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Die Entzauberung des Herrn U Thant

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Anläßlich einer Feier zum achten Jahrestag seiner Amtseinführung wurde UN-Generalsekretär U Thant im November vorigen Jahres von einem britischen Journalisten gefragt, ob er während seiner Tätigkeit im Glaspalast am East River in New York auch Fehler gemacht habe. U Thant, der Sanfte, lächelte milde und — verneinte. Der Zeitungsmann ließ nicht lok-ker: Ob nicht etwa die Entscheidung über die Zurückziehung der UN-Soldaten von der israelisch-ägyptischen Waffenstillstandslinie im Frühjahr 1967 ein schwerwiegender Fehler gewesen sei, da doch der Abmarsch der Blauhelme zu jener Zuspitzung geführt habe, aus welcher der Sechstagekrieg entstanden sei? Da wich aus U Thants ansonsten so freundlichem Gesicht das stereotype Lächeln: Auch diese Entscheidung sei richtig gewesen und im übrigen auch von keinem einzigen UN-Mitglied kritisiert worden ... Erregt fügte er noch hinzu: „Wer etwas anderes behauptet, ist ein Nichtswisser und T a t s a c h e n v e r-dreher.“ UN-Wachen führten den lästigen und neugierigen Frager hinaus. Der schien indes von der Fehlerlosigkeit des gekränkten „Mr. UNO“ nach wie vor nicht allzu überzeugt zu sein, setzte sich hin, notierte das Gespräch und sah es aller Welt zu wissen.

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Anläßlich einer Feier zum achten Jahrestag seiner Amtseinführung wurde UN-Generalsekretär U Thant im November vorigen Jahres von einem britischen Journalisten gefragt, ob er während seiner Tätigkeit im Glaspalast am East River in New York auch Fehler gemacht habe. U Thant, der Sanfte, lächelte milde und — verneinte. Der Zeitungsmann ließ nicht lok-ker: Ob nicht etwa die Entscheidung über die Zurückziehung der UN-Soldaten von der israelisch-ägyptischen Waffenstillstandslinie im Frühjahr 1967 ein schwerwiegender Fehler gewesen sei, da doch der Abmarsch der Blauhelme zu jener Zuspitzung geführt habe, aus welcher der Sechstagekrieg entstanden sei? Da wich aus U Thants ansonsten so freundlichem Gesicht das stereotype Lächeln: Auch diese Entscheidung sei richtig gewesen und im übrigen auch von keinem einzigen UN-Mitglied kritisiert worden ... Erregt fügte er noch hinzu: „Wer etwas anderes behauptet, ist ein Nichtswisser und T a t s a c h e n v e r-dreher.“ UN-Wachen führten den lästigen und neugierigen Frager hinaus. Der schien indes von der Fehlerlosigkeit des gekränkten „Mr. UNO“ nach wie vor nicht allzu überzeugt zu sein, setzte sich hin, notierte das Gespräch und sah es aller Welt zu wissen.

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Drei Monate sind seit dieser kleinen Episode erst verstrichen — und doch mag der britische Journalist sich heute — nachträglich — bestätigt fühlen: Seit U Thants kläglichem Versagen im Nigeriakonflikt auch noch seine Weigerung folgte, sich wenigstens nach Beendigung der Kampfhandlungen mit eigenen Augen an Ort und Stelle ein Urteil über die Situation der Einwohner Biafras zu bilden, ist das Ansehen des Mannes, dessen Ehrentitel „U“ zwar — wörtlich übersetzt — schlicht „Onkel“ bedeutet, sinngemäß aber am besten mit „Der Hochangesehene“ wiedergegeben wird, schwer angeschlagen.

