6599994-1953_31_10.jpg
Digital In Arbeit

Die erste Autobahn der Schweiz

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß zur gleichen Zeit, da man aus Oesterreich von der Klärung der Grundlagen für den Bau seiner ersten Autobahn Salzburg—Wien hört, auch in der Schweiz ein entscheidender Schritt in der gleichen Richtung getan wird: Auch in der Eidgenossenschaft beginnt nun der Bau der ersten Nurautostraße in Form einer Ausfallstraße der Stadt Luzern gegen den Brünig zu. Während es sich aber in Oesterreich eigentlich um den Ausbau einer in den Kriegswirren eingestellten ehemaligen Reichsautobahnstraße handelt, bedeutet der Autobahnbau in der Schweiz gewissermaßen einen neuen Abschnitt in der Straßenbaupolitik der Eidgenossenschaft. Nach 26jäh-riger unermüdlicher Arbeit sieht sich der Schweizerische Autostraßenverein (SAV) an einem ersten Ziel im Kampfe um die Nurautostraße. Die ersten Erfahrungen, die mit der luzernischen Versuchsstrecke gemacht werden, dürften entscheiden für eine Reihe von Projekten, die seit Jahren ausgearbeitet wurden.

Die erste Autobahn der Schweiz wird nur 4,1 km lang werden. Sic ist bloß als Entlastungsstraße südlich der Stadt Luzern nach Ennet-Horw geplant und soll erst später bis zur Sommerfrische Hergiswil am Fuße des Pilatus fortgesetzt werden. Sie wird westlich der Brünigbahn nach Ennet-Horw geführt, womit die heute bestehenden gefährlichen Bahnübergänge ausgemerzt werden. Die Straße erhält vier Fahrspuren, zwei Radwege und Gehsteige, wird insgesamt 18 m breit werden und zur Eröffnung der landwirtschaftlichen Ausstellung zu Luzern im Herbst 1954 fertiggestellt sein. Neben den technischen Schwierigkeiten waren für den Bau der ersten Nurautostraße Hindernisse rechtlicher Natur zu beseitigen. Das Baudepartement des Kantons Luzern hat daher erstmals die rechtlichen Fragen für den Bau einer Nurautostraße geklärt. Zwischen 25. Juni und 15. Juli haben nacheinander das Bundesgericht ein staatsrechtliches Beschwerdegesuch und ein Wiedererwägungsgesuch um Aufschub des Baubeginnes abgewiesen, der Bundesrat ebenso sämtliche Einsprachen gegen Trasseführung und -bau, und schließlich hat die eidgenössische Schätzungskommission unter Abweisung der Oppositionsbegebren die Besitzeinweisung erteilt. Mit dem Schutz aller rechtlichen und technischen Fragen durch die angerufenen Behörden wurde der Weg freigemacht für den Baubeginn der Autobahn.

Damit ist der Bann gebrochen, der bisher

die Schweiz daran hinderte, einen Gedanken, der im Norden und Süden des Landes, in den Reichsautobahnen und den Autostraßen Italiens energisch gefördert wurde, auch in ihren Grenzen zu verwirklichen. Niemand wird darüber mehr Genugtuung empfinden als Ständerat Dr. Wenk, der unermüdliche Vorkämpfer der Autobahn in der Eidgenossenschaft. Angesichts der mannigfachen Widerstände gegen die Nurautostraßen in der Schweiz hat er bescheiden den Luzerner Er-

