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Die einzige Konsequenz

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Diejenigen, die sich ernsthaft mit der geistigen Landesverteidigung auseinandersetizen, sind nahezu restlos in zwei Gruppen gespalten: die einen halten nichts vom Geist, und den anderen ist Landesverteidigung ein Greuel. Wer ein Bild dieses kuriosen Zwiespaltes bekommen will, lese in Nummer 2/65 der Zeitschrift „Die Republik” nach, was Albert Massiczek unter dem Titel: „Mehr Geist oder geistige Landesverteidigung” seinem Widerpart, den „Militaristen”, vorzuwerfen hat.

Die von Albert Massiczek, in anderen Schattierungen von Wilfried, Daim vertretene Gruppe hat erkannt, daß, wenn sie der ganzen Landesverteidigung eins au9wischen will, der Hebel am leichtesten bei der geistigen amzusetzen und zu bewegen ist; wem es einmal gelungen ist, den Geist der Landesverteidigung in Frage zu stellen oder ihr Geist schlechthin abzusprechen, ohne Vorschläge zum Guten unterbreitet zu halben, der braucht sich weiter keine Sorgen au machen, denn mit der ideellen Basis fällt der gesamte Bau der Landesverteidigung, und es kostet geringe Mühe, die traurigen Reste zu beseitigen. Auf die einfachste Formel gebracht und allen Zierats entkleidet, stellt sich die demonstrierte Gedankenfolge unserer Freunde, die sich einem radikalen Pazifismus verschrieben haben, etwa so dar: das Bundesheer krankt offensichtlich an vielen Fehlem; ergo ist Landesverteidigung ein Unding.

Wer ist ein Militarist?

Den pazifistischen Patrioten ist nicht die Kritik an der geistigen Landesverteidigung oder an der Landesverteidigung überhaupt vorzuwerfen, sondern daß sie, in der Absicht, gegen jede Art der bewaffneten Landesverteidigung anzukämpfen, unter dem Vorwand besorgter Kritik an konkreten Mißständen das Diskussionsthema verschieben, um ihre Ziele zu verwirklichen. Typisch ir diese als Sachlichkeit getarnte Polemik ist es, gewisse — bisweilen mehr als ungeschickte — Äußerungen der Verfechter einer aktiven Verteidigungspolitik aus dam Zusammenhang zu reißen, durch entsprechende Kommentierung die Drastik zu erhöhen und dann emphatisch auszurulen, statt Landesverteidigung seien Humanität, eine bessere Dotierung der Wissenschaft, eine vermehrte Entwicklungshilfe oder meinetwegen Ersatz der Hochwasserschäden zu fordern.

Wer aber hat denn in jüngerer Zeit hierzulande ernsthaft behauptet, man müsse dem Militär den Vorrang im Staat einräumen, andere Staatszwecke sollten auf den zweiten Rang verwiesen werden? Erst eine solche Geisteshaltung würde jemanden als Militaristen auswei- sen, nicht aber die Überzeugung, Österreich solle auch mit Waffen verteidigt werden und dem Bundesheer sei nicht nur materiell, sondern vorerst einmal geistig zu Hilfe zu kommen. Darin liegt nun die Schuld so mancher Patrioten: Sie polemisieren unsachlich gegen die Institution Landesverteidigung schlechthin und lösen mit ihrer Kritik natürlich keine Verbesserungen aus. Positive Beiträge alber unterbleiben.

Landsknechtmentalität?

Die Argumente der radikalen Pazifisten sind etwa folgende: Man wirft den Planverfassern der geistigen Landesverteidigung Lands- knechitmentäMtät vor, denn ihnen sei egal, wen oder was sie mit Waffen schützen wollen, sie hätten keine Ahnung von Österreich und wollten nur wild „drauflosverteidigen”.

Leider geht dieser Vorwurf nicht einmal völlig ins Leere. Gehört es aber nun zu den Obliegenheiten der Planverfasser einer geistigen Landesverteidigung, vor Beginn ihrer Arbeit in der Sache selbst die Denkvoraussetzungen zu schaßen, eben das Staatsbewußtsein? Sie haben sich gewiß als Österreicher zu legitimieren, das heißt aber noch lange nicht, daß sie auch das Verteidigungsobjekt selbst aufbauen müssen, statt Österreich voraussetzen zu dürfen. Wir sollten jetzt endlich so weit sein, daß Österreich in politischen Grundsatadefoatten als werthafte Realität festste’ht, nicht nur als eine außer Diskussion gestellte Hypothese.

Gerade in dieser Periode der Abenddämmerung unserer Tagespolitik sollten wir alle uns, wie immer wir zu aktuellen politischen Fragen stehen mögen, unserer Liebe zum Vaterland besinnen, trotz oder gerade wegen der vielen Fehler, die wir an ihm entdeckt haben, denn seine Fehler sind doch nur die Summe unseres persönlichen Versagens. Man soll nicht denen, die sich über geistige Landesverteidigung Gedanken gemacht haben, diese Mühe vorwerfen, denn es ist nicht Aufgabe der geistigen Landesverteidigung, den Patriotismus zu wecken, sondern auf dem Fundament eines schon vorhandenen den Verteidigungswillen wachsen zu lassen.

