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Die Geburt der Wahrheit

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Dieses dem Ende zueilende Jahr war ein Jahr der Naturkatastrophen. Schlimmer als sie aber war in ihm der Fortschritt einer inneren Katastrophe: Tag für Tag wurde die Menschheit mehr eingefangen in ein Netz von Illusionen, von Lügen, von lebensgefährlichen Täuschungen. Das „Friedens“- und Kriegsgeschrei der großen Weltgegner hat die Sinne von Millionen Menschen in einer Weise umnebelt und gefangengenommen wie selten zuvor. Wir Mitteleuropäer, abgestumpft durch eigene Erlebnisse, merken es vielleicht nicht so sehr.

Diese vernebelte Welt wehrt sich mit

511en Kräften gegen die Geburt des Kin-es, Gottes, des Menschen — gegen die Geburt der Wahrheit. Wahrheit war die Sehnsucht der Griechen, die Sicherheit der Römer. Die Wahrheit, und sie allein, ist der Sieg der Christen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Wir wissen heute, wie oft das Abendland in unserer Epoche gegen die Wahrheit sündigte, sie seinen Interessen opferte. Heute aber kommt ihm seltsame Hilfe — aus China.

Im folgenden sei, im Auszug, das Zeugnis des Johann Tong Che-Tche wiedergegeben, das er bei einer kommunistischen Massenkundgebung inSchun-ting am 3. Juni 1951 ablegte; sie wurde als Propagandaaktion für die Austreibung des apostolischen Internuntius Ri-beri veranstaltet. Alle Welt kennt die Atmosphäre dieser Massendemonstrationen: die Luft ist geladen bis zum Zerreißen vom Druck der Lüge und der Gewalt. Kein Ort ist ungünstiger für die Geburt der Wahrheit als dieser, er ersetzt gültig die Härte des Stalles von Bethlehem.

Der römisch-katholische Priester Tong Che-Tche anerkennt, wie die römischen Zeugen ihr Imperium, das weltliche Regiment: die Regierung Mao-Tse-Tung. Er sieht, was Europäer befremden mag, weil sie es nicht sehen, den ungeheuren Impuls dieser chinesischen Volksbewegung, er weiß, wie sie auf einem jahrzehntelangen Weg von Leiden und Opfern zur Macht emporstieg. Diese ihre Leistung anerkennt er mit einer Objektivität, die uns vielleicht bestürzt, die sein Zeugnis dem Bannkreis aller Interessen enthebt. Als chinesischer Patriot und Katholik sieht er aber nur einen Weg zur Versöhnung der klaffenden Gegensätze. Dieser besteht darin, daß er den Macht-habern die Wahrheit sagt; im Bewußtsein aller ihrer Konsequenzen. Er bietet seinen Leib dem kommunistischen Staat, der ihm Vaterland ist, seine Seele aber Gott für seine Kirche an.

Der Staat hat sein Opfer angenommen. Genau einen Monat nach diesem Bekenntnis wird er verhaftet — und verschwindet

» •

„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Heiligstes Herz Jesu, erbarme dich unser. Maria, ohne Makel empfangen, Mittlerin aller Gnaden, bitte für uns. Heilige Apostel Petrus und Paulus, bittet für uns.“ —

Hierauf: Verneigung vor dem Bildnis des Präsidenten Mao-Tse-Tung, dann vor dem Publikum, den Massen.

„Hohe Autoritäten der Regierung, hohe Würdenträger der Kirche, rechtgläubige Christen, meine Herren ...: Das Thema dieser Rede wird sein: mein Opfer für die beiden Gewalten.“

Tong Che-Tche beginnt mit einer Absage an die „Bewegung der dreifachen Autonomie“ (Autonomie in der Verwaltung, Wirtschaft und Predigt), die den vom Staat protegierten Versuch der Gründung einer schismatischen katholischkommunistischen Nationalkirche Chinas darstellt. So einfach geht es nicht mit dem .Christsein in der Volksdemokratie (auch in Asien nicht). Die Bewegung dieser christlichen Kollaborateure bedeutet in Wahrheit Verrat an der Regierungsgewalt, Verrat an der Kirche, sie betrügt beide, deren Wege heute diametral entgegengesetzt sind. Das ist das große, Nein des chinesischen Katholiken.