Das Ende großer Erwartungen

Zeitungen in aller Welt rügten sein tatenloses, als Gleichgültigkeit gedeutetes Zuschauen. Die angesehene „Stuttgarter Zeitung“ etwa sprach von einer „Disqualifikation“ U Thants, der sich zu einem Public-relations-Manager der Regierung in Lagos erniedrigt habe. Und wenn ein Schweizer Blatt seine Mißbilligung des Verhaltens von U Thant in die drastische Formulierung kleidete, soferne der kleine Burmese im nächsten Jahre auf eine Verlängerung seines Mandates freiwillig verzichte, werde dies „vielleicht der größte Dienst sein, den Mr. Thant den Vereinten Nationen je geleistet haben wird“ — so war solch hartes Urteil zwar zweifellos überspitzt, das Verdikt machte aber doch deutlich, welche Ausmaße die Enttäuschung über einen Mann, der noch vor einigen Jahren als „unersetzlich“ galt, mittlerweile angenommen hat. Nicht ganz zu Recht freilich, denn enttäuscht wurden eigentlich nur jene übertriebenen und allzu hoch gesteckten Erwartungen, die einst — ohne Zutun U Thants — an seinen Amtsantritt geknüpft worden waren. Wenn eine Weltorganisation, die nach dem Unglückstod Dag Hammar-skjölds froh sein mußte, sich in Gestalt eines typischen Verlegenheitskandidaten überhaupt einen neuen Geschäftsführer wählen zu können, aus ihrer damals echten Not eine höchst fragwürdige Tugend machte, sich in die Illusion flüchtete, der einzig mögliche — weil in den Augen der Großmächte absolut harmlose — sei zugleich auch der wahrhaft ideale Kandidat, so wird man die Enttäuschung über die allmählich folgende Desillusionierung primär nicht demjenigen anlasten dürfen, der durch Unvermögen anderer in ein Amt gedrängt wurde, dem er nicht ganz gerecht werden konnte.

Konflikte vertagen

Selbst seine Kritiker billigen U Thant zu, daß er für die eigentliche Ohnmacht der UNO herzlich wenig kann. Die Struktur der Vereinten Nationen läßt deren Generalsekretär kaum je wirklich Subjekt im machtpolitischen Kräftespiel sein, lediglich Katalysator, Gastgeber etwa in einem Forum, dessen einzige Stärke darin zu bestehen pflegte, daß es Konflikte, wenn schon nicht lösen, so doch eventuell „vertagen“ kann — vorausgesetzt, die direkt Beteiligten spielen dabei stillschweigend mit. Es liegt ganz gewiß nicht an U Thant, daß die Welt-

organisation, die von ihren geistigen Vätern als Weltgewissen, wenn nicht gar als Weltregierung konzipiert, von eben diesen ihren Begründern aber nicht mit den dafür unerläßlichen Befugnissen und Machtmitteln ausgestattet worden war, zum „kranken Mann“ der modernen Politik geworden ist.

Indes, mehr als für irgendeinen anderen Posten gilt für dieses „unmöglichste Amt der Welt“ — so der erste UN-Generalsekretär über seine Stellung — die Tatsache, daß weniger das Amt seinen Träger „macht“, als vielmehr Kraft und Autorität, Ausstrahlung einer Persönlichkeit auch der Position ihren Stempel aufdrücken müssen. Was immer man Dag Hammarskjöld vorwerfen mag — auch er hat nicht nur einmal geirrt! — unbestreitbar ist, daß er es verstanden hat, kraft seiner Persönlichkeit und von seinem brennenden Gewissen getrieben, seinem Amte Achtung zu sichern und Inhalt zu geben — obwohl auch ihm die Handschellen einer unglücklichen Konstruktion und einer durch Vetorechtsklausel sehr häufig zum Immobilismus verurteilenden

Charta angelegt waren.

Gefangener der Charta

U Thant sagte einmal, Hammarskjöld sei wohl bewußt über die Charta hinausgegangen. Er hat recht. Und was man U Thant zu allererst vorwerfen kann, ist denn auch die Tatsache, daß er nicht aus seiner Stellung mehr herauszuholen imstande war als die Großen ihm — sozusagen „freiwillig“ — in den Schoß legten. In seiner bequem-legalistischen Auslegung der Charta ließ er sich tätsächlich zu deren Gefangenen machen. Aus der Personifikation des Weltgewissens wurde solcherart ein biederer Verwaltungsbeamter, der sich zwar redlich bemühte, ihm zugeleitete Aufträge auszuführen, der aber vor jedem „Alleingang“ — und wäre es auch nur ein unüberhörbarer Appell gewesen! — zumeist scheu zurückschreckte.

Ob Abzug der Blauhelme

von der nahöstlichen Demarkationslinie, ob Sowjeteinmarsch in die CSSR oder Biafrakrieg — gemessen an den kühlen Paragraphen der UN-Charta war U Thants Verhalten stets untadelig. Trotzdem aber war es grundsätzlich falsch. Nichts hätte etwa den UN-Geschäftsführer daran hindern können, auch Nassers Forderung nach Abzug der UN-Soldaten zunächst einmal in die Bremsmaschine der UNO abzudrängen — anstatt ihr sofort und eilfertig zu

entsprechen, ohne Rücksicht auf mögliche Folgen. Und wenngleich der Biafrakrieg für die Vereinten Nationen tatsächlich eine „innernigerianische Angelegenheit“ war — niemand hätte U Thant einen Appell verwehren können; im Gegenteil: millionenfaches Leid und millionenfacher Tod hätten denn doch Interesse und Anteilnahme des „Weltfeuerwehrmannes Nr. 1“ nicht nur gerechtfertigt, sondern erfordert.

Stereotype „Unzuständigkeits“-Er-klärungen aber kamen einer moralischen Disqualifizierung U Thants und einer Bankrotterklärung der UNO gleich.

Schließlich hätte wohl der geplante und bereits angekündigte Prag-Besuch U Thants das zarte Pflänz-chen einer jungen Freiheit nicht vor dem Zertretenwerden durch die Marschstiefel herrischer „Brüder“ bewahren oder die Strafexpedition abwenden können. Ein Volk aber, das soeben genau jener Rechte erneut beraubt wurde, deren Sicherung der Weltorganisation und ihrem Sachwalter nach dem Willen der Gründer eigentlich aufgegeben

ist, hätte wenigstens auf einen Akt demonstrativer Solidarisierung Anspruch gehabt. Daß U Thant damals seinen für den 24. August 1968 angekündigten Prag-Besuch auf Grund der stalinistischen Aktion des Moskauer Panzerkommunismus kurzerhand abblies, hat nicht nur angebliche „Kalte Krieger“ damals bitter erzürnt. Etwa auch der damalige bundesdeutsche Gewerkschaftschef Rosenberg, durchaus ein Vertreter der „Wandel-durch-Annäherung“-Theorie, übte an U Thants Verhalten mit gutem Recht herbe Kritik.

Ohne politisches Profil

Der Mann, der nach Hammarskjölds, des Mystikers, Tod als gerade zufällig amtierender Plenums-Präsident zunächst mit der kommissarischen Führung der Amtsgeschäfte betraut und später eigentlich nur deshalb auch offiziell zu Hammarskjölds Nachfolger gewählt wurde, weil offensichtlich „Harmlosigkeit“ und das fast völlige Fehlen von politischem Profil ihn beiden Supermächten akzeptabel erscheinen ließ, war ganz gewiß von allem Anfang an nicht die Idealbesetzung für das

Amt des UN-Generalsekretärs. Des amerikanischen UN-Delegierten Adlai Stevensons emphatisches Urteil, U Thant sei „bewundernswert“, war daher von Anfang an ebenso fragwürdig wie die euphemistische Feststellung eines UN-Diplomaten: „Wenn man an diesem Buddha die Patina abkratzt, stößt man auf hartes Metall.“

Heute, nach fast zehnjähriger Amtszeit U Thants, liegt der Verdacht nahe, daß die seinerzeitige Thant-Euphorie eher dem Versuch einer Verdrängung des eigenen schlechten Gewissens (der „Großen“) oder aber einfältigem Wunschdenken (der „Kleinen“) entsprang.

