Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
die entscheidenden Wendepunkte und Persönlichkeiten des Feldzuges 1941—1945
Als Tatsache bleibt nach einer nüchternen Wertung beider Werke: auch auf russischer Seite haben, wie auf deutscher oder alliierter, die Persönlichkeiten, das Organisationstalent und die oft vom Soldaten mißverstandene politische Führung den Sieg davongetragen, wenn auch eine sehr platte und für den Propagandagebrauch bestimmte Schreibweise posthum den Löwenanteil der Partei und damit Stalin zuzuschreiben gedachte. Vor allem räumen beide Werke mit einer im Westen weit verbreiteten Propaganda auf: die Rote Armee des Jahres 1941 war trotz der Rückschläge, die nicht zuletzt auf das Konto der sogenannten „Ehrenmarschälle“, wie W o r o-s c h i 1 o w und B u d j e n n i, zurückgingen, ein Heereskörper, in dem m o-dernste Ideen und Führungsaufgaben ungeachtet der jeweiligen innerpolitischen Lage erörtert und dann auch in der Praxis durchgeführt wurden.
Die irrige Annahme Hitlers, daß der Säuberung nach Tuchaschewski keine fähigen Offiziere folgen würden, wurde für ihn verhängnisvoll. Stalin, der selbst militärisch äußerst interessiert war, fand in dem ehemaligen zaristischen Offizier Boris M. Schaposchni-k o w, dessen Vorlesungen er gerne hörte, den idealen Generalstabschef und Berater, der sich zwar in der Anfangsphase des Krieges gegen Deutschland irrte, aber immerhin den Aufbau einer geordneten und systematischen obersten Kriegsleitung durchsetzte und damit die Grundlage für die spätere Entwicklung legte. Aus seiner Schule — die übrigens in seinem Standardwerk—„Das Gehirn der Armee“ — den österreichischen Feldmarschall Conrad als den einzigen genialen Feldherrn des ersten Weltkrieges anerkannte — gingen alle Marschälle hervor, deren Kriegserlebnisse und Erfahrungen Kalinow als Teilnehmer und Hörer im „Klub der Armee und Marine“ erleben konnte, währerd der französi-Beobachter auf Grund seiner eingehenden Personalkenntnisse der russischen Kriegsschulen zu ähnlichen Beurteilungen kam.
Die systematische, von höchster Stelle immer wieder betriebene Personalpolitik der Beurteilung nach der militärischen Leistung gab nach der harten Lehre der Jahre 1940/41 der Roten Armee einige Marschälle, die den von Stalin durch kluge Propaganda vorbereiteten vaterländischen Krieg erst richtig durchführen konnten: G. K. Schukow, der Sieger von Berlin, steht in der Reihe der Feldherren als erster als Lenker der Panzergroßoperationen der letzten Kriegsjahre — heute fast vergessen, seitdem ihn ein Beschluß des Politbüros auf einen bedeutungslosen Posten abberief. K. K. R o-
kossowski paradiert nunmehr als „polnischer“ Heeresminister und Diktator Warschaus, obgleich ihm unmittelbar nach der Affäre Tuchaschewski das Hin-richtungspeleton drohte. Seine Fähigkeiten haben ihm den Namen eines „russischen Clausewitz“ eingetragen. Er gehört zu den Lieblingsmarschällen des Kremls — trotz seiner halbfeudalen Lebenshaltung.
Wie sehr die kühlen Rechner des Kremls auch im Bereich der Armee Außenseiter der „Generallinie“ duldeten, bewies der inzwischen verstorbene Marschall T o 1 b u c h i n, der zeitlebens gläubiger Christ war. Allerdings war man im Generalstab frühzeitig auf seine grundlegenden Studien für Operationen im Donaubecken aufmerksam geworden ... Er konnte diese, ebenso wie Schukow, der sich einst besonders mit der norddeutschen Tiefebene als operativen Raum beschäftigte, in die Wirklichkeit umsetzen.
Damit kommt man aber auch einem scheinbaren Rätsel der Roten Armee, der immer wieder auch von Sachkennern zu Unrecht Mangel an geeigneten Offizieren nachgesagt wurde, auf die Spur. Das umfassende System der militärischen Bildungsanstalten von den Kadettenanstalten bis zu den zahlreichen Akademien hat in Wirklichkeit eine Fülle von Begabungen hervorgebracht, so daß innere Krisen, wie etwa nach 1936, vermieden werden konnten — ganz abgesehen davon, daß der Lernzwang“ und das gelenkte Streben nach Absolvierung der vielen Bildungsstätten den Sowjetoffizier zu einem sehr stark wissensmäßig beanspruchten Typ formte.
Selbst die aus der Partei nach dem Kriegsende eingeschobenen „Ehrenmarschälle“, wie B u 1 g a n i n, bezogen noch die Schulbank, und Stalin selbst hörte zeitweilig die Vorlesungen an der Frunse-Akademie.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!