6707201-1964_05_04.jpg
Digital In Arbeit

Die Fragestunde als Damoklesschwert

Werbung
Werbung
Werbung

Das befragte Mitglied der Bundesregierung ist verpflichtet, solche Anfragen mündlich in der gleichen Sitzung, in der sie aufgerufen werden, zu beantworten oder Gründe für die Ablehnung der Beantwortung bekanntzugeben. Zu diesem Zweck beginnen die meisten Sitzungen des Nationalrates mit der sogenannten Fragestunde. Nach Beantwortung der Anfrage ist der Fragesteller berechtigt, bis zu zwei Zusatzfragen zu stellen; diese müssen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage stehen.

Es wird fast von niemandem bestritten, daß die Einführung der Fragestunde zur Belebung der parlamentarischen Arbeit beigetragen hat. Manche vorgebrachte Kritik beruht auf einer Verkennung des Wesens dieser Einrichtung: So wurde häufig geklagt, daß der Großteil der eingebrachten mündlichen Anfragen Lappalien beinhalte, die oft nur für eine bestimmte Person Oder eine Gegend von Interesse seien. Nun gibt es tatsächlich Anfragen über die Beförderung einzelner Bediensteter, über die Errichtung von Telephonzellen oder die Renovierung eines Warteraums in einem bestimmten Bahnhof usw. Naturgemäß stoßen diese Dinge nicht auf allgemeines Interesse, aber für die Allgemeinheit , von Bedeutung ist die Möglichkeit, alle Unzukömmlichkeiten vor das Forum des Parlaments und damit an die Öffentlichkeit zu bringen! Das Wichtigste sind vielleicht nicht einmal die tatsächlich notwendigen und daher gestellten Anfragen; die heilsame Wirkung ist schon dadurch gegeben, daß die Fragestunde wie ein Damoklesschwert über der staatlichen Verwaltung schwebt und diese zur genauen Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien zwingt.

Verschiedentlich wird ein Ausbau des mündlichen Fragerechts befürwortet. So hat gegenwärtig nur der anfragende Abgeordnete das Recht, Zusatzfragen zu stellen, und auch dies nur bis zur Höchstzahl zwei. In manchen Fällen wird bei diesem Verfahren der Gegenstand nicht erschöpfend behandelt. Allerdings sind daran die Abgeordneten selbst nicht ganz unschuldig. ^

So interpellierte zum Beispiel ein Abgeordneter der ÖVP im Herbst vergangenen Jahres den Außenminister über eine Rede eines sozialistischen Abgeordneten, und zwar ob sie geeignet schien, die Verhandlungen Österreichs mit der EWG ungünstig zu beeinflussen. Darauf der Minister: „Hohes Haus! Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist die Institutionalisierung der wirtschaftlichen Integrationsbestrebungen sechs demokratischer Staaten in Europa, also von Staaten, deren Grundlage der Parlamentarismus ist und in denen die volle und uneingeschränkte Redefreiheit besteht. Nun gehört es zum Wesen des Parlamentarismus, daß die vom Volk gewählten Abgeordneten das Recht haben müssen, ihre Meinung zu äußern, ohne dabei durch Auffassungen der Regierung oder durch Beschlüsse der Regierung beeinflußt zu werden.“ Nun hatte der Fragesteller aber zweifellos nicht um eine Belehrung über den Unterschied in der Verbindlichkeit der Äußerungen von Regierungsmitgliedern einerseits und von Parlamentariern anderseits ersucht, sondern er wollte vom verantwortlichen Leiter der österreichischen Außenpolitik klipp und klar die Meinung hören, welche Auswirkungen eine damals vielbeachtete Rede auf die schwebenden Verhandlungen in Brüssel habe beziehungsweise haben könnte. Auch durch die Zusatzfragen wurde die Angelegenheit in dieser Hinsicht nicht geklärt.

Oder ein anderes' Beispiel: Ein Abgeordneter der SPÖ stellt die Zusatzfrage an den Landwirtschaftsminister: „Ich kann also annehmen, Herr Minister, daß Sie im Interesse des Konsumenten weder daran denken, eine Globalkontingen-tierüng einzuführen noch eine Einschränkung der Einfuhr von Hühnern, Enten und anderem Geflügel vorzubereiten ... Glauben Sie nicht, daß, wenn zum Beispiel in Deutschland die Einfuhr aus Amerika von 1959 bis 1962 auf das Zwanzigfache gestiegen ist und dadurch der ,Hähnchenkrieg' ausgelöst wurde, während die Einfuhr in Österreich nur auf das Doppelte gestiegen ist, alle Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Bevölkerung mit preiswertem und qualitätsmäßig einwandfreiem Geflügel aus den Oststaatenv genauso wie aus den Weststaaten zu versorgen?“ Darauf der Minister: „Das ist bisher schon geschehen. Es gab in Österreich keinen Mangel an Geflügel.Die Preise sind sogar von Jahr zu Jahr gesunken. Im übrigen weiß ich nicht, welchen Gedanken Sie bei mir lesen wollen. Ich kann daher diese Frage des Gedankenlesens nicht beantworten.“ Womit die Frage nach der beabsichtigten Einschränkung der Einfuhr praktisch unbeantwortet blieb.

