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Die ersten Zeitungen

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S Vir bringen im folgenden einen Auszug ; aus dem Kapitel „Die ersten Zeitungen“ I der Selbstbiographie des Vorarlberger Bauerndichters Franz Michael Felder “ (1839—1869), der zu den urwüchsigsten und \ bedeutendsten Gestalten der österreichischen Literatur gezählt werden darf. Felders ;.: Aus meinem Leben“, dem die Sdiilderung der Anfänge des Zeitungswesens in West-Österreich entnommen ist, kann als ein kostbares Zeugnis, österreichischer Kulturgeschichte angesehen werden. D. R.

Bis in die vierziger Jahre hinein galt einer für sehr reich oder sehr verderbt, wenn er sich eine eigene Zeitung hielt. Außer den Pfarrern und einzelnen wenigen Gemeindevorstehern, die zusammen den amtlichen „Boten für Tirol und Vorarlberg“ kommen ließen, wagte nur noch hie und da einer, der früher als Handwerker in der Fremde lebte, sich irgendein Blättchen zu halten, welches er damals in der Schweiz oder in Deutschland kennenlernte. In der Regel aber währte das letztere nicht lange. So ein Fremder, der später Bauer wurde, galt schon für einen hochmütigen, unpraktischen Menschen, wenn er auch nicht noch überdies ein Zeitungsleser war. Die meisten gaben daher ihre Gewohnheit auf, wenn sie sich einmal verehelichen und als Bauern im Lande bleiben wollten. Hielt aber da oder dort einer allem Gerede stand, so lud ihn sein Pfarrer bald ein, den „Tiroler Boten“ mitzuhalten,, wobei ihm bedeutet wurde, daß man in der Schweiz und in Deutschland draußen nicht für gute Katholiken schreibe und daß das trotzige Behalten solcher Blätter eine Absicht verriete, die man — ohne erst Früchte zu erwarten — sogar von der Kanzel aus zum Nachteil des Betreffenden mit aller Gewalt bekämpfen müßte. Die meisten fügten sich seufzend in das, was unvermeidlich schien, wenn man in Frieden leben wollte. Einzelne, die dem Pfarrer trotzten, taten das mit einer Leidenschaftlichkeit, welche nicht nur ihnen, sondern allen Zeitungslesern bei der Bevölkerung schaden mußte.

Vorarlberg gehörte damals noch zu Tirol, wo von der Regierung kaum etwas sorgfältiger gepflegt und unterstützt wurde als das Schützenwesen. Gute Scheibenschützen konnten jeden Sonntag irgendwo eine kaiserliche Gabe gewinnen. In Innsbruck erschien eigens eine Schützenzeitung, die natürlich auf jedem Schießstand gehalten wurde. Zuerst hörte man aus dem Blättchen nur Büchsenknall und Klimpern der Preistaler; nach und nach aber begann es auch um andere menschliche Angelegenheiten sich zu kümmern und sich zu einer Volks- und Schützenzeitung zu erweitern, die wohl manchen Bauernburschen, ohne daß er es merkte, zum Zeitungsleser machte. Im Jahre 1848 kam durch Italiener^ die jetzt, statt mit Mausefallen, mit Büchern und Zeitschriften zu handeln begannen, gar mancherlei zu uns herein; doch hier fehlte noch das rechte Verständnis für Fragen, die in solchen Schriften mit so viel Leidenschaftlichkeit behandelt wurden. Man sah sie an wie betrunkene Menschen und fand des Pfarrers ungünstiges Vorurteil immer bestätigt. Eine „Vorarlberger Zeitung“, die die Angelegenheiten des Ländchens mit zur Sprache bringen wollte, ging — wohl weniger aus Mangel an Stoff als wegen leidenschaftlicher Sprache — in kurzer Zeit wieder ein. Dafür entstand in Innsbruck ein Blättchen noch dem anderen. Alle wurden durch die „Schützen-Zeitung“, oder indem sie einander selbst lobten und tadelten, auch bei uns eingeführt. Nur die täglich erscheinende „Innsbrucker Zeitung“ und das Witzblatt „Harfe und Zither“ hatten wenig oder gar nichts Tirolerisches an sich. Die beiden Blätter wurden daher durch einen bischöflichen Hirtenbrief von allen Kanzeln aus verboten. Dafür war das bei Rauch in Innsbruck wöchentlich zweimal erscheinende „Volksblatt“ sehr empfohlen. Es brachte jedesmal einen halben Bogen, der fast nur mit frommen Erzählungen und Berichten von kirchlichen Festlichkeiten gefüllt war. Im Bregenzer Walde wurde es fleißig gehalten; teils weil man damit bei vielen Geistlichen eine Ehre einzulegen hoffte, teils auch, weil offene Verhöhnung moderner Bildung, des Zeitgeistes und der Helden von 1848, auch denjenigen Bauern gefiel, die sonst um alles von keiner Zeitung hören mochten. Ein anderes Blatt, „Feierabend“, gestand, als es Kaution erlegen sollte, selbst ein, daß es nur zur Erbauung für arme hungrige Schullehrer und alte Mütterlein in Tirol und Vorarlberg geschrieben sei. Auch dieses Blatt war sehr empfohlen. Wer höher hinaus wollte, dem wurde angeraten, die katholischen Blätter aus Tirol zu halten, eine streng wissenschaftliche „Kirchen-Zeitung“, die kein Bauersmann länger als ein Jahr bezahlte. Es wurde das auch keinem verargt, wenn er nur nicht dann dafür den ebenfalls in Innsbruck erscheinenden „Phönix“ bestellte. Der Titel dieses von Pichler und Zingerle herausgegebenen Blattes war ganz gut gewählt. Erstlich war es ein seltener Vogel bei uns, und dann ging es auch wirklich aus der Asche des Jahres 1848 hervor. Es ist erfreulich, da zu sehen, wie rüstig die jungen Kräfte Tirols und Vorarlbergs zusammenarbeiteten und wieviel Schönes von unseren vaterländischen Dichtern und Denkern geschaffen wurde. Bedauerlich bleibt es aber, daß auf den seltenen Vogel an so vielen Orten Jagd gemacht wurde und daß seine Schwingen nur noch kräftig genug waren, seine besten Freunde aus dem Lande zu tragen in weite Fernen, wo sie dann in der „Gartenlaube“, an Gutzkows „Häuslichem Herd“ oder sonst irgendwo ausruhten von schwerem Kampf. Vom Dorfbarbier hörte man im Bregenzer Waide zuerst durch einen in der „Schützen-Zeitung“ empfohlenen Tiroler Kalender, welcher offen eingestand, wieviel er von „Nudelmüller und Breeten-born“ entlehnt habe. Die „Leipziger Illustrierte“ und die „Allgemeine von Augsburg“ wurden im „Hirschen“ zu Schwarzenberg für die Vergnügungsreisenden und in der „Garns“ in Bezau für die Gerichtsherren gehalten.

