres 1917 in einem ungeheizten Raum des Petersburger Smolny-Instituts vor Lenin, um die Entscheidung entgegenzunehmen. Sie wurde wenig gnädig gegeben. Lenin drehte sich, nachdem er die Anerkennung der finnischen Republik ausgesprochen hatte, zu dem gleichfalls anwesenden Trotzki um und sagte: „Was soll man denn mit diesen Bourgeois machen? Eigentlich müßte man sie erschießen, aber …” Dieses Aber stand vor dem eigentlichen Grund der Anerkennung: die prekäre innere und äußere Lage der russischen Sowjetrepublik in jenem Augenblick. Zu solcher widerwilligen Kenntnisnahme der finnischen Selbständigkeit sollte es noch einige Male in der Geschichte der russisch-finnischen Beziehungen kommen. Trotzki aber versuchte damals noch einen anderen Weg. Er schickte sofort nach der Zusammenkunft mit der finnischen Delegation an die Leitung der Sozialdemokratischen Partei Finnlands ein Telegramm: „Die Stunde zu handeln ist gekommen. Konzentriert 15.000 Rotgardisten in Helsingfors und Umgebung. Ergreift Macht. Verhaftet Regierung.”

Als aber die Linken in der finnischen Sozialdemokratie, geführt von Otto K u u s i n e n, dem Auftrag Trotzkis folgten und einen Aufstand inszenierten, stießen sie auf den energischen Widerstand der von Svin- hufvud und später von Mannerheim geführten Weißen Garden. Der Bürgerkrieg wurde drei Monate lang von beiden Seiten mit wildem Haß geführt und kostete 6000 Menschen das Leben. Der weiße Terror der Lapua- Bewegung, die kalvinistischen Ursprungs war und dann die faschistischen Methoden der italienischen Faschisten imitierte, richtete sich schließlich nicht nur gegen die Kom munisten, sondern auch gegen Sozialisten, Gewerkschafter und Genossenschafter. Die Folge war, daß die KP mit mehr Sympathien, als sie vermutlich verdiente, und mit 128.000 Wählerstimmen und 23 von 200 Sitzen im Parlament 1929 in die Illegalität ging. Unter der Präsidentschaft des Generals Mannerheim entstand in Finnland ein ähnliches Regime wie in Ungarn unter Admiral Horthy: ein parlamentarischer Polizeistaat, in dem die Sozialisten gerade noch geduldet wurden.

Der vergessene Krieg

Am 30. November 1939 verschaffte die Sowjetarmee dem General Mannerheim eine nachträgliche Legitimation für sein Regime: sie fiel in Finnland ein, weil sich dessen Regierung geweigert hatte, einen „Nichtangriffspakt” mit der Sowjetunion abzuschließen, der die Auslieferung von Gebieten im Osten und Südosten Finnlands beinhaltete, mit denen die Russen ihre strategische Situation gegen Deutschland zu verbessern wünschten. Der „erste” finnische Krieg brachte der Sowjetunion zwar Feind’, aber kein Ehr’. Dies um so weniger, als die Armee des Riesenstaates drei Monate brauchte, um die finnischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Im Gefolge der Roten Armee kam Otto Kuusinen und gründete eine „Volksregierung”. Als jedoch im März 1940 ein Friedensvertrag zwischen den beiden Staaten abgeschlossen wurde, geschah das in Abwesenheit von Kuusinen und seiner Volksregierung, der sodann nur jene Gebiete untergeordnet wurden, welche Finnland an Rußland ausliefern mußte. Der finnische Widerstand hatte es den Russen unmöglich gemacht, Finnland auf ähnliche Weise wie Litauen, Lettland und Estland zu annektieren und sich einzuverleiben.

Als Hitler im Juni 1941 das deutsch-sowjetische Abkommen brach und in Rußland einfiel, da erklärte auch Finnland den Russen den Krieg, um die Gebiete zurückzuerhalten, die es ihnen 1940 hatte ausliefern müssen. Die finnischen Sozialdemokraten befanden sich damals in einer wahrhaft unglücklichen Lage. Patriotisches Interesse gebot ihnen, zumindest stillschweigend zu billigen, daß ihr Land einen Krieg an der Seite einer Macht führe, die ihnen noch verhaßter als jene war, von der es die geraubten Teile des Landes zurückzugewinnen galt. Mit dieser Spaltung im Herzen der finnischen Sozialdemokraten kam es auch zu einer Spaltung in der Partei selbst. Eine Gruppe von sechs auf dem linken Flügel stehenden Abgeordneten, die von Mauno Pekkala geführt wurden, weigerte sich, die Kriegspolitik zu unterstützen, und verlangte Friedensverhandlungen mit den Russen.