Manchmal scheint es, daß die Relikte obrigkeitsstaatlichen Denkens bei uns noch zu groß sind und dringend abgebaut werden müssen. Vielleicht wäre es auch Aufgabe des die Verhandlungen leitenden Präsidenten des Nationalrates, jeweils darauf zu achten, daß gestellte Fragen tatsächlich beantwortet werden. Anderseits könnten unsere Abgeordneten am Vorbild des eng-, lischen Unterhauses lernen, daß kurze, knappe und trockene Fragen die zielführendsten sind und die wenigste Gelegenheit bieten, ihre Beantwortung durch rhetorische Ausflüchte zu umgehen. Jedenfalls aber ist — schon im Interesse der Demokratie — kein Regierungsmitglied sakrosankt. Die Ve^handlungs-laitung hat dabei alle Sprecher (auch Minister) an parlamentarische Würde und I Ordnung zu erinnern, um etwa folgende Exzesse anläßlich von Ausführungen des Verkehrsministers von vornherein zu unterbinden ... \„Ich muß sagen: Als Postbediensteter des mittleren Dienstes müßten Sie < eigentlich wissen, daß ,G' in diesem Falle .Generaldirektor' heißt.“ (Abgeordneter Glaser: „Herr Minister, Sie verkennen Ihre Position! Sie verkennen Ihre Aufgabe! Sie haben Rede und Antwort zu stehen und nicht Werturteile über Abgeordnete abzugeben! Das ist eine Unverschämtheit!“ — Abgeordneter Uhlir, zur- ÖVP gewendet: „Das ist eine Frechheit!“) „Es tut mir auch leid...“ (Abgeordneter Glaser: „Was bilden Sie sich eigentlich ein?! Das ist eine Frechheit!“ — Abgeordneter Diplomingenieur Waldbrunner: „Sie haben das letzte Recht, von einer Unverschämtheit zu reden! Wenn hier jemand unverschämt ist, dann sind Sie es!“ — Abgeordneter Uhlir: „Das ist von euch eine Frechheit, einen Minister so anzugehen! Was glaubt ihr eigentlich?!“ — Abgeordneter Dipl.-Ing. Waldbrunner: „Schweigen Sie endlich! So ein Krawallmacher!“ — Anhaltende stürmische Zwischenrufe.)

Es ist sehr wahrscheinlich, daß eine bessere Handhabung der bereits gebotenen Möglichkeiten unserer parlamentarischen Geschäftsordnung bis auf weiteres institutionelle Reformen erübrigen würde. Was soll etwa die sogenannte „große Anfrage“ noch bringen? Nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ist sie schriftlich — von 30 Mitgliedern unterstützt — einzureichen und vom Präsidenten der Bundesregierung mitzuteilen. Erklärt sich die Bundesregierung zur Beantwortung in einer bestimmtefi Sitzung bereit, so wird sie auf die Tagesordnung gesetzt und einer der Anfragenden erhält vor der Beantwortung das Wort zur Begründung. An die Antwort kann sich eine Beratung anschließen, wenn 30 Mitglieder dies verlangen. Die Geschäftsordung des Nationalrates enthält im Gegensatz zu dieser großen Anfrage die Einrichtung der „dringlichen Anfrage“: Auf Vorschlag des Präsidenten oder auf Antrag von acht Mitgliedern kann der Nationalrat beschließen, daß eine eingebrachte Anfrage vom Fragesteller mündlich begründet wird und hierauf eine Debatte über den Gegenstand stattfindet. Dem Antrag ist ohne weiteres stattzugeben, wenn er von mindestens 20 Mitgliedern des Nationalrates unterstützt wird. Der Unterschied zur großen Anfrage besteht nur darin, daß nach der österreichischen Regelung unter Umständen Begründung und Debatte einer dringlichen Anfrage-' erfolgen, ohne daß überhaupt die Antwort schon erteilt worden ist.

In mancher Beziehung sind die Geschäftsordnungen ausländischer Parlamente sicher weitergehend als die der österreichischen Volksvertretung. Aber die Geschäftsordnung unseres Nationalrates hat eine ehrwürdige Tradition und •— wenigstens bis jetzt — eine kontinuierliche Entwicklung. Ihre genaue Befolgung und einfallsreiche Handhabung böte auch in der gegenwärtigen Fassung genügend Möglichkeiten vor allem -einer wirksamen Kontrolle der staatlichen Verwaltung durch die Volksvertretung. Hemmnisse bei der Erfüllung dieser Aufgabe stammen zu allerletzt aus unbefriedigenden Verfahrensvorschriften. Man sollte daher nicht durch den Ruf nach institutionellen Reformen von den eigentlichen Problemen ablenken. Die Frage der Aufwertung des Paria-ments ist nicht eine der Äußerlichkeiten, sondern vor allem die der Wiederherstellung seiner Entscheidungsfreiheit gegenüber Regierung, Parteivorständen und anderen Gremien.

Sehr treffend schrieb hierzu vor einiger Zeit. Sir Edward Fellowes, ein leitender Beamter des britischen Unterhauses: „Die Waagschale ist immer in Gefahr, denn wenn die Exekutive zu schwach ist, wird das Chaos folgen, und wenn sie zu stark ist, wird die Freiheit gefährdet. Nichts ist perfekt, und in einem lebendigen System gibt es ständig Veränderungen, selbst wenn diese langsam um sich greifen. Während des letzten Jahrhunderts mag sich die Waagschale etwas zur Seite der Exekutive geneigt haben; es gibt aber starke Anzeichen dafür, daß auch das Unterhaus dieses bemerkt hat und nunmehr nach Mitteln sucht, Abhilfe zu schaffen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung