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Die Geister, die sie riefen...

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Malaya, die britische Hälfte der Halbinsel Malaka, ist eines der reichsten Gebiete der Erde. Malaya erzeugt auf seinen insgesamt 131.000 Quadratkilometer Fläche über 800 Millionen Kilogramm Gummimilch jährlich und bestreitet damit etwa 60 Prozent der gesamten Weltproduktion. Schon längst vor dem zweiten Weltkrieg war Malaya auch der größte Zinnproduzent der Welt und es hat diese Stellung auch bis heute gehalten. Die malaiischen Kokospalmen zählen zu den ertragreichsten der Erde; sie ergeben jährlich etwa 50 Nüsse oder 2500 bis 3000 pro Jucharte. Ihre Anpflanzung wird daher von der Zentralregierung und den Verwaltungsbehörden in Singapore in großem Maße gefördert. 93 Prozent aller auf dem englischen Markt erscheinenden Ananaskonserven kommen aus Malaya. Wiederum steht dieses fruchtbare Land, nach Brasilien, an zweiter Stelle als Maniokproduzent. Tausende von Quadratkilometern sind mit der Maniokstaude bepflanzt, deren zu Mehl und Stärke verarbeitete Wurzelknollen zur Hauptsache nach USA und England ausgeführt werden.

Seit die Gewürzinseln (Indonesien) in Produktion und Export stark zurückgefallen sind, versucht Malaya deren Stelle in der Gewürzlieferung einzunehmen. Gleichzeitig macht es auch große Anstrengungen, in der Weltproduktion von exotischen Nutzhölzern in die vorderen Ränge vorzustoßen.

Daß gerade die USA als Hauptabnehmer der wichtigsten Produktionsgüter — Latex (Gummimilch), Zinn, Kopra, Gewürze und Nutzhölzer — vor England selber figuriert, kommt nicht von ungefähr: die Devisenstelle des Schatzamtes braucht Dollars und nochmals Dollars, um die für die englische Wirtschaft unentbehrlichen Importe aus Nicht-Sterling-Ländern zu bezahlen.

Nach dem Zusammenbruch der englischen Kolonialwirtschaft und in einer Zeit der fortschreitenden Auflösung des Weltreiches, kann England weniger denn je auf eine so reich fließende Quelle, wie Malaya, verzichten. So bemüht es sich seit zehn Jahren, der bedrohlichen Lage auf der Halbinsel Herr zu werden und die für eine zuverlässige und steigende Produktion auf den Plantagen und in den Minen äußerst wichtige Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen.

1945 erfolgte der Zusammenschluß der neun Malayen-Staaten auf Malaka und der Straits Settlements Penang und Malaka zu einer Föderation, einem Staatenbund auf konstitutioneller Grundlage, zur Malayan Union and Singapore. Damit glaubte England die durch den Krieg schwergeprüfte und aufgewühlte Bevölkerung — Chinesen, Malaien und Inder — 1 beruhigen und den Wiederaufbau des Landes zu gewährleisten. Aber auch hier waren es ein halbes Zugeständnis und halbe Maßnahmen, mit denen man einer unaufhaltsamen Entwicklung zuvorkommen wollte. Es war kein besonders kluger Schachzug, nur etwa der Hälfte {2% Millionen Menschen) des in der Union zusammengeschlossenen Gebietes eine Selbstverwaltung unter britischer Schutzherrschaft zuzugestehen und über 2 Millionen Einwohner in den Staaten Dschobor, Kedah, Perlis, Kelantan und Trengganu jedes Mitspracherecht in der Föderation zu verweigern und diese Gebiete der Kolonialverwaltung in Singapore zu unterstellen.

Schon bald nach der Konstitution der Union wurden die Aktionen der Terroristen verstärkt, die Ueberfälle auf Plantagen, Minen, Transporte, ja selbst auf Truppenstationen wurden häufiger und frecher. Die Uebcrbleibsel des Partisanenkrieges, die bisher in kleinen Gruppen operierten, schlössen sich unter dem Schutz der benachteiligten Bevölkerung zu größeren Banden zusammen und wurden fast über Nacht zu einer drohenden, die ganze Halbinsel systematisch terrorisierenden Gefahr. Innerhalb wenigen Monaten artete das Banditenunwesen zu einem regelrechten Kleinkrieg aus, unter dessen Geißel die wohlgesinnte Bevölkerung, Plantagenbesitzer und Minengesellschaften seit zehn Jahren gleichermaßen stöhnen.

Die jährlichen Todesopfer gehen in die Tausende, die Sachschäden erreichen Jahr für Jahr etwa 20 Millionen Pfund Sterling, und der englische Schatzkanzler hat für diesen zehnjährigen Krieg jedes Jahr die Kleinigkeit von 60 bis 90 Millionen Pfund zur Verfügung zu stellen.

