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Die Fassade läßt man stehen…

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Wollte man die Intensität des Kirchen- kämpfes in der Tschechoslowakei nach den Schlagzeilen der Weltpresse beurteilen, so käme man zu dem Schluß, daß seit Monaten ein Stillstand, eine Kampfpause eingetreten ist. Kein Schauprozeß gegen den hohen Klerus, keine neue Welle von Priesterverhaftungen, keine Kirchenaustrittsbewegung wird gemeldet. Ähnlich wie die pseudo- katholische Aktion sang- und klanglos ihr Wirken beendet hat, scheint auch das Kirchenministerium an Bedeutung einzubüßen: Der stellvertretende Minister Dr. Havelka hat das neuerrichtete Ministerium für Arbeitskräfte übernommen und der jetzige Leiter, der stellvertretende Ministerpräsident Fierlinger, ist durch seine neue Funktion in der Regierung als Leiter der Gruppe Verwaltung, dem neben dem Innenministerium auch das Justiz-, das Unterrichts-, das Informations- und das Gesundheitsministerium unterstehen, anderweitig völlig in Anspruch genommen.

Die scheinbare Ruhe hat freilich andere Ursachen: das für den Augenblick erstrebte Nahziel ist erreicht. Die katholisch Kirche in der Tschechoslowakei ist ihrer; Hierarchie beraubt, jeder Zusammenhang mit Rom gelöst, die Ordęn liquidiert, alle widerspenstigen Priester in sicherem Gewahrsam (die jungen zur Wehrmacht eingezogen), das Kirchenvermögen verstaatlicht, Weiterzugehen, insbesondere an den traditionellen Formen des Gottesdienstes, den Wallfahrten, kurz an allem Äußerlichen jetzt schon auch nur das Geringste zu ändern, widerspräche völlig den Tendenzen der Machthaber.. Wieder einmal zeigt sich, wie realistisch der Bolschewismus seine Gegner einschätzt, wie er ein Traditions-Christentum geradezu fördert, das ihm dazu dient, die vernichtenden Schläge gegen die Kirche hinter der Fassade der unangetastet gebliebenen Äußerlichkeiten zu verdecken.

Die Initiative liegt heute bei den „patriotischen Priestern“, die vom Staat in jeder erdenklichen Weise gefördert wurden und jetzt ihre Gegenleistung zu erbringen haben: durch ständige öffentliche Beteuerung der in der Tschechoslowakei herrschenden Religionsfreiheit, durch Eintreten für den „Weltfrieden“, ja selbst durch Unterstützung der unpopulärsten Maßnahmen des Regimes von der Kanzel herab. „Erbittert bis in die Tiefe unserer Priesterherzen“ protestierte vor wenigen Wochen der „Gesamtstaatliche Friedensausschuß des katholischen Klerus in der Tschechoslowakei“ telegraphisch bei der UNO gegen den Bakterienkrieg in Korea; in der Slowakei haben es sich die Diözesankonferenzen der Friedensausschüsse zu ihrer Aufgabe gemacht, die Mitarbeit der Priester bei der „Sozialisierung des Dorfes“ zu intensivieren. Bei einer Priesterkonferenz in Nikolsburg — die freilich keine Dekanatskonferenz nach kanonischem Recht ist, sondern lediglich der Entgegennahme von Weisungen des Kirchenreferenten des zuständigen Bezirks- oder Kreisnationalausschusses dient — wurde die Aufgabe der katholischen Priester in der Volksdemokratie klar formuliert: „Warum zahlen wir euch eigentlich? Das Geld, das ihr bekommt, stammt vom Volk, und das Volk erwartet dafür eine tatsächliche Arbeit. Ihr müßt für den Eintritt in die landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften (Kolchosen) werben, die Machenschaften der Dorfreichen (Kulaken) aufdecken und auf die Feinde des volks- demokratischen Staates aufmerksam machen!“

