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Die Geffcken-Affäre

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Der Pressehistoriker Wilmont H a a c k e, während einiger Jahre der Direktor des Instituts für Zeitungswissenschaft an der Universität Freiburg im Breisgau, arbeitet seit geraumer Zeit am Institut für Publizistik der Universität Münster in Westfalen. Dessen Leiter, Walter Hagemann, gibt bei Kurt Vowindcel in Heidelberg die Reihe „Beiträge zur Publizistik“ heraus. Als Band zwei dieser Reihe erschien soeben der lebensvolle literar-, kultur- und pressehistorische Abriß „Julius Rodenberg und die Deutsche Rundschau“, worin Wilmont Haacke eine Fülle neuer Entdeckungen zu dieser noch reichlich unerforschten Periode des deutschen Liberalismus und seines Pressewesens mitteilt. Wir bringen daraus den interessanten Abschnitt über Bismarcks Hochverratsprozeß gegen Julius Rodenberg, der neujs Licht auf das ewig umstrittene Thema „Pressefreiheit“ wirft.

„Die österreichische Furche“

Der Geffcken-Prozeß des Jahres 1888, bei dessen Durchführung Bismarcks ganzer Zorn über die „Deutsche Rundschau“ hereinbrach, ist ein wesentliches Stück ihrer Geschichte.

Von seinem Mitarbeiter Geffcken wurde Julius Rodenberg am 7. August 1888 ein Manuskript zugeschickt. Es stellte eine bereits redigierte Auswahl aus dem Tagebuch Kaiser Friedrichs III. dar, das der Monarch während der Jahre 1870/71 geschrieben hatte. Rodenberg bewegte die Lektüre stark. Er brachte einige weitere und abermals mildernde Streichungen an. Darauf sandte er die Blätter bald nach Altenburg, an die Pierersche Hofbuchdruckerei, um sie somit in Satz zu geben. Für das Oktoberheft, das nach seiner Herausgeberregel als Beginn eines neuen Jahrganges jedesmal mit besonders wertvollen Beiträgen lückenlos gefüllt werden mußte, hatte er den Aufsatz bestimmt.

Das Oktoberheft erschien am 20. September im Handel. Sofort erregte es zufolge seines ersten Beitrages „Aus Kaiser Friedrichs Tagebuch 1870/71“ in der Presse größtes Aufsehen. Rodenberg befand sich in diesem Augenblick zur Erholung in Italien. Erst am 24. September erfuhr er aus den Schlagzeilen der aus-

ländischen Zeitungen, daß die Veröffentlichung Stürme erregt hatte. Trotzdem fühlte er sein Gewissen nicht im mindesten beunruhigt. Vielmehr glaubte er,' mit der Publikation das Andenken des toten' Kaisers geehrt zu haben.

Inzwischen war aber zu Hause, in Deutschland, sehr viel gegen seine Zeitschrift geschehen. Noch am Tage des Erscheinens des Heftes hatte der Legationsrat K a y s e r, ein Pressemitarbeiter im Auswärtigen Amte unter Bismarck, dem Fürsten das Heft, mit kritischen Anmerkungen versehen, nach Friedrichsruh geschickt. Damit hatte er dessen volle Aufmerksamkeit auf die Veröffentlichung gelenkt. Kaysers dem Heft beigefügter Kommentar enthielt bereits die Formulierung der negativen späteren Stellungnahme Bismarcks. Der Fürst bezeichnete die Tagebuchveröffentlichung im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen als einen gegen ihn gerichteten Schlag, der „auf Initiative und unter Beihilfe fortschrittlicher Parteigänger erfolgt“ sei, und der sich voller Feindlichkeit gegen ihn richte.

Nach der ersten Sendung Kaysers ergriff Bismarck noch keine Maßnahmen gegen die Rundschau. Erst als ihm Kayser die Zeitungen vom 22. September sandte, begann er seine Abwehr. Die Organe der fortschrittlichen Presse, die „Freisinnige Zeitung“, die „Vossische Zeitung“ und das „Berliner Tageblatt“, feierten die Veröffentlichung mit lautem Beifall. Geschickt benutzten sie die aus den Tagebuchblättern als liberal aufleuchtende Gestalt des toten Herrschers zur Agitation für die Preußenwahlen in einem klar antibismarckischen Sinne.

Die übrige Presse hielt mit ihrem Urteil noch zurück. Lediglich die „Berliner Börsen-Zeitung“ vom gleichen Tage bezweifelte als erstes und einziges Blatt in ihrer Morgenausgabe die Echtheit des Tagebuches. Sie sprach von einer „Erfindung“.