folg als für den Anfang zufriedenstellend bezeichnet. Um diesen Anfang mühte er sich freilich über ein Vierteljahrhundert. Als wenige Monate vorher in Frankfurt am Main die „Studiengemeinschift für den Bau einer Autostraße Hamburg — Frankfurt — Basel — Mailand“ gegründet worden war, war er es, der mit einigen fortschrittlichen Schweizern in Basel am 6. Juli 1927 den Verein „Autostraße Basel—Italienische Grenze“ ins Leben rief. Wenn dieser Verein in einer seiner ersten Proklamationen zur Abhilfe dagegen, daß „rasche und langsame Benutzer auf derselben Straße sich bewegen müssen und sich gegenseitig behindern“, als „radikale Lösung“ den Bau besonderer Autostraßen anstrebte und zuversichtlich prophezeite, „diese Straßen müssen kommen“, so zeigt sich, daß einerseits heute noch über die gleichen Fragen diskutiert wird, daß aber anderseits Beharrlichkeit zum Ziele führt. Jedenfalls ist die Autobahn nach den Worten Dr. Wenks auch“ in der Schweiz keine Utopie mehr. Bei der Eröffnung des Genfer Autosalons 1953 erklärte Bundesrat Dr. Etter zwar, eigentliche Autobahnen kämen nur dort in Betracht, wo die Verkehrsdichte es verlangt, bei ' den Ausfallstraßen aus den großen Städten und Verkehrszentren — aber es gibt doch Anzeichen, daß sich auch der Gedanke durchzusetzen beginnt, in der Schweiz nach und nach Fernstraßen im Sinne von reinen Autostraßen zu erstelten.

Wohl als Folge der europäischen Verkehrsministerkonferenz Ende Jänner 1953 in Paris, bei der für die Schweiz Bundesrat Dr. Escher einige Fragen der eidgenössischen Mitarbeit klären konnte, wird in dem umfassenden Straßenprogramm, das gegenwärtig in Bern ausgearbeitet wird, der Beitrag der Schweiz für den Bau von Durchgangsstraßen im internationalen Verkehr berücksichtigt. Unter den 19 Fernstraßen, deren vordringlichen Ausbau in einem Sofortprogramm die Verkehrsminister in Paris beschlossen, führen zwei über Schweizer Gebiet: die Europastraße (= „E“), zwei von Vallorbe über Lausanne—Martigny und den Simplon, die Dijon mit Genua verbindet, und die „E 43“, die von Döle kommt und über La Cure nach Nyon am Genfer See führt. Bei der Jahrestagung der Vereinigung schweizerischer Straßenfachmänner (VSS) in Cham-pex hat Oberbauinspektor Schurter-Bern n-gedeutet, daß „für einige besonders wichtige Straßenzüge generelle Ausbaupläne angestrebt werden, mit dem Ziel, großzügige Dauerlösungen zu fördern.“

Es ist nicht die Kantonskompetenz, die den Bau von Fernstraßen in der Schweiz er-

Schwerte; erfreulicherweise setzen sich die Kantone in dieser Frage für die Gesamtinteressen des Landes ein. Bundesrat Dr. Etter sprach sich nachdrücklich dafür aus, daß es bei dieser Kompetenz bleibe, ja, daß selbst ein Bau von Autobahnen Kan-tonssache sein müßte. Und er war auch zuversichtlich, daß die Zusammenarbeit von Kantonen und Bund die Anpassung des Straßennetzes an den mächtig angewachsenen Verkehr (1952 fuhren in die Schweiz über eine Million ausländischer Kraftfahrzeuge ein, die Zahl bloß der Automobile im Lande selbst hat sich seit 1939 auf 233.874 mehr als verdoppelt) vollführen werde. Der Bund will also offenbar keine „Bundesstraßen“ bauen, und so bleibt es bei der Benzinzollhalbierung, mit der der Bund die Beiträge gibt für den Ausbau der von ihm hierzu als förderungswürdig festgelegten neuesten 3838 km Hauptstraßen.