„Da ich außerstande bin, diese für mich als Katholiken und Patrioten entsetzliche Situation zu bereinigen, kann ich nichts Besseres tun, als meine Seele der einen der beiden Kräfte anbieten und meinen Körper der anderen, als Opfer, in der Hoffnung, so ihr gegenseitiges Verständnis zu fördern.“ — „Ich bitte nun Gott, Mitleid mit der Schwäche meiner Natur zu haben... auf daß ich unerschütterlich bleibe bis zum Tode. Ich bitte die weltlichen Autoritäten, mein Opfer gütig anzunehmen und keine Rücksicht auf meine Person zu nehmen ... besonders, wenn ich schwanken sollte, nicht dieses Schwachwerden zu dulden. Sind nicht die Zagen, Feigen die Geißel der Gesellschaft?“

Tong bezieht sich im folgenden auf die ihm und allen Christen von der Regierung auferlegte Pflicht, die Wahrheit zu sagen.

„Wenn ich nun unter der Einwirkung einer Angst gegen mein Gewissen handle und gegen meine Uberzeugung spreche und unterzeichne, was ich mißbillige (das kommunistisch - christliche Volksbegehren auf Ausweisung des Internuntius), dann betrüge ich offen die weltliche Autorität, und wenn ich nachher sage, ich hätte nur aus Schwäche und unter Zwang gehandelt, betrüge ich gleichermaßen die geistliche Obrigkeit. Heißt das aber nicht, Samen der Zwietracht zwischen Regierung und Kirche säen? Wenn ich die Stimme meines Gewissens ersticke, Gott verleugne, die Kirche preisgebe und mich der Regierung beuge, bin ich nur mehr ein Opportunist und Feigling. Ich wäre dann nichts als eines jener traurigen Individuen, auf die man keinerlei Vertrauen mehr setzen kann und deren Leben für niemand mehr wirklich von Nutzen ist.“ — „Ich wäre ein Elender, wert aller Züchtigungen von Seiten der irdischen Gewalten und aller jenseitigen Strafen von Seiten der göttlichen Gerechtigkeit.“

Und nun folgt in einer gewaltigen Sachau eine Konfrontierung der chinesischen Kommunisten — so wie sie dieser Priester in Jahrzehnten erlebt hat — mit den Christen.

.Ich bin Katholik, das ist wahr, das aber hindert mich nicht, eine große Bewunderung für unsere Kommunisten zu haben. Sie glauben nicht an Gott und nicht an die Existenz der Seele; noch weniger an Himmel und Hölle. Ich bin überzeugt, daß sie sich hier täuschen. Dennoch gibt et bei ihnen mehr als eine Qualität, die meine Bewunderung erzwingt, meine Schwäche aufrüttelt und in mir das Gedenken wachruft an jene Millionen Blutzeugen unserer Kirche seit 2000 Jahren.“ .Die erste Qualität unserer Kommunisten besteht in ihrer Fähigkeit, dem Tode zu begegnen.“ .Sie verweigern sich ihm nicht, um andere zu täuschen, wie der General Li Ling bei seiner Waffenstreckung mit den Worten: .Wenn ich nicht in den Tod gegangen bin, dann deshalb nicht, weil ich mich für künftige Taten aufbewahrte.' Soll ich als Katholik mich jetzt ans Leben klammern unter dem Vorwand künftiger Dienste für die Kirche? Ein Christ, der fähig ist, Gott zu verraten, taugt-nur mehr zum Verrat an Kirche und Vaterland. Die Kommunisten sagen gerne: ,Für einen Gefallenen erheben sich Zehntausend' — soll da ein Katholik vergessen, daß das Blut der Zeugen der Samen der Christen ist?“

.Die zweite Qualität unserer Kommunisten besteht darin, daß sie nicht fürchten, mit allen Verbrechen belastet zu werden und für diese Anschuldigungen den Tod zu erleiden: ,Die Augen des Volkes', so sagen sie, .sehen klar und täuschen sich nicht.' So gehen sie tapfer zur Verurteilung — und ein Christ, soll er sich da fürchten, mit infamen und unerträglichen Anklagen belastet zu werden, soll er diese ungerechte Todesstrafe zurückweisen als sinnlos und wertlos? Vergißt er dann nicht, daß unser oberster Richter der allmächtige Gott ist, voll von Weisheit und Güte, Er selbst die Gerechtigkeit und das rechte Maß?“

Als dritte Qualität der Kommunisten rühmt der Priester Tong sodann ihre Fähigkeit, standhaft ihrer Partei, ihrem Glauben anzuhängen, auch wenn sie in Diskussionen und Auseinandersetzungen unterliegen.

