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Die Entmitteleuropäisierung

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Kritisch hinterfragt Peter Kampits, Philosoph, die Stellung Niederösterreichs in Mitteleuropa. Welche Aufgaben hat das Kernland Österreichs?

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Kritisch hinterfragt Peter Kampits, Philosoph, die Stellung Niederösterreichs in Mitteleuropa. Welche Aufgaben hat das Kernland Österreichs?

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Ein bißchen ist sie schon verflacht, die große Euphorie und Aufbruch-Stimmung nach dem Aufziehen des „Eisernen Vorhanges". Allzu viel an realen Problemen hat sich dazwi-schengeschoben, von ökonomischen bis zu demokratiepolitischen, von regionalen bis zu landes- und bundesweiten.

Als der damalige Außenminister Mock und der damalige niederösterreichische Landeshauptmann Siegfried Ludwig mit dem damaligen tschechischen Außenminister Dienstbier den Eisernen Vorhang durchschnitt, herrschte überall nur eitle Wonne. Niederösterreich, lange von den „toten" nördlichen und östlichen Grenzen beeinträchtigt, entsann sich seiner Rolle als Kernland an der Donau. Donaueuropäische Arbeitsgemeinschaft, Donaufestivals, kleinere regionale Akademien und Kooperationen sprossen nur so aus dem Boden. Selbst die von der Niederösterreichischen Landesakademie vorbereitete Universitätsgründung segelte unter demj Namen der Donau-Universität.

Nicht, daß alle diese auf Mittel-odeil Donaueuropa gerichteten Bestrebungen inzwischen zum Stillstand gekommen wären. (Die Donau-Universität allerdings hat sich von allen mitteleuropäisch orientierten Programmen inzwischen aus unbekannten Gründen distanziert.) Aber mittlerweile haben sich neben ökonomischen Problemen der Zusammenarbeit auch ein wenig die politischen Präferenzen geändert. Die sicherlich nicht in Frage zu stellende Aufnahme Österreichs in die EU ist zwar unter der permanenten Begleitmusik der Rolle Österreichs als Brückenkopf zwischen Ost und West erfolgt, inzwischen waren aber - wie es scheint - die „Stammländer" der EU über Österreichs Kopf hinweg selbst gar nicht so untätig in der Erschließung Osteuropas als Wirtschaftspartner und als Markt.

Wir begehen 1996 die 1.000-Jahrfeier des Namens „Österreich". Und die Kernzelle sozusagen, aus der dieses jahrhundertelang unsere östlichen

Nachbarn beherrschende Staatsgebilde entstanden ist, liegt nicht zufällig in Niederösterreich. Nun sollen Millenniumsfeiern nicht bloß zum Anlaß dienen, jubelnd auf die lange Kontinuität zurückzublicken, sondern auch bezüglich der Zukunft nachdenken lassen. Zumal die in Aussicht genommenen Ostarrichifeiern ohnehin eher den Charakter eines permanenten Jahrmarktes annehmen werden. (Vom Ostarrichi-Wein bis zur Ostarri-chi-Krawatte droht Fürchterliches, siehe Seite 15)

Nun gut, eine Prise Provinzialismus wird man angesichts der gesamtösterreichischen Feierstimmung schon in Kauf nehmen. Was aber bedenklich bleibt, ist die immer spürbarer werdende Tendenz, alle jene großen Initiativen, die vor allem Niederösterreich in den letzten Jahren, als ein Land im Aufbruch, gesetzt hatte, einzubremsen oder verblassen zu lassen. Nun ist schon klar, daß ein Bundesland - und sei es noch so sehr durch geopolitische Tradition und Gegenwart prädestiniert, mit den Ländern und Regionen seiner Nachbarn Kontakte und Kooperationen auf allen Ebenen aufzubauen - in seinen Möglichkeiten begrenzt ist. Dennoch sollte gerade Niederösterreich seiner historischen und geopolitischen Lage auch in der Gegenwart Prioritäten einräumen.

Niederösterreich hat in den letzten Jahren gehörig seine Landesidentität, seine wirtschaftliche Entwicklung und seine regionalen Aktivitäten verstärkt. Das lange Zeit im Umfeld der Bundeshauptstadt als rückständig, provinziell und nicht zuletzt ob seiner randständigen Lage als benachteiligt angesehene Land, hat sich nicht zuletzt in der Rückbesinnung auf seine historischen Wurzeln gewaltig entwickelt. Dazu hat die Situation Österreichs in einem veränderten Mitteleuropa, die sogenannte Brückenfunktion Österreichs zwischen Ost und West, vieles beigetragen, obwohl man andererseits anmerken muß, daß viele Chancen, die auf Grund des Neutralitätsstatus in politischer Hinsicht und aus historischen Gründen auf der Hand lagen, letztlich nur unzureichend genutzt wurden.

Jahrzehntelang war Österreich für die unter kommunistischer Herrschaft stehenden Nachbarn das wichtigste, wenn nicht einzige Fenster zum „Westen". Ganz zu schweigen von den historischen Verwurzelungen in der Donaumonarchie, die tiefer gehen als Folklore, Mehlspeis- und Kaffeehauskultur oder die Spuren, die sich in Architektur, Literatur und Kunst immer noch aufzeigen lassen.

Nach einer nahezu schon unheimlichen Welle der Mitteleuropabegeisterung, die sich auch auf die Politik übertrug - wieviele Schwerpunktprogramme mit und für unsere Nachbarn wurden hier im Bereich der .Wirtschaft, der Ökologie, der Wissenschaft und Kultur entwickelt - scheint sich nunmehr eine Politik der kleinen Schritte anzubahnen.

Dies wäre durchaus zu vertreten, liefe nur nicht die Verblassung der Initiativen auf eine Art „Entmittel-europäisierung" hinaus, die von unseren östlichen Nachbarn auch schon da und dort betrieben wird. Einmal mehr läuft Österreich, vor allem aber Niederösterreich, Gefahr, die Chance zu verspielen, auch in und gegenüber der EU eine Brücken- und Vermittlerrolle zu spielen. Österreich hat sich — ob-schon in der Tradition der Donaumonarchie auf Integration, auf Vielfalt und Polyphonie trainiert - gegenüber Brüssel, gegenüber Europa viel zu wenig zu Wort gemeldet.

Fortsetzung auf Seite 14

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