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Die Galiziendeutschen

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Die Bezeichnung „Volksdeutsche“ ist erst durch die NS.-Propaganda, getreu der Parole: „Wo auch nur ein Deutscher lebt, da ist Deutsddand!“, in Schwung gekommen. Interessant ist, daß nur Auslandsdeutsche Ost- und Südeuropas „Volksdeutsche“ genannt wurden. Seit 1933 und im besonderen seit 1938 rückten sie gewollt oder ungewollt in den Brennpunkt politischen Geschehens.

An dem Beispiel der Galiziendeutschen sei die Entwicklung der sogenannten „Volksdeutschen Frage“ vorurteilslos beleuchtet.

Maria Theresia und Kaiser Joseph II. riefen um 178C deutsche Bauern zur Kolonisation in das neue Kronland Galizien. Politische Wirrsale und wirtschaftliche Notlage trieben einen großen Strom arbeitswilliger Menschen aus der Pfalz, aus Franken und Bayern in den Osten. Ihnen'gesellten sich später schles'sche, niederösterrcichische und andere Auswanderer hinzu. Sie wurden oft in unwirtliche Gegenden verschickt und gründeten dort bescheidene Siedlungen, gingen als Handwerker in eine Kleinstadt, wanderten wieder zurück, oder gingen zu Tausenden zugrunde. Die Widerstandsfähigsten und Zähesten aber blieben in ihren neuem 'litcteh Höfen und machten weite Teile des Landes urbar. Die Söhne dieser Ansiedler gründeten „Tochtersiedlungen“ und so kam es, daß sich über Galizien ein Netz von* mehreren hundert deutschen Dörfern breitete. Die Bauern erhielten die österreichische Staatsbürgerschaft, die ihnen bis nach dem ersten Weltkrieg blieb. Tausende, die keine Existenzmöglichkeit hatten, weil die Gründe zu klein waren, waren um die Wende des 19. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert.

Nun da Polen im Jahre 1918 selbständig wurde, waren die Galiziendeutschen fortan polnische Staatsbürger. Sie waren gewillt an der1 Heimat festzuhalten und fühlten sich diesem Staate zugehörig. Niemand zweifelte daran. Mit dem Land, in das man durch die Geburt hineingestellt ist, bleibt man nach einem Naturgesetz zeitlebens verwurzelt. Nichts vermag diesen wahren Begriff der Heimat auszuschalten. Auch die Polen anerkannten dies„ sie hatten lange genug mit diesen arbeitsamen friedlichen Deutschen zusammengelebt. Die Galiziendeutsdien hatten sich nicht über eine nachteilige Behandlung zu beklagen. Abzüglich jener Rechte, cHe einer Minderheit selten zugestanden werden, konnten sie ein zufriedenes und ruhiges Leben führen. Sie waren sogar ob ihrer Tüchtigkeit geachtet. Man ging gerne zu ihnen in die Lehre, Burschen und Mädeln aus benachbarten, polnischen Dörfern-verdingten sich freiwillig bei den deutschen Bauern, deren Siedlungen überall durch ihre Sauberkeit und Ordnung auffielen. Die Galiziendeutschen betonten ihre deutsche Abstammung auch nur innerhalb des eigenen Kreises, man bediente sich der deutschen Sprache nur m der Familie* jeder sprach ansonsten fließend polnisch. Es gab allerdings einen Unterschied zwischen Protestanten und Katholiken. Jene bezogen ihre Pfarrer und Lehrer aus Deutschland, erhielten daher Gottesdienst in deutscher Sprache und deutschen Schulen, diese gingen in die polnische Dorfkirche und sdiickten ihre Kinder in die polnischen Schulen. Daher ist zu erklären, daß Ehen von Protestantendeutschen mit Polen seltener waren, als die der Katholikendeutschen mit Polen. Deutsdie Kirchen, deutsche Schulen, deutsches Gemeinschaftsleben waren gesetzlich gestattet. Die Orts-„Schulzen“ unterstanden Vojts (Vögten). In der Schule war die Unterrichtssprachedeutsch, die polnische Sprache mußte in neun Wochenstunden gelehrt werden. Zur Ergreifung eines Berufes mußten deutsche Schüler eine Abschlußklasse in einer polnischen Schule absolvieren. Uber den Familien- beziehungsweise Dorfkreis 'karh man nicht viel hinaus. Es gab demnach auch keinen Grund zy irgendeinem Streit. 1933 trat dann eine Wende ein. Die deutschen Dörfer wurden in steigendem Masse von Agenten aus dem Reich besucht, sie hielten politische Vorträge ab, „schulten“ durch den Rundfunk und durdi die Presse, verwandelten die Auslandsdeutschen planmäßig in „Volksdeutsche“ und beschworen in ihnen die Zugehörigkeit zum deutschen Weltvolk. Deutschland wurde als „Land der Sehnsucht“ ausgemalt. Es hat nun überall und zu jeder Zeit Leute gegeben, die man leicht entzünden konnte. Es fanden sich auch Deutsche, die diese Propaganda erpackte. Und wenn ein gewichtiger Stein einmal ins Rollen gebradit wurde, ist es meistens aussiditslos seinen Absturz zu hemmen. Es kam zu Zusammenstößen, die sich nach dem Tode Pilsudskis steigerten. Die zunächst ziemlich harmlosen Reibereien gingen durch die Mühle der Propaganda und kamen dort als „Bestialitäten“, „Verfolgung“ und auf polnischer Seite als „Provokationen“, „Aufwiegelei“ und „Staatsverbrechen“ heraus. Es hat auf beiden Seiten Bürger gegeben, die den Sinn und die Ursache solcher Streitfälle mißverstanden haben. 1938 spitzte sich die Lage zu, später — 1939 — gab es einen .,Blutsonntag von Bromberg“, eitlen „Todesmarsch nach Kutno“, es traten Grenzzwischenfälle ein — und der Krieg begann.