Am 23. September telegraphierte der Fürst an das Auswärtige Amt, daß das angebliche Tagebuch starke chronologische und tatsächliche Irrtümer enthalte, daß es sich zunächst empfehle, dem Zweifel an der Echtheit publizistisch Ausdruck zu geben. So erfolgte das erste Zeichen zum Widerspruch gegen die Veröffentlichung.

Am 23. September diktierte Bismarck dem Grafen Kuno zu Rantzau seinen Entwurf für eine offizielle Entgegnung, der im Verlauf des Tages mehrfach umarbeitet wurde. Bismarck begann seine Antwort auf alle seiner Meinung nach unrichtigen Bemerkungen aus dem kaiserlichen Tagebuch mit dem Satze: .Ich halte dieses .Tagebuch' in der Form, wie es vorliegt, für unecht.“ Dabei betonte er gleich, daß der Kronprinz außerhalb der politischen und geschäftlichen Verbindungen gestanden habe und in keinem Falle ein authentischer Beurteiler sein könne. Seine Behauptung, daß das Tagebuch fingiert sei, unterstrich er In dem Berichte zweimal.

In diesem Zusammenhang hielt Bismarck die Eröffnung der Strafverfolgung laut Artikel 921, 92 II und 189 des Strafgesetzbuches für möglich. Mit dieser Begründung bat er den Kaiser, „die Staatsanwaltschaft zur Einleitung des Strafverfahrens gegen die Publikation der .Deutschen Rundschau' anzuweisen“.

Daß Bismarck in Wirklichkeit anders dachte, als er im Bericht an den Kaiser schrieb, bezeugen die überlieferten Gespräche mit seinem Pressevertrauten Moritz Busch, der in jenen Septembertagen in Friedrichsruh weilte. Ihm gegenüber sprach der Kanzler seine gegenteilige Ansicht offen aus. Am 26. September sagte er zu seinem Pressechef über die Publikation: .Zunächst müssen wir es, wie Sie gelesen haben, als Fälschung behandeln, wo sich schon manches darüber sagen läßt. Dann, wenn sie die Echtheit beweisen, durch Vorlegung des Originals, weiteres auf anderen Wegen.“ — „...ich selber halte das Tagebuch für noch echter als Sie... Aber fürs erste müssen wir es bezweifeln.“

Den Urheber der Veröffentlichung kannte zunächst niemand. Das große Rätselraten war allgemein. Busch vermutete Gustav Freytag. Bismarck verdächtigte einen Literaten namens Hengst, der bekannt dafür war, Hofdamen auszuhorchen und Pressesensationen hervorzurufen. Bismarck erreichte das rasche Arbeiten des Justizministeriums nicht zuletzt dadurch, daß auch Wilhelm II. eine scharfe Attacke gegen die Schuldigen wünschte. Begreiflicherweise sah der damals junge Mann sein Bild dank der neuen Glorifizierung seines Vaters in der Presse überschattet.

Uber Bismarcks letzte Beweggründe zu seinem krassen Vorgehen unterrichtet vielleicht am besten sein eigener Brief vom 2. Oktober 1888 aus Friedrichsruh an seinen Sohn Herbert: „Ich bin pflichtmäßig bemüht, an der Unechtheit des Tagebuchs festzuhalten. Wenn dies gelänge und wenn namentlich die sehr viel schwerere Strafbarkeit, die im Falle der Echtheit eintritt, den oder die Angeklagten bewegen sollte, auch ihrerseits die Echtheit zu negieren, so wäre dieses politisch und dynastisch die wünschenswerteste Entwicklung.“

Am 27. September erfolgte die Veröffentlichung des Immediatberichtes im „Staatsanzeiger“. Bismarck freute sich am 28. September über „die günstige Wirkung“ in den Morgenblättern. Am 29. September hörte Rodenberg — noch immer in Italien — vom Erlaß des Justizministeriums zur Verfolgung der Sache. Sogleich gab er dem Verlag seine derzeitige Anschrift bekannt, außerdem stellte er sich dem Justizminister durch Telegramm zur Verfügung. Im übrigen verhielt er sich unerschrocken und in dem unverrückbaren Bewußtsein mutig, daß er sich nichts habe zuschulden kommen lassen.

Schon durch die ersten gerichtlichen Untersuchungen hatte Bismarck inzwischen den Namen des Urhebers, Geheimrat Dr. Geffcken, erfahren. Geffcken befand sich auf Helgoland. Bismarck nahm an, daß Geffcken, „von der Verlagsbuchhandlung gewarnt“, dorthin geflohen sei. Er erwirkte den Verhaftungsbefehl gegen ihn. Wie der Historiker der Zeitschrift in den Jahren 1934 bis 1936 von Paul Lindenberg selbst, dem damaligen Redakteur des „Deutschen Rundschau* (der gerade während Rodenbergs Abwesenheit zunächst Rede und Antwort zu stehen hatte), erfahren konnte, ist die Sache in Wirklichkeit umgekehrt gewesen. Lindenberg hat auf der Redaktion die Suche nach dem Manuskript durch die Polizei miterlebt und war der Meinung, daß der entsetzte und aufgeregte Verleger Elwin P a • t e 1 den Namen des Autors wohl verraten habe.

