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Die „ersten Schwalben“

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Nicht von ungefähr kann die Grazer Messe, nachdem sie als Industrie- und Landwirtschaftsausstellung im vorigen Jahrhundert ihre wichtigsten Entwicklungsstadien durchlief, im Herbst dieses Jahres auf ein fünfundfünfzigjähriges regelmäßiges Bestehen zurückblicken; schon zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie zeichnete sich die Steiermark durch besonderen Gewerbefleiß und durch eine besonders starke Industrialisierung aus, und schon damals — aller- ding». lange nicht so kraß wie heute — bestand in der steirischen Wirtschaft das Gefühl einer gewissen Verkehrsferne, also eines Abseitsliegens von den wichtigsten internationalen und innerösterreichischen Verkehrsströmen, obwohl man damals auf der Südbahn in wenigen Stunden in Triest oder Fiume oder auf der Ostbahn in vier Stunden in Budapest sein konnte — Zeiten, die heute trotz der enormen technischen und sonstigen Fortschritte nicht einmal im Traum erreicht werden können. Diese ungünstige Verkehrslage hat sich nach 1945 natürlich noch weiter verschlimmert, und die Hoffnung, daß die Steiermark in absehbarer Zeit nicht Peripherie, sondern Brücke zu den Nachbarstaaten sein würde, hat sich bisher nicht erfüllt.

Immerhin: Die erste Schwalbe, die zwar noch keinen Sommer macht, aber als Anzeichen einer Besserung der Verhältnisse begrüßt werden muß, hat sich nach langem Bemühen eingestellt. Die Handelskammern der Föderativrepubliken Kroatien und Slowenien haben angesichts der bisher in Graz erzielten geschäftlichen Erfolge die Errichtung eines eigenen Pavillons auf der Grazer Messe beschlossen, und das zuletzt sieben Millionen-Schillijig betragende Messekontingent „(in jeder Richtung) wurde einvernehmlich auf je zehn Millionen erhöht, was allein durch das Vorhandensein der Grazer Messe einen gegenüber dem normalen Handelsvertrag um 40 Millionen Schilling höheren jährlichen Warenaustausch bedeutet. Wenn es also gelungen ist, in weniger als zehn Jahren eine solche Ausweitung des Handels mit Jugoslawien zu erreichen, so sollte dies, entsprechende Unterstützung seitens der zuständigen Wiener Zentralstellen vorausgesetzt, auch mit anderen Staaten gelingen. Die Grazer Messe, die sich nicht umsonst Südost-Messe nennt, wird - immer mit Hilfe der Handelskammer Steiermark — nichts unversucht lassen, um den Warenaustausch mit ihren einst traditionellen Märkten im europäischen Südosten nachhaltig zu beleben. Gewisse Anzeichen lassen darauf schließen, daß diese Bemühungen zum Ziel führen werden. Da sich aber atmosphärische Strömungen der Weltpolitik kalkulatorisch nicht erfassen lassen, fällt es schwer, auf diesem Gebiet wirklich verbindliche Voraussagen zu machen.

Aus der Erkenntnis heraus, daß sich keine Wirtschaft höherentwickeln und damit der von ihr abhängigen Gesamtbevölkerung einen materiellen Fortschritt und höheren Lebensstandard bieten kann, wenn sie sozusagen im luftleeren Raum praktiziert wird, hat die Handelskammer Steiermark die Bestrebungen der Grazer Messe seit jeher nachdrücklichst unterstützt und in enger und verständnisvoller Zusammenarbeit am Ausbau der Messeveranstaltungen mitgewirkt. Die steirische Wirtschaft braucht ein repräsentatives Schaufenster, in dem sie ihre Produkte in- und ausländischen Interessenten in konzen- trierte įFęnftlAihsent: aberfsie brauch auc4 ieu.WWfWW WZ»fechauątellung ausländischer Konkurrenzprodukte, um an diesen den jeweiligen Stand ihrer eigenen Entwicklung ablesen zu können. Eine solche Vergleichs- und Bewährungsplattform ist die Grazer Messe zweifellos, und ihre Werbekraft wird nicht nur durch die auf der Messe selbst erzielten Umsätze, sondern noch viel mehr durch jene Abschlüsse gekennzeichnet, die erst später, auf Grund anbahnender Gespräche während der Messe, zustande kommen.

Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, der gewerblichen Wirtschaft unseres Bundeslandes durch die Teilnahme an der Grazer Messe zusätzliche geschäftliche Möglichkeiten zu eröffnen, kommt dem Wirtschaftsförderungsinstitut der Handelskammer Steiermark größte Bedeutung zu. Fast jede Messe in Graz wird systematisch zum Anlaß genommen, eine gewerbliche Sparte, die vom Aufwind der Konjunktur noch nicht voll getroffen wurde, in Form einer Kollektiv- oder Sonderschau zu präsentieren, und die guten Erfahrungen mit dieser praktischen Wirtschaftsförderung ermutigen zu weiteren Schritten in dieser Richtung. Mit dem nach langen Verhandlungen zustande gebrachten Entschluß der steirischen eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie, ihre Produktion in einer eigenen Halle als den Stahl- und Eisenkern der Grazer Messe alljährlich im Frühjahr auszustellen, ist ein weiterer, nicht minder wichtiger Schritt getan worden, um die Grazer Messe auch für das Ausland attraktiver zu gestalten. Aus dieser fruchtbringenden Wechselwirkung erwartet man mit Recht weitere Erfolge für die Messe und indirekt auch für die steirische Wirtschaft in ihrer Gesamtheit; wenn einerseits darnach gestrebt wird, durch immer sorgfältigere Auswahl der nach neuesten technischen und ästhetischen Gesichtspunkten erzeugten Produkte neue Interessentenkreise aufzuschließen, so wird anderseits das steigende Interesse automatisch immer größere Bemühungen der Aussteller hervorrufen, ihre Produkte nicht nur dem neuesten Standard anzupassen, sondern diesem, wenn möglich, um einige Zeit vorauszueilen. Aus diesem Wetteifer ergibt sich für die Interessenten wie von selbst die Chance günstiger Orientierungs- und Einkaufsmöglichkeiten; wenn darauf hingewiesen werden darf, daß die Grazer Messe schon heute in internationalen Wirtschaftskreisen als Erfolgsmesse bezeichnet wird, so sei damit lediglich angedeutet, daß die oben erwähnte Wechselwirkung bereits jetzt ihre Früchte trägt.

Selbstverständlich darf auch die sehr einschneidende Tatsache nicht außer acht gelassen werden, daß regelmäßige Besucherzahlen von mehr als 200.000 — von denen sich ein bedeutender Teil aus Auswärtigen und Ausländern rekrutiert — sowie eine ziemlich konstante Ausstellerzahl von mehr als 1200 für die gewerbliche Wirtschaft der Landeshauptstadt während der Messezeit eine nennenswerte Ilmsatzvergrößerung ergeben und nachhaltig dazu beitragen, daß sich der internationale Fremdenverkehr, der ansonsten nur schwer in die Steiermark findet, für dieses Gebiet immer stärker zu interessieren beginnt. Die seitens der Handelskammer Steiermark bekundete Aufgeschlossenheit gegenüber den Zielsetzungen der Grazer Messe und ihre Bereitschaft, an der Erreichung dieser Ziele tätig mitzuwirken, beruht somit, wie aus vorstehenden Ausführungen ersichtlich, auf durchaus praktischen Erwägungen, deren Verfolgung sich für die gewerbliche Wirtschaft unseres Bundeslandes als nutzbringend erwies. An der engen Zusammenarbeit zwischen der großen gewerblichen Organisation der Handelskammer und der Leitung der Grazer Messe wird in beiderseitigem Interesse auch in Zukunft festgehalten werden, um so mehr, als es beiderseitigen Anstrengungen, wenn sie ständig in der gleichen Richtung verlaufen, schließlich auch weiterhin gelingen wird, die Grazer Messe zu jenem wirtschaftsfördernden internationalen

Forum zu entwickeln, ohne welches eine derart initiative und expansive Wirtschaft wie die steirische auf die Dauer nicht auskommen kann.

Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß die gewerbliche Wirtschaft nicht nur organisatorisch, sondern auch funktionell ein einheitliches Ganzes darstellt und daß darüber hinaus der gegenwärtige Lebensstandard und Produktionsstand nur aufrechterhalten werden kann, wenn etwas mehr als ein Drittel der steirischen wirtschaftlichen Gesamtproduktion exportiert wird. Selbstverständlich sind nicht alle Sparten der Wirtschaft gleichmäßig und direkt am Export interessiert; indirekt ist es aber so, daß mit der Aufrechterhaltung oder noch besser Ausweitung der steirischen Exporte der Wohlstand und die Einkommensverhältnisse der Gesamtbevölkerung untrennbar Zusammenhängen und daher ein Absinken der Exporte nachhaltige — und logischerweise ungünstige — Auswirkungen auf praktisch alle Zweige der gewerblichen Wirtschaft hätte, weil ein Rückgang der Kaufkraft gerade im Handel und Gewerbe zuerst verspürbar wäre. Daher betrachtet es die Handelskammer Steiermark als praktische Wirtschaftsförderung, durch die Begünstigung oder Veranstaltung von Kollektiv- und Sonderschauen, durch beratende Mitarbeit in wirtschafts- und handelspolitischen Vorhaben sowie durch zahlreiche sonstige Hilfeleistungen daran mitzuwirken, daß sich diese älteste Messe Österreichs in Hinkunft noch weiter entfalten und damit der steirischen Wirtschaft wertvolle zusätzliche Impulse schaffen kann.

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