„Kann da ein Christ vergessen, daß sein Glaube ihm von Gott kommt? Warum soll er sich da feige ergeben, einfach weil er selbst persönlich nicht imstande ist, sich sieghaft zu verteidigen und sich sodann dergestalt besiegt erklärt im Namen der ganzen Kirche? So gelangt er nämlich bis zur Verfälschung der reinen Ehre, zum Bruch der kirchlichen Disziplin, zum Verrat an Gott und seiner Seele. Wenn ich nämlich fähig bin, Gott und meine Seele zu verraten, wer kann dann die Gewähr dafür tragen, daß ich nicht mein Vaterland und mein Volk verrate?“

Mit großem Ernst bezeugt dann Tong das intensive Bemühen der chinesischen Kommunisten, die Christen für sich zu gewinnen.

„So habe auch ich ein großes Verlangen, ihnen die katholische Kirche, die mir so teuer ist, darzubieten, um sie zu Gott zu führen und um aus ihnen unsere Brüder im Glauben, zu machen.“ „Halten Sie mich nicht für einen delirierenden Narren, glauben Sie nicht, daß es mir an Aufrichtigkeit fehlt. Ich versichere, daß jene Kommunisten, die ein so hohes Ideal haben (wie ich es soeben vorgestellt habe), am Tage, an dem sie wahrhaft die katholische Kirche kennenlernen werden, tausendmal bessere und dem Glauben ergebenere Katholiken sein werden als ich. Ich bitte Gott, daß sich im Schoß der Kommunistischen Partei zahlreiche Sauls finden, um Paulusse zu werden, die dann hundert Ellen mich schwachen Priester überragen werden. Das ist mein heißestes Gebet. Es ist ganz nahe daran, erhört zu werden. In dieser

Hinsicht werde ich kein Opfer sparen, betend in der Hoffnung, daß das irdische Leben, welches ich heute darbiete, Lösegeld sein möge für die Bekehrung der kommenden Generation.“

Im Schlußteil seiner Rede erklärt Tong:

„Ich bin ein chinesischer Katholik. Ich liebe mein Vaterland, ich liebe aber auch meine Kirche. Ich weise kategorisch alles zurück, was wider die Gesetze meines Vaterlandes und meiner Kirche ist, und verweigere mich allem, was Zwietracht zeugen könnte. Wenn aber Kirche und Staat nicht zu einem Vergleich kommen können, wird jeder chinesische Katholik früher oder später sterben müssen. Warum soll ich also nicht sofort mein Leben anbieten, um die gegenseitige Ver-»ständigung in der Jetztzeit zu beschleunigen? ... Ich denke, daß die Regierung nicht die 3,700.000 chinesischen Katholiken unwiderruflich dem Tode weihen wird.. .*

— „Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, Amen.“

China ist nicht Europa. Das Problem der kommunistischen Volksbewegung in China, in Asien ist nicht dasselbe wie bei uns: Manche werden meinen, daß die Ehre, die dieser chinesische Priester seinen kommunistischen Volksgenossen erweist, auf unsere Kommunisten nicht zutrifft, weil diese „anders“ seien, weniger würdig ... Worauf unter anderem zu erwidern wäre, daß auch wir europäische Christen anders, sehr anders sind. Wer von uns besitzt diese Sprache des Priesters Tong, wer von uns darf sie wagen? Denn: niemand kann hier übersehen, hier wird eine große furchtbare, uns alle wörtlich, handgreiflich und seelisch „angehende“ Realität in umfassendem Sinne und bis zum letzten ernst genommen.

Und in diesem Ernstnehmen wird das Christsein wirklich. Mitten im Terror, im Druck dieser Stunde vollzieht sich hier die Geburt der Wahrheit. Der Stall von Bethlehem — und die kommunistische Terrorversammlung. Das Kind im Stroh seiner Krippe — und ein von allen Seiten bedrängter, versuchter, kleiner Volkspriester, über beiden, über dem Kind und dem Mann, ein Stern über den Sternen dieser Welt. Er bedeutet die Erlösung, und das heißt die Befreiung aus den Fesseln der Lüge, der Schwäche, der Angst, des Terrors.

Die Ankunft der Wahrheit in dieser Welt, die sich heute an allen Orten, in allen Kontinenten zur Krippe weitet, und auftut, wo solches gewagt wird. Bestürzende Hoffnung des Christen!

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