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Die „Feuerwehr“ in Beirut

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Mit der Landung amerikanischer Truppen, ausgerüstet mit allem Werkzeug der modernen Kriegführung, an der libanesischen Küste ist der Nahe Osten zu einem Brennpunkt des weltpolitischen Geschehens geworden. Eine schon lange sich immer deutlicher abzeichnende Entwicklung hat damit einen Punkt erreicht, der unzweifelhaft schwere Gefahren sichtbar werden läßt, zugleich aber auch den Ausblick auf hoffnungsvolle Möglichkeiten von weltweiter Bedeutung eröffnet.

Seit vierzig Jahren schleppt die Politik der Westmächte im Vorderen Orient eine Hypothek mit ich, für deren Last die Kurzsichtigkeit einer früheren Epoche — und das muß man den in unserer Zeit in Washington und London und Paris führenden Staatsmännern zugute halten — verantwortlich war. Zwischen der Balfour-Deklaration von 1917, die den Zionisten die Begründung einer jüdisch-nationalen Heimat auf dem Boden Palästinas in Aussicht stellte, und dem schon zwei Jahre früher dem Scherif von Mekka gegebenen Versprechen der völligen Unabhängigkeit des arabischen Raumes nach dessen Befreiung von der osmanischen Herrschaft klaffte ein Widerspruch, der praktisch unlösbar war und die zu nationalem Bewußtsein erwachten arabischen Führerschichten um so mehr verbittern mußte, als nach dem Krieg allein dem Hedschas tatsächliche Selbständigkeit zugestanden wurde und vom politischen Zusammenschluß und der Unabhängigkeit der übrigen arabischen Gebiete, durch die Großbritannien und Frankreich die willkürlichen Grenzen ihrer Protektorate zogen, keine Rede mehr war. Was hingegen einer späteren Generation westlicher Staatsmänner zum Vorwurf gemacht werden kann, ist, daß sie bei jedem Versuch, die Last jener Hypothek zu verringern, immer wieder dieselbe Inkonsequenz und denselben Mangel an Gefühl für die richtigen Mittel und den richtigen Zeitpunkt ihrer Anwendung an den Tag gelegt und damit dazu beigetragen hat, die vor vierzig Jahren entstandene Kluft zwischen dem Westen und der arabischen Welt zu vertiefen, anstatt sie allmählich auszufüllen.

Spätestens nach der Kairo-Konferenz von 1945, auf der die Arabische Liga begründet und Kairo zum ständigen Sitz dieses Verbandes bestimmt worden war, mußte es klar sein, daß die panarabische Bewegung auf Aegypten übergegriffen und damit der Frage nach den künftigen Recht- und Besitzverhältnissen am Suezkanal eine neue und dringliche Bedeutung gegeben hatte. Hätte man es damals unternommen, den Kanal tatsächlich zu internationalisieren, das heißt samt den anliegenden Geländestreifen als Gemeinbesitz aller Völker zu erklären und einer internationalen Schutzmacht, unter Teilnahme natürlich auch Aegyptens, zu unterstellen, so hätte man der bereitwilligen Zustimmung Kairos sicher sein können. Es wäre das ein Schritt gewesen, der auch dem panarabischen Nationalgefühl Befriedigung verschafft hätte. Nichts aber geschah, bis schließlich Großbritannien sich unter dem ständig wachsenden Druck ägyptischer Terror?kte veranlaßt sah, die Kanalzone zu räumen. Dieser

Rückzug, von allen Arabern als ihr Sieg und als Beweis britischer Schwäche ausgelegt, gab dem Obersten Nasser das grüne Licht für sein nächstes und eigentlich nur folgerichtiges Unternehmen: die Beschlagnahme des Kanals als ägyptisches Eigentum. Hätten nun Großbritannien und Frankreich, sozusagen als Treuhänder aller an der freien Kanaldurchfahrt interessierter Nationen, Nassers Eigenmächtigkeit sofort mit Waffengewalt zurückgewiesen, um den früheren Rechtszustand wiederherzustellen, so wäre man ihnen fast sicher nicht in den Arm gefallen; sie zögerten aber mehr als drei Monate, ehe sie sich nach umständlichen und aller Welt bekanntgegebenen Vorbereitungen zu ihrem Schlag entschlossen, zu einem Zeitpunkt, der im Hinblick auf die ungarischen Ereignisse und auf die eben anlaufende israelische Offensive gegen Aegypten nicht unglücklicher hätte gewählt werden können.

Inzwischen hatte sich die Lage gründlich geändert.

