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Die Friedenskonferenz

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Venn wir heute festhalten können, daß am 29. Juli 1946 die Friedenskonferenz beginnt, dann können wir auch sagen, daß nun der Friede in greifbare Nähe gerückt ist und daß er noch in diesem Jahre wenigstens für den größten Teil Europas Wirklichkeit werden wird

Die Friedenskonferenz tritt in Paris zusammen, wo schon so viele bedeutungsvolle Frieden geschlossen wurden, wo der achtjährige Krieg zwischen England und Frankreich 1763 beendet, wo 1814 und 1815 der Schlußpunkt unter den Napoleonischen Weltkrieg gesetzt wurde, wo 1856 der Krimkrieg sein Ende fand und sich 1898 USA und Spanien die Hand reichten. In Versailles fand 1783 die Unabhängigkeit der USA ihre Anerkennung, die Vororteverträge von 1919/20 beschlossen den Weltkrieg 1914/18. Nun ist es wieder an Paris, sich in das Friedensbuch der Menschheit einzutragen. Möge die Eintragung von 1946 für lange Zeit die letzte bleiben.

Während im Palais de Luxembourg das Generalsekretariat der Konferenz und die Ausschüsse arbeiten werden, wird die Vollkonferenz in der Kammer zusammentreten. Die Einladungen zur Konferenz ergingen im Namen der Pariser Friedenskonferenz von Frankreich aus, und zwar werden 21 Staaten an den Beratungen teilnehmen. Diese 21 Staaten sind nach mehreren Gruppen zu unterscheiden: England, USA, Rußland und Frankreich sind die einladenden Mächte, zu diesen gehören indirekt Kanada, Indien, Südafrika, Australien. Neuseeland, Ukraine und Weißrußland; an diese reihen sich China und Brasilien als vollkriegführende Mächte, sodann kommen die sieben Opferländer Polen. Tschechoslowakei, Jugoslawien, Griechenland, Belgien. Niederlande und Norwegen, schließlich Abessinien. Teile der letztgenannten Staaten wie die Slowakei und Kroatien, waren Achsenpartner, Norwegen und Serbien hatten eine achsenfreundliche Regierung im Lande. Als Objekte erscheinen vor der Friedenskonferenz Finnland, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Italien, sie sind vorgeladen, um die Verträge entgegenzunehmen.

Die baltischen Staaten sind bereits endgültig neukonstituiert und bedürfen keiner Friedensverträge. Dänemark, Luxemburg und Albanien erscheinen in keiner Form im Programm der Pariser Konferenz. Somit bleiben nur mehr Deutschland und Österreich übrig, die in den Aufgabenkreis der Friedenskonferenz nicht einbezogen werden konnten, da es hier über grundsätzliche Vorfragen noch zu keiner Einigung gekommen ist.

Die Friedenskonferenz wird einen allgemeinen Ausschuß aller 21 Teilnehmer bilden, der die Arbeiten zu koordinieren haben wird, ferner Vollsitzungen abhalten, welchen Abänderungen der Geschäftsordnung und Minderheitenanträge vorbehalten sind, endlich fünf politische, zwei wirtschaftliche Ausschüsse und je einen Ausschuß für Italien, dann für Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Finnland, für Militärfragen, für Rechtsfragen und für Textfestlegungen zusammensetzen. Die Abstimmungen werden mit Zweidrittelmehrheit vor sich gehen und ein Vetorecht nicht zulassen. Soweit gilt diese nach harten Kämpfen entstandene Geschäftsordnung als Grundlage für die Verhandlungen, der Konferenz wird es aber freistehen, allfällige Änderungen an der Geschäftsordnung vorzunehmen.

