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„Die Fronten ziehen querfeldein"

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Der Kampf der Kommunisten gegen die katholische Kirche in Ungarn erreichte während der Jahre 1948 und 1952 Höhepunkte, derer sich die Kommunisten von heute nicht mehr gerne erinnern. Damals entschied sich vielleicht endgültig das weitere, fernere Schicksal der Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Katholiken in diesem Lande, und zwar in einem Sinne, der den heutigen Absichten der Kommunisten auf diesem Gebiet zuwiderläuft. Die Kommunisten hatten es vor allem mit der kämpferischen Natur des Primas von Ungarn, Kardinal Mindszenty, zu tun. Es ist bekannt, daß der Kardinal für sich, als den „ersten Bannerherrn des Landes“ — ein mittelalterlicher Rechtstitel — das Recht in Anspruch nahm, bei der Entscheidung über die künftige Staatsform des Landes gehört zu werden. Es ist daher klar, daß es selbst für eine im westlichen Sinne demokratische Republik Ungarn nicht immer leicht gewesen wäre, alle Möglichkeiten eines Konfliktes zwischen Staat und Kirche zu umgehen. Die Ueberlegungen darüber sind allerdings müßig, denn die Hoffnung auf ein demokratisches Ungarn mußte gerade zur selben Zeit begraben werden, als die katholischen Schulen alle mit einem Federstrich verstaatlicht wurden und der Kardinal kurz darauf in dem bekannten Schauprozeß zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wurde.

Die Einkerkerung des Primas von Ungarn war, von dem Gesichtspunkt der Kommunisten aus gesehen, ein Fehler, der wohl kaum mehr gutzumachen ist. Dieser Gewaltakt einigte weite Schichten der Bevölkerung, unter ihnen auch jene, die der Person des Kardinals Mindszenty oder dem Geist, den er weithin hörbar vertrat, nicht nahe standen, in einem einzigen stummen Protest. Damals konnte es vorkommen, daß protestantische Professoren von ihrer Lehrkanzel vertrieben wurden, weil sie nicht vor ihren Schülern gegen Mindszenty Stellung beziehen wollten. Der Name des Kardinals wurde zum unumstrittenen Symbol des nationalen Widerstandes. Und selbst heute noch, da Mindszenty nach dem tragischen Intermezzo zwischen dem 80;- Oktober und 4. November vergangenen Jahres in mißlicher Lage, jeder Möglichkeit des Wirkens-beraubt, im Gesandtschaftsgebäude der westlichen Großmacht leben muß, selbst heute spricht man in Budapest davon, daß der „Fürstprimas“ 80 Prozent der Stimmen bei unmittelbar nach einer „Befreiung“ abzuhaltenden freien Wahlen auf sein Programm, und sei dieses Programm noch so „konservativ", vereinigen würde. Wenn aber dem so ist — und manche Kenner der Lage sagen, es ist dem so —, dann ist dies weniger ein Phänomen der religiösen Inbrunst oder bloß die Auswirkung einer Persönlichkeit, sondern fast ausschließlich die Widerspiegelung eines seelischen Klimas, das in Ungarn allgemein herrscht, und das bewirkt, daß die Menschen auf Brutalität und Zynismus der Machthaber so und nicht anders reagieren: nicht als stille Dulder, als Befürworter eines „Attentismus“, sich in die „innere Lebendigkeit“ zurückziehend, in eine langsame Durchdringung der sich ohnehin in permanenter Krise befindlichen kommunistischen Gesellschaft, in eine geduldige Kleinarbeit bei der stillen Betreuung der Jugend, der Familie, ihre Hoffnungen setzend. Die so denken und handeln, sind auch heute noch die wenigen. Die Mehrzahl der Ungarn aller Schichten, der Katholiken - weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Matrikeln nach -, ja des Klerus, sie denkt und handelt anders.

Die Gründe für die Haltung dieser Mehrheit und für die Haltung der Katholiken und der Priester unter ihnen sind verschieden. Bei den ersteren handelt es sich um eine Erscheinung, die historisch wie soziologisch zu deuten wäre. Historisch, indem man auf die permanente Grenzsituation der Ungarn, auf ihr ständiges Gefährdetsein und ihre daraus entstandene Neigung hinweist, einerseits passiv zu sein, auf dem Rechtsstandpunkt zu verharren und sonst bloß wehleidig zu klagen, anderseits sich von Zeit zu Zeit zu Verzweiflungstaten aufzuraffen und auch darin ihren Unwillen an einem Modus viyendi zu bekunden. Soziologisch, indem man den schönen Wunsch aller Entrechteten, Entwurzelten, ihrer materiellen Basis Beraubten nach dem unversehrten „alten Recht", „alten Besitz“ in Rechnung stellt. Die zunehmende Radikalisierung aller Entwurzelten, innerer Emigranten, ihres Besitzes Entblößten kommt noch dazu. Die Kommunisten sorgten dafür, daß ihre Feinde diesen Prozeß durchmachen.

Ungarns Katholiken nahmen naturgemäß teil an dieser Entwicklung, sie waren aber auch noch auf andere Weise „vorbelastet . Die große Barocktradition und der bis in die jüngste Vergangenheit nachwirkende Josephinismus ließen eine Selbstbefreiung von alten Vorstellungen, die vielfach nur noch Illusionen waren, nicht zu. Nicht nur Kardinal Mindszenty, der auf der ganzen weltlichen Machtfülle eines Kirchenfürsten bestand und die veränderten Zeiten nicht zur Kenntnis nehmen wollte, sondern auch mildere, passivere Naturen unter den Bischöfen und Prälaten können sich ein Leben der Kirche ohne noch so bescheiden weitergeführte bischöfliche Residenz, ohne die auch von den Kommunisten bezahlten staatlichen Zuwendungen, obwohl jene diese mit Leichtigkeit immer wieder als Druckmittel benützen, einfach nicht vorstellen.

Seit dem Jahr 1953 ist die Lage der Katholiken in Ungarn teils besser, teils komplizierter geworden. Juli 1953: das war der Beginn des „neuen Kurses“ des Ministerpräsidenten Imre Nagy, der damals als Regierungschef antrat. Hunderte von Priestern wurden aus den Internierungslagern und Gefängnissen entlassen, die Versuche der „Friedenspriester“, zwischen hohem und niederem Klerus einen Keil zu treiben, ließen allmählich nach. Den Priestern wurden bei Ausübung ihrer priesterlichen Tätigkeit Erleichterungen gewährt. Die Funktionäre des Staatlichen Kirchenamtes, die sogenannten „schnurrbärtigen Bischöfe", benahmen sich höflicher als bisher. Die der Kirche gewährten Erleichterungen waren allerdings meistens wirtschaftlicher Natur. In Fragen der Seelsorge gab es auch von 195 3 an keine größere Freiheit, keine neue Initiative.

Die Entfernung Imre Nagys von dem Posten des Ministerpräsidenten im Frühjahr 195 5 brachte eine vorübergehende Versteifung. Die Wiederherstellung der alten Ordnung konnte jedoch auch Räkosi nicht mehr gelingen. Die Rebellion der kommunistischen Intellektuellen, die schließlich zu den Oktoberereignissen des Jahres 1956 führte, nahm ihren Anfang. Es brach damals ein Zeitalter der internen Machtkämpfe, aber auch der langsamen, stillen Konzessionen diese Zeit eines ungarischen „Vormärz“ von katholischer Seite kaum bemerkt und jedenfalls nicht entsprechend genützt wurde.

Das „Reformzeitalter" fand die Katholiken unvorbereitet. Da die „schnurrbärtigen Bischöfe“ des Staatlichen Kirchenamtes, die in Wirklichkeit meistens Agenten der Staatssicherheitspolizei waren, an den bischöflichen Ordinariaten ihrer Kontrolltätigkeit weiter nachgingen, hielten die maßgebenden katholischen Kreise alle Erklärungen von der friedlichen Koexistenz, von Religionsfreiheit, die etwa anläßlich des 20. Moskauer Parteikongresses fielen, für irgendwelche politische, von oben gelenkte Manöver, denen man nicht viel Beachtung schenken sollte. Diesen Standpunkt zu beziehen war verhältnismäßig bequem. Man nahm die Tatsache, daß die Kirche nach wie vor ihrer wesentlichen Rechte beraubt war, als gegeben und auf kürzere Sicht als etwas Unabänderliches hin. Man nützte nicht die kleinen Möglichkeiten auf dem Gebiete des Apostolats, die Möglichkeiten, die inneren, seelischen, geistigen Fronten mit geduldiger Kleinarbeit zu verstärken, zu modernisieren, neue, der neuen soziologischen Lage in Ungarn am besten entsprechende Methoden des Apostolats und die diesen zugrunde liegende neue geistige

Haltung durch Erziehung und Selbsterziehung herauszuarbeiten. Der ungarische Katholizismus bringt für diese Arbeit wesentlich andere Voraussetzungen mit, als dies heute etwa in Frankreich oder in Oesterreich der Fall wäre. Ungarn ist selbst heute noch kein Missionsgebiet! Wenn der ungarische Klerus etwas mehr im erwähnten Sinne wirken würde, so wäre dadurch die Kirche noch nicht weniger eine Kirche der Verfolgten und Unterdrückten, aber es gäbe vielleicht doch in vielen Einzelfällen Möglichkeiten der Linderung.

Im Sommer 1956 erfolgten die ersten vorsichtigen Tastversuche in der katholischen Wochenzeitung „Uj ember“, die auf eine innere Erneuerung des Kirchenvolkes hinzielten. Bei zahlreichen Zusammenkünften meldeten sich nicht mehr wie bisher bloß „Friedenspriester" zu Wort, sondern auch sogenannte „religiöse Priester“, meist jüngere, aber auch solche mittleren Alters. Es zeigte sich, daß diese Priester nicht mehr in der relativen Bequemlichkeit eines Staatskirchen- tums leben, sondern es versuchen, westliche katholische Gedanken, soweit sie solche im Lauf der Jahre doch irgendwie kennenlernen konnten, unter viel ungünstigeren Verhältnissen in die Tat umzusetzen. Sie sind in der Minderheit, besonders am Lande. Sie sind „Kinder der Unterdrückung“ und gerade deshalb ziemlich unorganisiert und ohne Einfluß. Daher konnten sie bisher auch keine bedeutende Entwicklung auf kirchenpolitischem Gebiet bewirken.

Auch der Staat blieb damals unbeweglich. Im September wurde einmal den Bischöfen mitgeteilt, die Funktionäre des Staatlichen Kirchenamtes würden ihre Post nicht mehr zensurieren.

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