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Die Eisfestung des Sudens

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Als Ende 1946 die große amerikanische Antarktisexpedition unter Führung des bekannten Südpolforschers Admiral Richard E. B y r d aus der Panamakanalzone in See stach, wurde aufs neue das rätselvolle Gebiet der Antarktis in das Blickfeld des Weltinteresses gerückt. Allein der materielle Aufwand, welchen die USA für .diese Expedition aufbrachten, ließ die Weltöffentlichkeit aufhorchen. Inzwischen ist diese stolze Armada bereits auf dem Wege in ihre Heimathäfen. In den Verlautbarungen werden als Gründe hiefür nicht recht überzeugend, hauptsächlich geologische und meteorologische Schwierigkeiten als Hindernisse angeführt.

Seit urdenklicher Zeit ist der Südpolkontinent das Ziel des menschlichen Erkenntnisdranges und seit dem Anbruch unseres Jahrhunderts auch der Machtverteilung. Obgleich ungeheure Eisbarrieren dieses unbekannteste Land der Erde in der Größe von 12,000.000 Quadratkilometer beschützen und der absolute Mangel an jeglichem Lebewesen die menschliche Existenz erschwert, haben dennoch, seitdem Cook in den Jahren 1772 bis 1775 den Südkontinent umfuhr, kühne Forscher und Abenteurer das Äußerste gewagt, um der Erde ihr letztes Geheimnis zu entreißen. Neben den Angelsachsen waren es vor allem die Norweger, aber auch Russen, wie der Deutsch-Balte Sellinghausen, und seit 1900 auch Deutsche, die eine genaue Durchforschung anstrebten. Noch steht der dramatische Kampf Amundsens, der am 16. Dezember 1911 zum erstenmal den Südpol erreichte und der tragische Untergang der Scott-Expedition als Mahnmal dem Menschen, der es wagt, diesen Kontinent zu betreten. Die deutsche Expedition Filchners 1911/12 leitete nach diesem Ausklang des ersten Heldenepos im Kampf um den Südpol eine Epoche der ruhigeren und systematischeren Forschung ein und fast durch 15 Jahre hiriÜurch versuchte man, vor allem durch Einsatz modernster Hilfsmittel wie Flugzeug, kartographische Ersdiließung und geographische Durchforschung des Gebietes. Im letzten Jahrzehnt waren es wieder die Engländer, die, auf Grund der Erfahrungen norwegischer Forscher aufbauend, namentlich die Küstengebiete erschlossen, bis dann die deutsche „Schwabenland“-Expedition 1938/39 durch eine Reihe genauer Luftbildaufnahmen neue Erkenntnisse ermöglichte. Zu den bereits angeführten Expeditionen trat noch kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges Frankreich, das, wenn auch nur durch eine kleinere Expedition in Adelieland südlich von Australien, Forschungen unternahm.

Der 1939 ausbrechende zweite Weltkrieg unterbrach zunächst das Ringen um die Antarktis, dieses Gebiet war einer der wenigen Flecken der Erdoberfläche, der nicht in den unmittelbaren Bereich der Kampfhandlungen einbezogen wurde. Während rund um den Nordpol sich die lebenswichtigen Versorgungslinien der Alliierten zogen und U-Bootschlachtcn noch nahe an der Eisgrenze ausgefochten wurden, herrschte um den Südpol tiefer Frieden, bis der Einsatz der Atombombe durch Entfesselung neuer kosmischer Kräfte der Forschung neue Aufträge auch für die Antarktis gab. Vor allem waren es vermutete Uraniumlager, Kohle und Erdöl, die die Großmächte, an der Spitze die USA, veranlaßten, einen Hauptsturm auf die Eisfestung des Südens zu wagen. Die Warnung des seinerzeitigen Innenministers Ikes bei der Beendigung des Kriegs, daß die Vorräte der USA an den für den modernen Krieg am meisten benötigten Mineralien in 35 Jahren erschöpft sein würden, war der Hauptantrieb zur Zusammenstellung der B y r d - Expedition,die im Dezember 1946 mit einem Material-und Menschenaufwand, wie er bisher nicht gesehen wurde, aufbrach. Der 4000 Mann zählende Stab von Wissenschaftlern und technischen Mitarbeitern Byrds setzte, ähnlich wie die deutsche Schwabenland-Expe-dition, das Flugzeug ein, um mit Hilfe der neuen Ortungsgeräte nicht nur die geographische Erforschung, sondern vor allem die Auffindung von Mineralien im Land-innern zu versuchen. Noch liegt über den Ergebnissen der Byrd-Expedition ein tiefes Geheimnis. Man kann aber wohl aus der .Zusammenstellung des Mitarbeiterstabes und aus gelegentlichen Pressemeldungen schließen, daß verschiedene Probleme im Vordergrund standen. Zunächst dürfte es die Erprobung neuer Flugzeugtypen und Schiffseinheiten gewesen sein. So mager die Pressemeldungen auch waren, sie beinhalteten doch eine wissenschaftliche Sensation, welche die Welt aufhorchen ließ. Flugzeuge entdeckten nämlich inmitten der Eiswüste ein großes Gebiet, das eine weit höhere Bodentemperatur aufwies. In der Gegend von Wilkes-Land, etwa 160 Kilometer von der Küste, wurde ein Binnensee gesichtet, auf dem sogar ein Wasserflugzeug landen konnte. Der See liegt etwa 60 bis 100 Meter über dem Meeresspiegel und hat eine Länge von 54 Kilometer und eine Breite von 28 Kilometer. Temperaturproben ergaben ungefähr 4,5 Grad, so daß man annahm, daß das Wasser durch vulkanische Tätigkeit erwärmt sein muß. Die Flieger sichteten auch vollkommen vegetationsloses Gelände. Die Flugzeuge Byrds überkreuzten am 16. Februar den geographischen Südpol zum zweitenmal unter der persönlichen Führung Byrds, der 58jährige Forscher stand dabei im Führerraum der Maschine bei Temperaturen, die nie über — 10 Grad stiegen.