Wenn Kirchenminister Fierlinger auf dem „Friedenskongreß“ des katholischen Klerus erklärte: „Das Verhältnis von Staat und Kirche bessert sich bei uns zusehends und ‘ unsere Zusammenarbeit zeigt schöne Früchte“ — so löst ein solches Ministerwort sofort ein Echo in den Reihen der patriotischen Priester aus: „Heute besteht zwischen Staat und Kirche ein ähnlich gutes Verhältnis wie zur Zeit Karls IV.“ Diese merkwürdige Behauptung stammt vom Generalsekretär des Friedensausschusses des katholischen Klerus und Kanzler des Prager Konsistoriums Jan Dočekal und wurde von ihm anläßlidi seiner Installierung zum Kapiteldechant des Kollegiatkapitels von Karlstein gemacht, in der berühmten, edelsteingeschmückten Kreuzkapelle der Burg Karlstein, die Kaiser Karl IV. als Aufbewahrungsort für die Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches hatte errichten lassen. Die Insignien eines infulierten Prälaten scheinen überhaupt auf exkommunizierte Priester eine große Anziehungskraft auszuüben: auch Professor Šanda, der Dekan der staatlichen theologischen Cyrill-und-Method- Fakultät wurde von der Regierung (!) zum Dechant des Kollegiatkapitels zu Allerheiligen ob dem Prager Schloß ernannt.

Die Blütezeit Böhmens unter Karl IV. lebt freilich in der Erinnerung des Volkes als das „goldene Zeitalter“ fort, eine Zeit unerhörten Aufschwunges auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet, eine Zeit des geistigen wie materiellen Wohlstandes. Das Volk weiß aber auch, daß ein Großteil der heute nodi stehenden Sakralbauten diesen Jahrzehnten entstammt, die meisten Klostergründungen ihr entstammen — und nun ein Blick in die Gegenwart: Ein Ministerratsbeschluß vom April dieses Jahres hat das Prämonstratenserstift Strahov zum „Denkmal der tschechischen Kultur“ bestimmt: ein Tätigkeitsbericht der Prager Nationalbibliothek besagt, daß sie mit der Aufsicht über „jene alten Klosterbibliotheken betraut ist, die in ihrer ursprünglichen Gestalt als kulturgeschichtliche Denkmäler“ erhalten bleiben — die erste offizielle Andeutung über das Schicksal der übrigen, auf deren Liquidierung das günstige Ergebnis der Altpapiersammlung zurückzuführen ist. Für Kelche, Monstranzen usw. wurde eine eigene Sammelstelle im Kloster Teltsch errichtet und hier der Verkauf ins Ausland zentralisiert. Und noch ein Blick in die Slowakei: Das Jesuitenkloster in Preßburg wurde in eine Musikschule umgewandelt, das in Neusohl in eine Gendarmeriekaserne, das Priesterseminar im gleichen Ort dient heute gleichfalls als Kaserne. Das Ursulinenkloster in Tyrnau wurde pädagogisches Gymnasium, das Franziskanerkloster in Kremnitz Gerichtsgebäude : die Anstalten der Salesianer in Preßburg und Sillein dienen heute der Polizei als Untersuchungsgefängnisse, das Jesuitenkloster in Tyrnau wurde Arbeitsamt, in Rosenberg Lehrlingsheim, das Franziskanerkloster in Neutra Kreisdirektion eines staatlichen Handelsbetriebes. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, eine Ähnlichkeit mit dem Zeitalter Karls IV. wird man darin schwerlich erblicken können.

Zweifellos befinden sich auch heute noch zahlreiche Priester, die nicht unter den „patriotischen Klerus“ eingereiht werden können, auf freiem Fuß und üben ihren Priesterberuf aus. Beide Gruppen voneinander zu unterscheiden, ist für die Gläubigen oft schwerer als für die Behörden, die durch ständige Versetzung — ohne Rücksicht auf die Diözesangrenzen — durch plötzliche grundlose bevorzugte Behandlung usw. Unsicherheit und Mißtrauen zwischen der Bevölkerung und dem Klerus zu schaffen versuchen.

Nicht ein pausenloser Kampf kennzeichnet also die heutige Lage der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei, sondern ermüdende Wellen, nicht ein konzentrierter Angriff auf bestimmte Punkte, sondern ein Geplänkel an der ganzen Front, oft durch einschläfernde Kampfpausen unterbrochen. Märtyrer zu schaffen, wie kürzlich durch zwei Todesurteile, vermeidet man lieber. Man zieht vor: durch täglich neue Unannehmlichkeiten zu ermüden. Gleichgültigkeit, Vergeßlichkeit, Schläfrigkeit — mit diesen Schwächen glaubt man eher rechnen zu können, als mit Verrat und offener Preisgabe.

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