Die eifrigsten Zeitungsleser aus dem Volke sahen diese Blätter bis zum Krimkrieg mit einer scheuen Ehrfurcht an, wie vornehme Herren, die wenigstens die Hälfte in fremder Sprache reden und so einen achtmal verkaufen können, bevor man's einmal merkt. Auch nachher noch haben diesen und anderen Blättern die vielen Anzeigen ihren Kredit genommen. Oft war irgendeine groß gedruckte Marktschreierei dem Bauern wichtiger und verständlicher als alles andere. Gläubig warf er sein Geld weg und meinte, es könne gar nicht fehlen, da er es ja gedruckt gelesen habe. Wenn es ihm dennoch fehlte und er sich betrogen sah, so gab er natürlich der Zeitung die Schuld und diese kam durch ihn im ganzen Dorf in Verruf. Sagte man den Leuten, daß derlei Anzeigen bloß ums Geld angenommen würden und daß der eigentliche Zeitungsschreiber dafür gar nicht verantwortlich sei, so hieß es: „Schlimm genug, wenn man fürs Geld Lügen aufnimmt und verbreitet. Dieses Geld wird doch nur bezahlt, weil man es durch die Wirkung der Lüge wieder einzubringen hofft. Wenn du einem Betrüger ums Geld seinen schlechten Kram in deinem Hause ausbietest, so halte ich dich nicht für sauber und möchte dich so gut dafür beim Kripps nehmen als ihn. Wenn der Herr Zeitungsschreiber hinten fürs Geld Unwahrheiten ausposaunt, so tut, so tut er es auch vorn oder verschweigt doch' die Wahrheit, denn sonst müßte er vor allem sagen, daß das ganze angehängte Marktgeschrei erstunken and erlogen sei. Das aber darf er nicht. Er ist gebunden durch seinen Vorteil, und von so einem Manne wollen wir uns nicht belehren and bilden lassen,“

So urteilte der strenge Rechtssinn des Volkes. Man gestand hiedurch den Zeitungsschreibern eine hohe Stellung zu und verriet die Neigung, sich — wenn es möglich wäre — vertrauensvoll seiner Führung zu überlassen. Es ist auch nichts natürlicher als das. Die Leselust und der Mut, sich eine Zeitung, ein Buch anzuschaffen, erwächst hier nur aus dem Bedürfnisse, etwas zu lernen. Der Bauer liest nicht, um allerlei Meinungen und dann wieder die Urteile über diese Meinungen kennenzulernen. Er will etwas Wirkliches gleichsam mit den Händen greifen lernen und nimmt nur darum — nicht aus Roheit wie viele behaupten —• in kriegerischen Zeiten am liebsten ein Blatt zur Fland, um das Geschehene zu erfahren. In solchen Zeiten wird auch keinem das Halten einer Zeitung verargt.

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