Es war wochenlang still um die politischen Auswirkungen der Byrd-Expedition, jedoch eine vor wenigen Tagen noch nicht offiziell bestätigte amerikanische Meldung lüftete ein wenig das Geheimnis. Es wurde nämlich verlautbart, daß Admiral Byrd demnächst das amerikanische Staatsdepartement auffordern werde, offiziell die Hoheit s- und Besitzrechte Amerikas auf die Von ihm erforschten Gebiete der Antarktis anzumelden. Ein solcher Schritt wird jedoch den ganzen internationalen Fragenkomplex in diesem Gebiet aufrollen, um so mehr als die Rechtsfragen noch völlig ungeklärt sind. Ansprüche erheben seit Jahrzehnten mehrere Großmächte und die Grundlage bildet wie in den nordpolarischen Gebieten die sogenannte Sektorentheorie *, nach der alles Land in der Richtung auf den Nordpol von den östlichen und westlichen Grenzen der Einzelstaaten aus, welche Anrainer des Nördlichen Eismeeres sind, der Souveränität des jeweiligen Staates unterstehen sollen, gleichgültig ob diese Gebiete entdeckt oder nicht entdeckt sind. In der Antarktis ging infolge' der erwähnten geographischen Verschiedenheit das Sektorenprinzip von den in der Nähe gelegenen Landteilen oder Inseln der benachbarten Staaten aus, wobei allerdings noch jene Gebiete dazukamen, die bei Entdeckungsreisen oder privaten Expeditionen erschlossen wurden, ohne daß das Heimatland der Forscher tatsächlich geographisch nahe der Antarktis liegt. Diese letzte Ausweitung erklärt auch, warum über kurz oder lang ein Konfliktherd im äußersten Süden der Erde entstehen kann. Bisher haben folgende Staaten ihren Anspruch auf Gebiet erhoben:

Norwegen mit königlichem Dekret vom 14. Jänner 1939 auf das Gebiet zwischen 20 Grad West und 45 Grad Ost auf Grund der behaupteten geographischen Entdeckung und Erschließung dieser Teile.

England beansprucht* den sogenannten Falklandsektor seit dem 28. März 1917, desgleichen mit Neuseeland alle Gebiete zwischen 160 Grad Ost und 150 Grad West seit dem Jahre 1923.

Australien alle Gebiete und Inseln zwischen 45 Grad und 160 Grad Ost mit Ausnahme des sogenannten Adelielandes, das von Frankreich seit dem 6. April 1938 beansprucht wird.

Der Restsektor, auf welchem sich auch der Stützpunkt der berühmten Byrd-Expedition, Klein-Amerika, liegt, wird von den Vereinigten Staaten als ihrer Souveränität unterstehend bezeichnet, wobei zwischen dem amerikanischen und dem britischen Sektor Chile in jüngster Zeit ebenfalls ein beträchtliches Stück Land durch eine Expedition erschließen will, um „Kontakt mit dem entferntesten Gebiet seines nationalen Territoriums aufzunehmen“.

Der chilenische Anspruch ist deswegen interessant, weil er weite Gebiete des amerikanischen Sektors umfaßt und bis heute nicht von den Vereinigten Staaten in irgendeiner Weise bestritten wurde, wie dies Norwegen im Jahre 1939 anläßlich der deutschen Antarktisexpedition tat. Nach den herrschenden Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts ist die Voraussetzung für den völkerrechtlich gültigen Erwerb von herrenlosem Land der Wille zur Okkupation, das heißt, zur Besetzung des Landes und die dauernde Ausübung der Verwaltung und der Herrschaft. Diese Voraussetzungen fehlten bisher, da es keiner Macht möglich war, dauernd an den unbewohnten Küstengebieten Siedlungen zu errichten und es mag in dieser Hinsicht interessant sein, daß gerade die B y r d-Expedition solche Möglichkeiten erprobte, wobei man sicherlich die Erfahrungen der in Alaska durchgeführten Versuche, die besonders die Einwirkung der Kälte auf den Mensdien betrafen, verwertete. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß nach unbestätigten Meldungen Sowjetr u ß 1 a n d einen großen Teil seines Forschungsbudgets für Polarexpeditionen bereitstellt und es nicht ausgeschlossen erscheint, daß auch diese Großmacht, die als einzige besonders siedlungstedinische Erfolge in polaren Zonen besitzt, über kurz oder lang eine Antarktisexpedition starten wird. Daß aber das Interesse der anderen Staaten nicht geringer geworden ist, beweist eine Reutermeldung vom 30. April dieses Jahres, wonach der norwegische Generalmajor Larsen die Durchführung einer norwegisch - schwedisch - britischen Expedition für Herbst 1948 ankündigt; am gleichen Tag verlautbarte die australische Regierung, daß sie 150.000 Pfund Sterling -für die Vorbereitung der Erforschung ihres Sektors bereitgestellt hätte. Gleichzeitig wird der Gebietsanspruch Australiens auf ein Drittel der Gesamtantarktis erhöht. Eifersüchtig wachen bereits jetzt die großen seefahrenden Staaten über den Antarktiskontinent und die Äußerung des britischen Polarforschers Sir Douglas Mawson: „Wenn irgendeine Nation in einer bereits anderweitig reklamierten Zone ohne Erlaubnis zu operieren beginnt, würde dies zu einem internationalen Konflikt führen“, läßt erkennen, daß die geheimnisvolle Eisfestung des Südens ein sehr heiß umstrittener Raum der Welt werden kann.

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