Polemik von links

Ein weiterer Vorwurf entspringt der Gewohnheit, jeder Diskussion parteipolitische Essenzen beizumengen, um der langweiligen Sachlichkeit nicht restlos zu verfallen und das Gespräch etwas prickelnder zu gestalten. In unserem Fall handelt es sich um den Vorwurf, die SPÖ sei aus der Gestaltung der Landesverteidigung ausgeschlossen und das sei ein Mangel. Soll denn auch die Landesverteidigung dem „Allheilmittel” Proporz zum Opfer fallen, und ist die SPÖ so schüchtern, daß sie sich bei ernstlichem gutem Willen nicht aus dem Schmollwinkerl hervorgetraut und ohne viel zu fragen eingeschaltet hätte?

Die Antipathie der Sozialisten gegen das Heer ist keine reine Erfindung der „Rechten”, sondern ein bei der linken Reichshälfte mit Inbrunst gepflegter Brauch, schon seit Kaisers Zeiten von Vätern zu Söhnen weitergegeben und damit ebenso traditionell wie der naive romantische Militarismus preußischer Offl- ziersfamilien.

Die Nur-Soldaten

Was die Sozialisten derzeit zum Bundesheer zu sagen haben, manifestierte sich recht lebhaft in den Budgetdebatten, in den Kommentaren sozialistischer Blätter zu den Herbstmanövem, im Thirring-Plan und schließlich in jenen Maiaufmarschtransparenten, die seit 1955 unserer bewaffneten Macht „gewidmet” worden sind.

Das Vakuum an Wehrgesinnung reizt Soldatenbündler a la Maria Langegg und die abgetakelten Wehrmachtgrößen zu einer Aktivität, die in Heereskreisen Nachhall finden muß: Die Nur-Soldaten, die echten Landsknechte, denen Ideologie tatsächlich egal bleibt und die dabei, weil sie ihren Beruf eben ernst nehmen, militärisch recht tüchtig sein können, neigen ihnen gerne ihr Ohr. Doch auch viele Offiziere, vor allem der jungen Generation, denen Österreich ein Begriff ist, können die vaterländische Linie nicht durchhalten, wenn sie überall dort wegen ihres Soldatseins auf geringes Verständnis, ja auf Mißachtung stoßen, wo man sich überaus österreichisch gebärdet. Es ist der falsch verstandene Antimilitarismus, der auch die jungen Offiziere in die Arme der Kameradschaftsbündler treibt.

In der Uniforaiierungsfrage kommt den wehrmachtsromantischen Träumen auch noch die panische Angst der Sozialisten entgegen, unsere Soldaten könnten gar ein Kleidungsstück tragen, das auf K. u. K. Tradition zurückgeht. Der Doktrin opfert man gerne jene patriotischen Impulse, die von einer lebendigen und nicht bloß Selbstzweck besitzenden Traditionspflege jener Armee ausgehen würden, die oft in dunklen Tagen der Vergangenheit Österreich allein bewahrt hat und schon aus ihrer Struktur heraus Feind des mörderischen Nationalismus war. Auch hier ist es ersichtlich: Radikaler Pazifismus spielt nun dem wirklichen Militarismus in die Hände.

Die dritte Position

Es liegt an den Bekennem der österreichischen Nation, den beiden bisherigen Alternativen des deutschnational gefärbten Militarismus und des patriotischen Pazifismus stärker vielleicht noch als bisher einen neuen Standpunkt entgegenzustellen: das Ja zu Österreich und zugleich zu seiner bewaffneten Verteidigung. Sie sollten von allen Verkrampfungen, Vorurteilen und parteipolitischen Verzerrungen Abschied nehmen und brauchbare Konstruktionselemente zur geistigen Landesverteidigung beitragen. Dann wird das Bundesheer davor bewahrt bleiben, einen geistigen Ableger der Deutschen Wehrmacht abgeben zu müssen, dann wird es vielleicht sogar einigen Stabsoffizieren aufdämmern, daß der zweite Weltkrieg nicht unser Krieg war, aber wahrhaft das Martyrium von Zehntausenden von Österreichern. Dann endlich wird es nicht mehr heißen, unsere Väter und Brüder seien an der Eismeerfront, vor Stalingrad und in Afrika „in Erfüllung ihrer soldatischen Pflicht” gefallen, sondern als arme und mißbrauchte Opfer.

Kein Hagenkomplex

Die Zukunft darf weder vom Militarismus noch vom radikalen Pazifismus bestimmt werden. Denn nie wieder soll jemand damit spekulieren dürfen, wir würden zögern, sein und unser Blut zu vergießen, wenn er sich anschickt, unser Vaterland, das wir nach verzweifelten Irrwegen und unabsehbaren Leiden wieder geschenkt bekommen haben, zu zerstören. Das hat nichts mit Seibst- vemichtungstrieb oder Hagenkomplex zu tun und muß die Konsequenz einer geistigen Landesverteidigung sein, deren einziges Motiv die Liebe zu Österreich ist.

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