Wenn in der Schweiz der Gedanke der Autobahn nicht mehr verstummt, dann nicht, weil einer Autoraserei vermehrte Gelegenheit geboten werden soll; die Möglichkeit vermehrter Verkehrs Sicherheit ist es, die Verkehrstrennung und kreuzungsfreie Straßenführung wünschenswert erscheinen läßt. Gewiß bereitet die dichte Besiedlung und der immer knapper werdende Kulturboden in weiten Landstrichen dem Bau von Ueber-landbahnen Schwierigkeiten. Die Hiuptwider-stände freilich gegen die Nurautobahnen kommen daher, daß sie zur Gewährleistung eines flüssigen Verkehrs die Siedlungen möglichst umfahren. Dagegen stemmen sich die einen aus Bequemlichkeitsgründen, wenn man so überhaupt sagen darf, die anderen aus der Besorgnis um wirtschaftliche Einbußen. Und doch mehren sich die Stimmen, die jegliche Kampfansagen an die Autobahnen ablehnen. Sie argumentieren damit, daß eine Politik der Durchfahrung jedes Dorfes auf die Dauer den Fremdenverkehr nicht fördert, schon gar nicht den motorisierten, daneben den Dorfcharakter zerstört und die Gefahren erhöht. Die rechtlichen Belange, die schließlich gegen die Autobahnen ins Treffen geführt werden, lassen sich beheben. In den Kantonsgesetzen fehlen die Grundlagen zum Ausschluß des nichtmotorisierten und des Zubringerverkehrs von einer öffentlichen (Nurauto-) Straße; hier müßten die Kantonsparlamente der Entwicklung Rechnung tragen.

Aber zurück zu unserer Erinnerung an den Verein „Autostraße Basel — Italienische Grenze“. Die führenden Männer der für die Zukunft arbeitenden Vereinigung mußten bald einsehen, daß sie mit der Forderung von Autobahnen mit dem Kopf nicht durch die Wand können. Deshalb hat sich auch der Verein am 4. September 1929 zum Schweizerischen Autostraßenverein (SAV) umgebildet und seine Tätigkeit auf das ganze schweizerische Durchgangsstraßennetz ausgedehnt. Seither hatte er manchen Erfolg zu verzeichnen, zum Beispiel sind die Gedanken mehrspuriger Straßen, die Verkehrstrennung durch Radfahrwege längst durchgedrungen. Ein Markstein war die Einschaltung des Bundes zur Koordinierung der Anstrengungen der Kantone im Straßenbau. Sie begann im Rahmen der Vorbereitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, dann 1950, als die Ausbaunormen aufgestellt wurden. Das 1944 vom Bundesrat genehmigte Hauptstraßcnnetz stimmte weitgehend mit den Projekten des SAV überein. Und die Auswirkungen der schon früher erwähnten Bundeshilfe ist im Straßenwesen vieler Kantone bereits sichtbar geworden.

Weil das Motorfahrzeug in seiner Ausbreitung alle Mutmaßungen übertroffen hat, findet auch der Gedanke der Autobahn immer mehr Anhänger. Der Schweizer Touringklub hat in den letzten Dezembertagen 1952 beschlossen, seine Anstrengungen zugunsten zweier großer Autostraßen von Westen nach Osten und von Norden nach Süden durch die Schweiz energisch fortzusetzen, und der Verband der Motorlastwagenbesitz.er, der 3000 Mitglieder mit 10.000 Nutzfahrzeugen zählt, hat bei der Generalversammlung neben Autobahnen für dieses Straßenkreuz wegen der ständigen Verkehrszunahmen den Bau von Entlastungs- und Umfahrungsstraßen gefordert. Der SAV endlich konnte auf einer Berner Tagung „Die Schweiz auf dem Wege zur Autobahn“ feststellen, daß sich neben der Luzerner Ausfallsbahn zwei Fcrnstraßen-projekte für die als verkehrsreichst ermittelten Straßen Lausanne—Genf und Zürich— Winterthur als vordringlich herausgestellt hätten.

Es fehlt also nicht an baureifen Projekten, wohl aber werden die meisten dieser Straßen-pläne weniger finanzielle als sonstige Widerstände vor ihrer Verwirklichung zu überwinden haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung