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Die GATT-Konferenz

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Die einzige Welthandelsorganisation, die wir besitzen, der GATT, ist als Notlösung entstanden und erhielt seinen Namen durch einen Zufall. Dennoch hat er sich acht Jahr« hindurch gut bewährt und man ist jetzt irr Begriffe, das Abkommen auszugestalten und fester im internationalen Leben zu verankern. Was ist zunächst diese merkwürdige Organisation, wozu dient sie und wie besorgt sie ihre Aufgabe?

Nach dem Kriege wollte man im Rahmen der Vereinten Nationen eine Welthandelsorganisation schaffen. Mit dem Namen ITO (International Trade Organisation) ist sie als totgeborenes Kind zur Welt gekommen, ihre Charta wurde nur von einem einzigen Lande — von Liberien, also nicht eben von einer führenden Handelsmacht — ratifiziert; seither ist sie in Vergessenheit versunken. Der Welthandel benötigte aber unbedingt und dringend eine Organisation, und während man darauf wartete, ob der amerikanische Senat die Handelscharta vielleicht doch annehmen wird, schlossen sich etwa zwei Dutzend Staaten zu einem „Club der Wohlgesinnten“ zusammen. Sie verloren ihre Zeit nicht mit der Ausarbeitung von Statuten, sondern übernahmen aus der Charta einige Regeln, wie sich ein Land verhalten soll, um den Welthandel durch seine Wirtschaftspolitik nicht zu stören. Es war eine allgemeine Verständigung über Zoll- und Handelsfragen und aus den Anfangsbuchstaben dieser vier Worte (in englischer Sprache) entstand die Bezeichnung: GATT.

Nun sehen wir auch, worin die Stärke und auch die Schwäche des Gebildes liegen. Es füllt eine allseits empfundene Lücke aus, so daß es niemand missen möchte, wenn auch manchmal (vor allem in England) Klagen laut wurden, daß der GATT die Bewegungsfreiheit der Regierung im Felde der Handelspolitik einengt; vor allem protektionistisch gesinnte Kreise empfanden dies immer wieder störend. Die Schwäche des GATT liegt hingegen darin, daß er keine eigentliche Organisation darstellt, so daß er nicht einmal ein ständiges Sekretariat besitzt. Der Form nach ist er nichts viel anderes als das jährliche Treffen der „Ehemaligen“ eines Schuljahrganges, dem man fernbleiben kann, wenn man nicht mehr mittun will; denn jeder Staat kann vom GATT mit einer Kündigung von 30 Tagen austreten, womit auch alle dort- selbst eingegangenen Verpflichtungen automatisch aufhören würden, wirksam zu sein. Man wird zugeben, daß der Welthandel eine straffere internationale Organisation benötigt!

Glücklicherweise hat der GATT im Wirtschaftsleben stärkere Wurzeln gefaßt, als man es nach diesen Anfängen vermutet hätte. Denn im Rahmen der Organisation wurden ungezählte Zollverhandlungen zwischen k ■zwei Mitgliedstaaten abgehalten und an die 58.000 Zollsätze durch zweiseitige Verträge gebunden. Dieses ganze Netz aus unzähligen, dünnen Fäden, hält den Zollpr.otektionismu; — wie einst die schwachen Seile der Liliputaner den Riesen Gulliver — fest nieder denn schätzungsweise drei Viertel des Welthandels vollziehen sich zu Zollsätzen, die im GATT gebunden sind. Da aber der GATT keinen festen Bestand hat, ist auch sein Werk befristet, und zwar bis zum 1. Juli 1955. Man will also jetzt, in der jährlichen Zusammenkunft, versuchen, eine definitive Organisation zu schaffen, die auch die Zollbin- dungen verlängern könnt«.

Zweitens will man eine endgültige Organisation schaffen, um den Mitgliedstaaten gegenüber mit mehr Nachdruck auftreten zu können. Bis jetzt konnte der GATT nur Ratschläge erteilen und selbst dies nur mit äußerster Vorsicht, denn wenn seine Politik den nationalen Bestrebungen eines Mitgliedes allzu stark widersprochen hätte, hätte ihm dieser Staat vermutlich den Rücken gekehrt. Das neue Abkommen soll also von allen Regierungen unterzeichnet und hernach von den Parlamenten ratifiziert werden. Das wird freilich viele Monat« in Anspruch nehmen, aber zunächst will man damit in der jetzigen Tagung einen Anfang machen.

Mittlerweile hat der GATT auch «ine Anzahl anderer Aufgaben überraschend gut versehen. Seine Jahresversammlung wurde zu einer Art handelspolitischen Ehrengerichtes, vor dem jedes Mitglied seine Beschwerden gegen jeden Partner vortragen konnte. Besonders die „Kleinen“ bedienten sich gerne dieses Mittels, um -den handelspolitischen Egoismus der „Großen“ anzuprangern. Und da kein Staat es gerne sieht, wenn man seine Verfehlungen in aller Oeffentlichkeit untersucht, kam es oft dazu, daß der Angeklagte rasch einlenkte, um einer weiteren Aussprache vorzugreifen; dies war um so erfreulicher, als es sich ausnahmslos um Fälle gehandelt hat, bei denen vorhergehende diplomatische Vorstellungen ergebnislos geblieben waren.

Mit viel Geschick hat der GATT Vorarbeit geleistet, um den wichtigen wirtschaftspolitischen Unterschied zwischen den fortgeschrittenen und den unentwickelten Ländern der freien Welt genau zu erfassen und zu einer Art Koeffizienten bei internationalen Abmachungen zu gestalten. Die GATT- Staaten sind sich darüber bereits einig, daß die erstere Gruppe einer strengeren allgemeinen Regelung unterworfen werden muß, als die letztere. Den fortgeschrittenen Ländern soll die Einfuhrkontingentierung überhaupt verboten werden und dies« Staaten sollen auch ihre Zölle nach allgemeinverbindlichen Regeln ermäßigen müssen; die unentwickelten Länder hingegen sollen zum Schutze ihrer Währung und zwecks Schaffung einer Veredelungsindustrie ihrer eigenen Rohstoff«

Ausnahmen genießen. .Ml dies muß aber in di« Form fester Regeln gegossen werden und damit diese auch genau beachtet werden, muß der GATT Ueberwachungsbefugnisse gegenüber seinen Mitgliedstaaten erhalten.

Neben diesen allgemeinen Aufgaben, die die heurige Jahresversammlung bestimmt nicht endgültig lösen, sondern nur zur wei teren Behandlung Vorbereitėfi können wird, muß heuer noch über den Beitritt Japans entschieden werden, damit es in den Genuß der Meistbegünstigungsklausel gelangt und sich neue Exportmärkte als Ersatz für den •verlorenen Chinahandel sichern kann.

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