Gelehrter vielleicht

Mag Maug U Thant, wie er offiziell heißt, auch ein guter Schulmeister gewesen sein, ein Gelehrter vielleicht sogar und möglicherweise auch ein erfolgreicher Diplomat seines Landes — wenngleich es heute als offenes Geheimnis gilt, daß er vor allem davon profitierte, daß sich Burmas eigentlicher Chefdiplomat, James Barrington, wegen seiner englischen Abstammung bescheiden im Hintergrund halten mußte. Ohne Zweifel ist Thant auch ein kreuzbraver Mann, der sich redlich bemüht, das in seinen Augen jeweils Richtige zu tun und seinen in gleicher Weise vom demokratischen Sozialismus — etwa der Labour-Art — und von seiner buddhistischen Lebensphilosophie geprägten Wertvorstellungen gerecht zu werden. Den Anforderungen seines Amtes vermochte er damit allerdings kaum Genüge zu tun. Kontemplative Meditationen mögen mitunter besser sein als hektische Betriebsamkeit — im Extrem sind auch sie nicht das wahre Idealverhalten. Und U Thants Maxime, wer leidenschaftslos seine „Gefühle im Gleichgewicht“ zu halten versteht, dem sei am ehesten Achtung und Beachtung gewiß, mag viel für sich haben — Leidenschaftslosigkeit aber, die bereits wie Gleichgültigkeit wirkt, ein Stoizismus, der bereits an der Grenze zum generellen Desinteresse ist, wird allzuoft zum Ärgernis.

„Wir leben in einer unvollkommenen Welt und müssen uns unvollkommenen Lösungen unterwerfen, die um so annehmbarer werden, je mehr Zeit verstreicht“, sagte U Thant einmal. Auf ihn selbst — und auf die UNO — bezogen, erscheint der Wahrheitsgehalt des an sich zweifellos weisen Spruches allerdings teilweise in Frage gestellt. Gewiß, auch die — selbst höchst unvollkommene — UNO unterwarf sich mit V Thant einer sehr unvollkommenen Lösung. Doch je mehr Zeit vergeht, desto weniger gilt diese Lösung als akzeptabel.

Nachfolge-U-Thant-Spiel

Hatte U Thants Rücktrittsdrohung im Jahre 1966 noch zu hektischen Bemühungen geführt, den „Unersetzlichen“ doch noch für eine weitere Amtsperiode bei der Stange zu halten, so lassen die seit 1968 immer wiederkehrenden Gerüchte übei einen vorzeitigen “Rücktritt de? „kleinen, lächelnden Mondes“ — und die daran geknüpften Spekulationen um seinen eventuellen Nachfolger — fast schon annehmen, daß aus derr einstigen Angsttraum unterdessen beinahe ein Wunschtraum vielei geworden ist und daß nicht wenige schon hoffen, U Thant möge nichl erst das reguläre Ende seiner bis November 1971 befristeten Amtszeit abwarten.

Spitzenreiter im spekulativen Nachfolge-Rätselspiel ist — seit Monaten schon — Österreichs derzeitiger Außenminister und ehemaliger UN-Botschafter: Dr. Kurt Waldheim. Während seiner Tätigkeit in New York hatte er sich vor allem in Abrüstungsfragen als geschickter Makler zwischen den Großmächten angeboten. Für den Karriere-Diplomaten des neutralen Österreich könnte vielleicht tatsächlich eine Einigung zwischen Ost und West erreicht werden. Am Ballhausplatz versichert man zwar, den Gerüchten und Mutmaßungen — von denen man aber immerhin auch „schon gehört“ hat — fehle es, „derzeit jedenfalls“, an jeder konkreten Basis. Noch ist ja auch nicht aller Tage Abend.

Ob indes Waldheim das Ubermenschliche leisten würde, wozu U Thant trotz seiner erklärten Absicht außerstande war — „die Vereinten Nationen als machtvollen Faktor für den Frieden zu stabilisieren“ —, das weiß heute niemand.

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