Als der Krieg in Finnland zu Ende war (September 1944), wurde der bereits erwähnte Linkssozialist Pekkala

Premierminister; der Kommunist Irjö Leino, der Schwiegersohn Otto Kuusinens, wurde Innenminister, und der Führer der SP, Tanner, wurde wegen seiner Billigung des Waffenbündnisses mit Hitler vor Gericht gestellt; er wurde zu fünfeinhalb Jahren Kerker verurteilt und saß davon zwei Jahre ab, ehe er amnestiert wurde. Da Tanner ein ehrlicher Antifaschist war, der in der Innenpolitik den Nazismus ständig bekämpft und zum Beispiel die Auslieferung von jüdischen Flüchtlingen ‘ an Hitler-Deutschland verhindert hatte, rief seine Verurteilung starke Erbitterung bei seinen Anhängern hervor, die ihn als Märtyrer und die Linkssözialisten als Verräter ansahen. Damit wurde die Spaltung innerhalb der Partei verstärkt, und die Linken schlossen sich mit den Kommunisten zum „Volksdemokrati-schen Bund” zusammen, der bei den Wahlen im Jahre 1945 51 von

200 Sitzen im Parlament gegenüber 52 der SP erhielt.

Man könnte nun fragen, warum es damals in Finnland, mit russischen Truppen im Lande und unter den übrigen Auspizien, nicht zu einer kommunistischen Machtübernahme wie in der CSSR und anderen Volksdemokratien gekommen ist. Ohne Zweifel wurde die Entscheidung darüber — wie schon 1917 und 1940 — nicht in Finnland, sondern in Rußland getroffen. Sicherlich aber ist dabei die Erinnerung an den von der anderen Seite gewonnenen Bürgerkrieg und an den so blamablen Dreimonatkrieg wirksam gewesen. Tatsächlich führte die Frage, ob sofortiger volksdemokratischer Umsturz oder langsame „evolutionäre” Durchdringung, damals zu einem heftigen Streit in der Führung der KP, der mitten durch die Dynastie Kuusinen ging und zur Scheidung der Ehe Hertha Kuusinens, der Nachfolgerin ihres Vaters in der Spitze, und ihres Mannes Leino, des vorigen Innenministers, und darnach zu dessen Ausschluß aus der Partei führte.

Die durch die postume Entthronung Stalins hervorgerufenen Erschütterungen im Weltkommunismus wirkten sich in Finnland insbesondere auf die linkssozialistischen Partner der KP aus, von denen sich die meisten führenden Funktionäre aus dem Bündnis zurückzogen. Seltsamerweise war die Führung der SP nicht imstande, diese Situation auszunützen und die Kräfte des demokratischen Sozialismus in Finnland wieder zu vereinigen. Die Hauptschuld hieran trug die durch Ressentiments verursachte Unfähigkeit Tanners, seine antikommunistische Haltung in der Innenpolitik mit einer Spur von außenpolitischem Verständnis für die besondere, durch den Kriegsausgang hervorgerufene Lage sowie für die damit verbundenen Verpflichtungen Finnlands gegenüber der Sowjetunion in Einklang zu bringen. Diese Haltung wirkte sich 1958 besonders ungünstig für die wirtschaftliche Lage Finnlands aus. Als die Russen bemerkten, daß die Richtung Tanners zu stark in der finnischen Regierungspolitik hervordrang . schränkten sie ihre Einfuhren aus Finnland außerhalb der Reparationszahlungen ein. Die Folge war eine starke Arbeitslosigkeit, die zu starken Oppositionsstimmungen in der SP und zur neuerlichen Absplitterung einer ‘Gruppe in der SP führte. Diese Gruppe bildete eine neue Partei, den „Sozialdemokratischen Arbeiter- und Kleinbauernbund”, der unter Führung Aare Simonens steht, eines ehemaligen SP-Innenministers, der vordem einer der von den Kommunisten meist- gehaßten Politiker war. Nach seinem Bruch mit Tanner begrüßten sie jedoch ihn und seine Partei freund- schaftlichst als neue Partner.

Wie lange noch Neutralität?

Bei den letzten Wahlen demonstrierten die sozialistischen Wähler gegen die innere Uneinigkeit in ihrer Partei durch Wahlenthaltung, und die Kommunisten profitierten mit ihrem Volksdemokratischen Bund und Wahlblock mit den Linkssozialisten nicht wenig davon. Obwohl sie nur einen Zuwachs von 17.000 Stimmen im ganzen Lande aufwiesen, errangen sie eine proportioneil ungleich höhere

Zahl von Sitzen — nämlich 50 von 200 — und wurden damit zur stärksten Gruppe im Parlament.

Hierbei erhebt sich immer wieder die Frage, wann die KP diese Lage ausnützen wird, um die Bildung einer Volksfrontregierung durchzudrücken. Es wird erklärt, daß dem vor allem die verhältnismäßig wohlhabenden bäuerlichen Anhänger der Agrarier in Mittel- und Südfinnland entgegenstehen. Die längste Zeit jedoch kamen auch von jenseits der Grenze immer wieder Hinweise, daß die Russen im Hinblick auf die übrigen skandinavischen Länder an einer neutralen Haltung Finnlands interessiert sind. So glaubt man, daß ein Aufgeben des neutralen Status quo infolge einer Volksfrontregierung die Schweden veranlassen würde, sich mit Atomwaffen auszurüsten.

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