Es ist heute eine akademische Frage, wer an dem Fiasko der anglo-französischen Operation die größere Schuld trägt — die Regierungen in London und in Paris, die sich von Washington zur vorzeitigen Feuereinstellung zwingen ließen, oder die amerikanische Regierung, die, durch massive sowjetische Drohungen ins Bockshorn gejagt, nichts Besseres wußte, als ihr ganzes Gewicht gegen London und Paris in die Waagschale zu werfen. Jedenfalls war es so, daß ein Unternehmen, welches bei weiterer Durchführung um nur wenige Stunden das Ende des Nasser-Regimes und eine gewaltige Stärkung der prowestlichen Elemente im arabischen Raum erbracht haben würde, mit einem weithinwirkenden Triumph für Nasser und die panarabische Bewegung zu Ende ging. Daß es die Vereinigten Staaten waren, denen der Vorkämpfer des Panarabismus seine Rettung vor dem Untergang verdankte, wurde nicht zur Kenntnis genommen; in arabischen Augen war der Abbruch der anglo-französischen und der noch ungleich siegreicheren israelischen Intervention der Erfolg, so unglaublich das Nicht-arabern klingt, der ägyptischen Waffen im Verein mit der mächtigen Unterstützung der sowjetischen Diplomatie. Von da an nahm die jüngste Phase der panarabischen Bewegung, die mit dem Aufstand in Libanon und dem Umsturz in Bagdad ihren gegenwärtigen Höhepunkt erreicht hat. ihren Anfang.

Heute sind es die Amerikaner, die sich, nur in zweiter Linie von den Briten gefolgt, zu einer bewaffneten Intervention im arabischen Raum entschlossen haben. Das Objekt, welches sie dabei im Auge haben, ist viel weniger klar als jenes, dem das anglo-französische Eingreifen im Oktober 1956 gegolten hat. Lag es in ihrem Plan, jede Machtverschiebung in diesem Raum gegebenenfalls auch mit Waffengewalt zu verhindern, so hätte ihnen schon der Anschluß Syriens an Aegypten Anlaß geboten, durch Landung entsprechender Streitkräfte auf syrischem Boden — die syrisch-ägyptische Fusion hatte sich ja schon lange genug angekündigt — zu intervenieren. Ebenso ist der Angriff des neoägyptischen Imperialismus auf die Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit der libanesischen Republik schon seit Monaten im Gange, aber erst jetzt sind die ersten amerikanischen Truppen, und zwar in unmittelbarem Anschluß an die blutigen Ereignisse in Bagdad, auf libanesischem Boden erschienen. Diese Umstände könnten beinahe befürchten lassen, daß der amerikanische Einmarsch in Beirut und der der Briten in Amman eher im Affekt und in spontaner Reaktion auf die irakische Gewalttat erfolgt sei als auf Grund eines wohldurchdachten Konzepts und in gründlicher Erwägung aller sich nun ergebenden Konsequenzen. Aber auch bei Ausschluß eines solchen beunruhigenden Gedankens stellt sich in Anbetracht der bisher keineswegs erfreulichen Geschichte der westlichen Orientpolitik die Frage, ob sich die Verantwortlichen in Washington und in London vollkommen im klaren über die letzten Ziele sind, die sie in diesem Räume anstreben und zu deren Erreichung die Landung in Libanon und in Jordanien ja offenbar — und bestenfalls — nur der erste Schritt sein konnte.

Mit Waffengewalt ist die panarabische Bewegung, die längst zu einer Kraft geworden ist, mit der man mehr hätte rechnen müssen, nicht zu unterdrücken; und selbst an die Wiederaufrichtung des Haschemitenthrones in Bagdad durch ein bewaffnetes Vorgehen der Alliierten ist, wie ja sowohl Washington wie London bestätigt haben, nicht zu denken. Anderseits kann auch die Alliierten-Besetzung Libanons und Jordaniens nicht ewig dauern, und den Abzug der alliierten Truppen würden diese beiden Staaten, dessen kann man sicher sein, nicht um viele Tage, vielleicht nicht einmal um Stunden, überleben. AH das ist eben so sicher wie ein Punkt, dessen man sich in Washington und in London, hoffentlich, voll bewußt ist: wenn der Rückzug angetreten wird, unter sowjetischem Druck oder aus welchen Gründen immer, ehe die Alliierten einen Erfolg erzielt haben, der auch in arabischen Augen unzweifelhaft als solcher erscheint, dann ist es um die letzten Reste westlichen Ansehens und westlichen Einflusses bei den arabischen Völkern geschehen und die Gefahr unabwendbar geworden, daß der gesamte arabische Raum, was heute noch keineswegs der Fall ist, der Anziehungskraft Moskaus erliegt. Ein solcher Erfolg aber ist, so wie die Dinge liegen, nur noch im Wege einer völligen Neuorientierung der westlichen Politik in diesem Raum zu erhoffen. Die arabischen Völker müssen die Ueberzeugung gewinnen, daß ihnen der Westen aufrichtige Freundschaft bietet; nicht um unter diesem Deckmantel Vorteile für sich zu sichern, und auch nicht aus Schwäche oder Furcht oder aus herablassender Güte, sondern im ehrlichen Bestreben, die Fortschritte, die er errungen hat, mit der arabischen Welt zu teilen. Eine solche Generalüberholung ihrer nahöstlichen Politik wird an die Einsicht und die Staatskunst der westlichen Regierungen allerdings die höchsten Anforderungen stellen.

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