Frankreich wird nicht nur formell — als Gastland — die Verhandlungen leiten. Die bisherigen Beratungen der Großen Vier haben bereits auch den geistigen Leiter der Konferenz klar erkennen lassen: Ministerpräsident George' Bidault, dem es dank seiner bewunderswerten Verhandlungstaktik gelungen ist, zahlreiche, bisher fast unlösbar scheinende Fragen von größter Tragweite auf dem Kompromißweg - einer brauchbaren Lösung zuzuführen.

Überraschungen sind ' von der bevorstehenden Konferenz nicht zu erwarten, da die Hauptfragen schon auf der Tagung des Außenministerrates vom 15. Juni bis 12. Juli 1946 bereinigt worden sind und die ungelösten Fragen nicht in den Rahmen der Friedenskonferenz fallen. Zweifellos wird es zu verschiedenen, auch schwerwiegenden Anträgen und Protesten mancher der 17 eingeladenen Regierungen Kommen und die fünf vorgeladenen Staaten werden ihre größte Mühe aufwenden, um noch Änderungen zu ihren Gunsten herbeizuführen. Von Seite Italiens und Jugoslawiens sind sogar scharfe Gegenaktionen zu erwarten — die Konferenz wird aber trotzdem zu einem vollen Abschluß gelangen und was an ewigen Forderungen bleiben mag, das wird ordnungsgemäß an die UNO verwiesen, der das Erbe aller ungelösten Probleme vorbehalten ist.

Am einfachsten scheint der Vertrag mit Finnland zu sein, dessen Fragen eine rasche Bereinigung fanden und in deren Zuge die Entmilitarisierung der Alandsinseln beschlossen wurde. Ungarn muß harte Verzichte hinnehmen und jenen auf Siebenbürgen als endeültig betrachten. Auch Bulgarien und Rumänien werden viele Einbußen verzeichnen. Die neuen Wehrmächte dieser Staaten gestalten sich ungefähr ähnlich wie die nach 1918 den besiegten Staaten vorgeschriebenen. Der fünfte Vertrag wird Italien gelten. Hier bestanden die größten Hindernisse, stand doch Italien als Hauptachsenpartner im Kriege gegen die Vereinten Nationen, doch andererseits hat es. durch seine Kapitulation 1943 den Niederbruch Deutschlands wesentlich beschleunigt. Es galt somit einen Ausgleich zu treffen, wobei die Verlustseite groß genug erscheint: der Dodekanes an Griechenland, Gebietsabtretungen an Jugoslawien und Frankreich, Inter-nationalisierung von Triest, voller Verzicht auf die Kolonien und Reparationsleistungen an Sowjetrußland. Triest wird unter dem Schutze der UNO ein Freistaat mit etwa 60 Kilometer Radius unter italienisch-jugoslawischem Regime, das vorläufig für zehn Jahre gilt. Über die Kolonien wird erst nach Ablauf eines weiteren Jahres entschieden. Die Entschädigungen an Rußland betragen 100 Millionen DolUr in sieben Jahren. An Frankreich kommen bestimmte Grenzgebiete im Räume des Mont Cenis und des Col di Tenda, an Jugoslawien der ehemals dalmatinische Besitz und Teile von Venetia Gulia. So wird Italien ungefähr in den Raum von 1870 zurückgedrängt.

Deutschland ist nicht Gegenstand der Friedenskonferenz. Der Außenministerrat hat aber immerhin die Fragen klar umrissen, die weiter ungeklärt bleiben: Soll Deutschland außer einer wirtschaftlichen auch ein politische Einheit bilden? Soll es ein Einheits- oder ein Bundesstaat sein? Sollen Ruhr, Rheinland und Saar abgetrennt werden? Wie hoch sind die Wiedergutmachungen zu beziffern, und welcher Art soll die Entmilitarisierung sein? Das Problem Deutschland wird für lange Zeit Sieg und Frieden überschatten, denn trotz einer Niederlage von noch nie dagewesenem Ausmaß bleibt im Herzen Europas ein Block von 60 bis 70 Millionen Menschen bestehen, deren Rückgliederung in die Staatengesellschaft in solcher Art wird erfolgen müssen, daß beiden Zielen entsprochen werden kann: Austilgung des preußischen entarteten Militarismus und Schaffung von Lebensbedingungen, die nicht zu Verzweiflung und Ver-geltungssucht treiDen. Man muß zugeben,daß die Lösung dieser Aufgabe angesichts der sich überschneidenden Interessen aller interessierten Mächte wirklich schier unmöglich anmutet.