Auf Befragen wußte Lindenberg seinerzeit das Verhalten Rodenbergs und Geff-ckens aus eigener Anschauung zu schildern. Beider Charakter stellt er in der Erinnerung das Zeugnis männlicher Bereitschaft aus. Geffcken kam freiwillig zurück. Er wurde am 1. Oktober verhaftet, als er in Hamburg deutschen Boden betrat. Rodenberg hörte erst nach einigen Tagen davon. Sofort rüstete er zur Abreise nach Berlin, wo ihn Freunde am 6. Oktober mit Ermutigungen empfingen. Am 11. Oktober erfolgte eine Haussuchung in der Wohnung Rodenbergs. Das Manuskript wurde gefunden. Es mußte ausgeliefert werden.

Die Klage gegen Rodenberg wie gegen Geffcken lautete auf Landesverrat. Geffcken wurde am 25. Oktober, Rodenberg am 3. Dezember 1888 vom königlichen Landrichter verhört.

Im Weimarer Nachlaß von Julius Rodenberg ließen sich in einem Sammelkarton „Varia“ einige Dokumente aus den Monaten des Geffcken-Prozesses finden. Ein undatierter Entwurf zu einem Schriftsatz gibt über Rodenbergs Stellung zu der Veröffentlichung Aufschluß: „Ich hatte bei der ersten nicht nur, sondern bei wiederholter Lektüre den bestimmten Eindruck, als ob eine solche Publikation nur zum höchsten Ruhm der großen Männer dienen könne, denen wir die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches verdanken; ich hatte das Gefühl, ein historisches Aktenstück von unendlicher Wichtigkeit in den Händen zu haben, dessen Veröffentlichung aus Bedenken formeller Natur zu verhindern ich nicht das Recht hatte, ja nur als Feigheit deuten würde. An irgendwelchen Zusammenhang mit der aktuellen Politik dachte ich auch nicht am entferntesten. Alles, was nach meinem Empfinden auch nur den Keim einer Verstimmung in sich tragen konnte, habe ich zu beseitigen gesucht. Wollte man mich fragen, warum ich das Gespräch mit Bismarck (S. 15) nicht unterdrückt habe, . so würde ich wahrheitsgemäß erwidern, daß er, als praktischer Staatsmann und in ganz anderen Anschauungen aufgewachsen, sich endlich doch mit der Kaiseridee ausgesöhnt und sie zur Wirklichkeit hätte machen sollen.“

Der unpolitische Mensch Rodenberg, der einfadi nach dem Gefühle handelte, spricht in aller Unschuld aus solchen Sätzen. Wie sicher er hoffte, sich mit seiner Veröffentlichung nur Freunde zu schaffen, zeigt ebenfalls ein Aussageentwurf, in dem er sich über die Aualieferung oder Vernichtung des Manuskriptes erklären wollte: .Die ganze legere Art und Weise, wie Geffcken die Publikation behandelte, seine Zuversicht und der Glaube, in dem er mich bestärkte, daß die Publikation höchsten Ortes eine freundliche Aufnahme finden werde, ließen mich dem von ihm, auch nur so nebenbei geäußerten Wunsche, das Manuskript zu vernichten, keine besondere Bedeutung beilegen. Andererseits hegte ich den Wunsch, das Manuskript für meine Sammlung literarischer Kuriositäten aufzubewahren und legte es daher zu den in dieser Angelegenheit mit Geffcken gewechselten Briefen, von deren Zerstörung niemals die Rede gewesen. Als aber die Sache die bekannte erregte Wendung nahm und bei meiner am 6. Oktober erfolgten Heimkehr die Untersuchung bereits in Gänge und Geffcken verhaftet war: hielt ich die nunmehrige Zerstörung eines so wichtigen Dokuments als strafbare Handlung gänzlich ausgeschlossen und lieferte es, auf Requisition des Untersuchungsrichters, um so unbedenklicher aus, als durch die die Handschrift selbst begleitenden Briefe die Behauptung Geffckens, daß er die Kopie vom Original des Kronprinzen gemacht, an Wahrscheinlichkeit nur gewinnen konnte.“

Das Tagebuch stellte ich in der Tat rasch als echt heraus. Die Absicht der beiden Männer, die es veröffentlicht hatten, mußte als rein anerkannt werden. Beide mußten freigesprochen werden. Das Urteil des Reichsgerichtes in Leipzig trägt das Datum vom 4. Januar 1889.

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