Einzelne Minderheitsgruppen in Galizien glaubten beim Einmarsch gleichsprachiger Soldaten, sich freuen zu können, namentlich wenn unter den Truppen Soldaten waren, die aus den Gegenden Deutschlands stammten, aus welchen die Vorfahren einst ausgewandert waren. Wie sah dann die Befreiung aber wirklich aus?

Den wenigen deutschen Politikern ging es so, wie es vielen erging die sich parteipolitisch erhitzten; hatten jene, die nun das Land besetzten, erreicht, wofür man die Deutsdien Galiziens politisch brauchte, dann ließ man sie fallen. Die Regierung und Verwaltung des deutschen „Nebenlandes“ besorgten die Ankömmlinge aus dem Reich, die Galiziendeutschen wurden selbst in untergeordnetsten Stellen nur ungern verwendet. Sie erhielten keine Begünstigungen in ihrer Steuer- oder Ablieferungspflicht, eher verschärfte sich diese Pflicht. Die Männer wurden nicht zur Wehrmacht einberufen, weil sie für „unwürdig“ galten. Man berief sie lediglich zum „Sonderdienst im Generalgouvernement“, eine Art Hilfspölizei, ein. Erst als' empfindlicher Männermangel eintrat — im Feldzug gegen Rußland —, wurden Teile aus diesem „Sonderdienst“ zur SS. überstellt, und zwar „freiwillig“. Unter den Deutschen griff eine Ernüchterung um sich, es gab Konflikte mit Reichsdeutschen, die Enttäuschung war groß. Wollten sich Galiziendeutsche mit Reichsdeutsdien verheiraten, so mußten sie eine äußerst gründliche Überprüfung ihres Stammbaumes, eine genaue Berechnung des Schädelindex und eine peinliche Untersuchung ihrer Bauart über sich ergehen lassen. Später war man dann großzügiger und begann die „Eihdeutschungs“-Aktion. Wer auch nur einen- deutschen Großvater oder eine deutsche Großmutter hatte, war gezwungen sich als Deutscher zu bekennen. Manche taten dies im Hinblick auf die Erhöhung der damit verbundenen Lebensmittelrationen nicht ungern. Andere weigerten sich und wollten sich in die „Volkslisten“, die in drei Gruppen abgestuft war, weder als „Volks“-, noch als „Volldeutsche“ eintragen lassen. Kinder solcher Familien kamen in ein Internat. Es besuchten nun plötzlich Kinder die deutschen Schulen, die, sehr zum Verdruß der zwangsweise in das Generalgouvernement verschickten Lehrpersonen, kein Wort deutsch verstanden.

Als sich die deutschen Fronten bereits in rückläufiger Bewegung befanden, schritt man zu umfangreichen Umsiedlungen. Nicht nur Polen, auch die Deutschen mußten die ihnen teure Heimaterde verlassen, Streusiedlungen mußten aus volkspolitischen Gründen aufgelassen werden und zur Festigung deutschen Volkstums wurden etliche Streusiedlungen zu je einem „Block“ zusammcngesicdelt. Großes Elend schlich sich daher in die früher wohlhabend gewesenen ßauernfamilien ein. Viele der Eingerückten fielen und das Gespenst der Sinnlosigkeit warf seinen unheimlichen Schatten auf niederbrechende Existenzen.

Dann kam der Zusammenbruch der deutschen Armeen. Beim Rückzug wurden die Galiziendeutschen von der SS. gezwungen, vor den Russen zu fliehen. Wer sich diesem Fluchtbefehl widersetzte, wurde erschossen. Endlose Trecks bewegten sidi in Richtung der Reichsgrenzen. Die Galiziendeutschen wurden in Flüchtlingslager in Oberschlesien zusammengepfercht.

Eine zweihundertjährige Pionierarbeit unermeßlichen Ausmaßes war über Nacht zerschlagen. Maßloses Elend herrschte in den Flüchtlingslagern, die 1945 bis 1946 neuerlich geräumt und nach Sachsen verlegt werden mußten. v

Und das Ende: Tausende von heimatlosen, obdachlosen, hungernden und frierenden Bettlern. Einst wohlhabende Bauern, heute von der Welt verstoßene Jammergestalten. Gestrandete Existenzen, vernichtetes Leben. Eine harte Sühne wohl für die Schuldigen, aber ein überaus grausames Geschick für die Unschuldigen. Das Gebot der christlichen Nächstenliebe verlangt Erbarmen und verbannt Verachtung und Haß. Die Welt aber geht über diese Tragödie hinweg.

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