Wesentlich anders gestaltet sich die Frage Österreichs. Mit Schmerz und Enttäuschung sehen wir Österreich ebenfalls noch außerhalb der Konferenz bleiben, denn es ist weder ein- noch vorgeladen. Beschwert mit der brennenden Wunde Südtirols, mit der drückenden Frage des deutschen Eigentums, mit der vierteiligen Besatzung, der interalliierten Kontrolle, mit der Zurückhaltung seiner Kriegsgefangenen, mit dem Ballast der vielen hunderttausend Ausländer und der Entnazifizierung — muß es als wahrhaftes Aschenbrödel' vor den Pforten des Friedens geduldig weiterwarten. Am 12. Juli war Österreich Gegenstand der Besprechungen der Großen Vier— das Ergebnis war Vertagung. Wenn wir es versuchen, uns in den Fahrplan der Weltpolitik' einzuschalten, dann könnte sich folgendes Bild ergeben: im besten Falle, das heißt nach befriedigender Lösung der Entnazifizierung und der Frage der „Displaced persons“ könnte die österreichische Frage nach der Friedenskonferenz zur Diskussion gelangen, also noch im September. Als nächster Termin kommt erst die Zeit nach Beendigung der am 23. September beginnenden neuen Tagung der UNO in Betracht, also etwa der November. Sollte es dann zu einer Einigung über den “Vertrag mit Österreich kommen, könnte dieser mit Jahresschluß perfekt werden, somit zu jenem Termin, der dem neuen Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 zur Überprüfung dieses Abkommens gestellt ist. Und wenn man weiter annimmt, daß auch füf Österreich — wie für Italien — die 90-Tage-Räumungsfrist nach Friedensschluß gilt, dann wäre es denkbar, daß Österreich genau zwei Jahre nach seiner Befreiung seine Vollsouveränität erlangt.

Bei all seinem Unglück verfügt aber Österreich über ein unschätzbares Kapital: seine politische Schlüsselstellung in Europa, welche das Land mit der Politik der Großund Weltmächte dauernd verknüpft. Dieses Kapital zu nutzen ist eine diplomatische Preisaufgabe, eine Aufgabe, die bei zweckentsprechender Verwertung der sich begegnenden und widerstrebenden Aspirationen einen außenpolitischen Erfolg zu zeitigen vermag, der einem kleinen Staate alle Ehre machen müßte. Weitgehend unterstützt wird diese Chance durch die nicht erst zu beweisende Tatsache österreichischer Friedfertigkeit, Versöhnlichkeit ; und österreichischer Fähigkeit zur Ausgleichung von Gegensätzen im Zusammenleben mit unterschiedlichster Umw-.lt.

Was schließlich die beiden unleidigen Vor-' fragen der Entnazifizierung und der Displaced persons betrifft, muß gesagt, werden, daß die erstere Frage mit Wille und Energie' unbedingt in absehbarer Zeit lösbar ist, daß hingegen die letztere Frage leider gar nicht von Österreich abhängt. Bei aller Respektierung der internationalen Gesetze für politische Flüchtlinge darf man hiebei doch nicht vergessen, daß ein. Großteil der Displaced persons ohne Zv/cifel aus eifrigen Hitler-Anhängern besteht, die tätsächlich bei uns nichts zu suchen haben und die nicht wegen ihrer rein örtlichen Zufälligkeit ein ganzes Volk um den Frieden bringen dürfen.

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