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Die epirotische Brandstätte

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Die Einsetzung einer Partisanenregierung unter Markos kündigt eine neue Phase des griechischen Aufstandes an. Der Hauptschauplatz der neuentbrannten heftigen Kämpfe ist der Epirus. Die Tragweite der sich jetzt anspannenden Ereignisse wird davon ab- hängen, ob die Partisanenregicrung die Anerkennung der kommunistisch geführten Nachbarstaaten erhalten und dadurch eine Solidaritätserklärung von Mitgliedstaaten der UNO mit allen ihren Konsequenzen erfolgen wird.

Während auf dem Boden des griechischen Staates Regierungstruppen und Aufständische mit wechselndem Erfolg gegeneinander kämpfen und damit jenen Bürgerkrieg fortsetzen, der bereits zur Zeit der Besetzung durch die Achsenmächte in den von diesen nicht kontrollierten Gebieten ausgebrochen war, geht der Nachbar im Nordwesten daran, die epirotische Frage endgültig zu lösen. .Die Zeit ist ihm dabei günstig. Es wurde in den letztien Jahrzehnten zum politischen Axiom: erfolgreiche Ausrottung rechtfertigt den Sieger, halbe Arbeit aber macht ihn zum Verbrecher. Also wird ausgerottet ...

Die Südgrenze des gesamten Epirus bildet der Golf von Arta, im Osten wird er vom Pindus und Grammos als natürlichen Mauern abgeschirmt, im Norden verläuft sie ungefähr vom Bezirke Korea (Koriza) bis etwa Vlone (Avlona). Die Bezirke Koriza, Premeti, Tepelene, Chimara sowie Erseke, Leskoviki und Argyrokastro bis zür derzeitigen griechisch-albanischen Grenze bilden den eigentlichen Nordepirus. Griechen, Albaner, Aro- munen — ein sprachlich den Rumänen nahestehender Volksstamm — bilden die Hauptbevölkerung dieses Raumes, der im Protokoll von Korfu vom 17. Mai 1915 und im Vertrag von Paris (zwischen Venizelos und dem italienischen Außenminister Tittoni) vom 20. Juli 1919 unter der Billigung der Alliierten Griechenland zugesprochen worden war und seither immer eines der Hauptziele griechischer Außenpolitik gebildet hatte. Sieht man von den allgemeinen Angaben ab, welche Mitte des vergangenen Jahrhunderts der österreichische Forscher G. Hahn über dieses Gebiet in ethnischer Beziehung mäht — nah ihm bilden die Griehen das vorherrschende Element —, so stehen nur recht widersprechende statistische Behauptungen zur Verfügung. Die während des ersten Weltkrieges durh Österreich-Ungarn vorgenommene Zählung erfaßt den Nordepirus nicht, so daß die für das übrige Albanien reht sorgfältigen Angaben hier niht zum Vergleih herangezogen werden können. Die letzte türkische Shätzung von 1908 erwähnt 128.000 Griehen und 95.000 Albaner. Nah albanischen Angaben fielen dem Krieg 1913/14 42.294 Menshen zum Opfer, 6831 Häuser wurden zerstört. Eine griehishe Statistik von 1914 berichtet von einer Bevölkerung von 120.209 Griehen (mit 360 Shulen) und 110.677 Albaner. Der italienishe Delegierte bei der Vollversammlung der internationalen Völkerbundligen 1922 in Prag, E. Monfosca, spricht von nur 15.000 Griehen. Eine albanische Statistik von 1927 enthält 139.453 Albaner und 123.959 Griehen. In keiner dieser Übersihten werden die Aromunen erwähnt, weihe nah rumänischen Schätzungen von 1943 im Nordepirus über 60.000 Menshen zählen sollen.

Die Gründe für diese oft sehr bedeutenden Differenzen sind reht vershiedener Art. Sieht man von der rein tehnishen Schwierigkeit ab, außerhalb der größeren Siedlungen hier eine Volkszählung vorzunehmen, so liegen sie vor allem in den zugrunde liegenden Maßstäben, ob Religion, Sprache oder Politik den Vorrang haben. So rehnen die einen alle Mohammedaner als Albaner, alle Orthodoxen als Griehen. Nun sind aber auh die Aromunen zu 99 Prozent orthodox, sie tauhen also bei dieser Betrachtung gar niht auf. Aber auh die Zurehnung aller Mohammedaner zu den Albanern weisen die Griehen zurück, da sie sih auf die im 17. und 18. Jahrhundert von den Türken erzwungenen Übertritte zum Islam berufen, durh die zahlreiche Griehen zu einem Religionswechsel gepreßt wurden, wenn sie niht auswandem wollten. Auh die Zugrundelegung der Sprahe ergibt ein ungenaues Bild. Die Aromunen, sprahlih isoliert, sind gezwungen, sih der Sprahe ihrer Umgebung zu bedienen. Sie sind also doppelsprachig, wobei allerdings besonders bei der jüngeren Generation sich die Kenntnis des Aromunishen auf einen oft reht dürftigen Wortshatz beshränkt. Die Kenntnis des Albanishen, beziehungsweise Griechischen hängt davon ab, welhes Bevölkerungselement überwiegt. In politisher Hinsiht endlich haben zwei Gedanken das albanishe Nationalgefühl stark inspiriert. Der eine ist die angebliche Romanitas der Albaner, in dem sie vor allem von den Italienern bestärkt wurden, stand doch selbst die Romanistik lange auf diesem Standpunkt. Hierin kamen die rumänishen Bestrebungen zu Hilfe, die unter den Aromunen Albaniens und Griechenlands in diesem Sinne eine eifrige Propaganda trieben. Der andere ist, daß die heutigen Albaner Nahkommen der alten Illyrer seien und somit deren Rechtsnachfolger niht nur im Nordepirus, sondern auh in dessen Süden. Auh hierin fanden sie bei den Italienern den ent-

sprechenden Rückhalt, und seit 1915 wurden immer wieder Karten verbreitet, auf denen sich Albanien bis rum Golf von Arta, ja sogar bis zum Golf von Patras ausdehnt.

Solang Friede war, konnten alle diese Bestrebungen von griechischer oder albanischer Seite nur in Zeitschriften und Zeitungen ihren Ausdruck finden, zur Zeit der Besetzung durch italienische und deutsche Truppen traten sie zurück. Doch als nach dem Abzug der Deutschen aus dem Epirus in Griechenland der Bürgerkrieg mit voller Wucht losbrach, da grenzte das Gebiet der linksgerichteten Verbände an Albanien, das durch seine Regierung ihnen zumindest eine moralische Unterstützung verlieh. Ob sie wollten oder nicht, sie konnten die nun von albanischer Seite hemmungslos durchgeführte Ausrottung der Griechen im Nord- e p i r u s nicht verhindern.

Chr. Sulis, der Ln einem Aufsatz „La question de l’Epire du Nord“, Paris 1946, die ganze Frage aufrollt, legt seinen Ausführun-

gen zwei Karten über die griechischen Verluste 1945/46 bei.

Verluste an Menschenleben (Tote, Vertriebene und Deportierte):

Zerstörungen (Brandschatzungen und Plünderungen):

1. Dörfer bis zu 30 Häuser 91 zerstört usw.

So wird also auch hier mit den modernsten Mitteln der Diplomatie eine Frage friedlich gelöst: mit dem Frieden des Massengrabes und der friedlichen Stille verkohlter Ruinen, der wortlosen Starre der Vertriebenen und der widerspruchslosen Sklavenarbeit.

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