Zwar verteidigt England in Malaya nicht allein lebenswichtige wirtschaftliche Interessen und seine letzte Kolonie im Fernen Osten, sondern auch ein letztes strategisches Bollwerk, einen für die westliche Welt eminent wichtigen Stützpunkt in einer zusammenbrechenden Welt. Dies letztere ist vor allem auch der Grund, wes-halb es von den USA in seinem Kampf um Malaka ermuntert und unterstützt wird. Aber wie bedeutsam für die englische Handelsbilanz Malaya ist, zeigt schon allein ein einzige Ziffer: der Export der malaiischen Gummimilch bedeutet für das Londoner Schatzamt eine jährliche Einnahme von etwa 1 Vi Milliarden Dollar! Kein einziges Land des Commonwealth vermag dieser Leistung etwas Gleichwertiges zur Seite zu stellen.

Wer von Georgetown (Penang) aus über Tai-ping—Idoh oder von Singapore kommend über Johore—Sembilan nach der prachtvoll angelegten Hauptstadt Kuala Lumpur reist, begegnet auf Schritt und Tritt den traurigen Denkmälern dieses mit asiatischer Grausamkeit geführten Guerillakrieges. Auf den Straßen, im Dschungel, in den Sümpfen und Bergtälern liegen zu Hunderten ausgebrannte Lastwagen, zerstörte und demontierte Wracks von Personenautos, geplünderte Transportbehälter, explodierte Brennstofftrommeln, Skelette von Pferden und Ochsen und Leichen von britischen Soldaten, malaiischen Polizisten, Gurkha-Schützen, weißen und farbigen Siedlern. Ein grausiges Dokument des ver-' gangenen Jahrzehnts.

Eigentlich nahm die malaiische Tragödie schon 1941 ihren Anfang. Damals öffneten die Briten für etwa 5000 Kommunisten die Gefängnistore, gaben ihnen Waffen in die Hand und entließen sie zum Kampf gegen die vordringenden Japaner in die unwegsamen Dschungeln Malakas. Bis Ende des Krieges wurden diese Partisanengruppen, über das ganze Land verteilt, von den Engländern in reichem Maße mit Lebensmitteln und modernsten Waffen aller Art beliefert. Ein Großteil dieser Waffen, mit der zugehörigen Munition, kam im Kampf gegen den japanischen Gegner nicht mehr zum Einsatz, sondern wurde — getreu dem großen Vorbild — in sicheren Lagern gestapelt und gehütet, um sie Jahre später gegen den eigenen Lieferanten, die eigene Bevölkerung zu richten.

Mit reichen Erfahrungen für ein Leben und dem Kampf im Dschungel, mit modernen Waffen und genügend Munition ausgerüstet, standen 1945 schätzungsweise etwa 8000 kommunistische Terroristen, in unzähligen kleinen Gruppen über die Halbinsel verteilt, bereit, den Bandenkrieg aufzunehmen bzw. den gewohnten Kampf, statt gegen den inzwischen besiegten Feind, gegen die eigene Bevölkerung und die englischen Truppen fortzusetzen.

20.000 malaiische Polizisten, zwei der berühmtesten britischen Regimenter — „Yorkshire Lights Infantry“ und „Manchester“ — und einige Bomberstaffeln der RAF waren ein zu kleiner Einsatz, um der schon bald gefürchteten „Dschungelräuber“ Herr zu werden, die in vielen Gebieten Schutz und Unterstützung bei der benachteiligten Bevölkerung fanden und finden. Während Minengeseilschaften und die großen Plantagen schon früh einen eigenen Selbstschutz organisierten und bewaffneten, ergibt sich in Hunderten von Kampongs und kleineren Siedlungen eine beinahe tragikomische Situation: tagsüber bewirten die Eingeborenen, mit echter oder gespielter Begeisterung, Polizeiabteilungen und Regierungstruppen, und nach deren Abzug erscheinen nachts waffenstarrende Rebellen, um ihren Tribut in Form von Lebensmitteln und Medikamenten zu erheben. Für die Bevölkerung ist der Unterschied nicht groß: die Tagesgäste bezahlen in barem Geld, die nächtlichen Besucher mit dem (meistens auch gehaltenen) Versprechen, das Dorf mit Lieberfällen zu verschonen.

So wurde der Krieg in Malaka zu einem Dauerzustand und die Engländer wurden die Geister, die sie 1941 riefen, nicht mehr lös! — So schien es; und bis vor einem halben Jahr glaubten weder die Bevölkerung noch die Zentralregierung und die Engländer daran, dem Terror je wieder Herr zu werden. Vor einigen Monaten aber trat General Gerald Templer sein Amt als neuer Hochkommissar an und seither lassen eine Reihe von Maßnahmen die Lage etwas optimistischer beurteilen. Sir Gerald setzte sich tatkräftig für einen besseren Schutz der Pflanzer und der Minensiedlungen ein. Alle Europäersiedlungen wurden auch bereits mit Radiotelephon ausgerüstet, so daß sie das Durchschneiden der Telephondrähte nun nicht mehr von der Verbindung mit der Außenwelt und der nächsten Truppenstation abzuschneiden vermag. Sie können also jetzt im Fall eines Ueberfalles mit schneller Hilfe von außen rechnen und tatsächlich haben sich die nächtlichen Ueberfälle bereits spürbar verringert.

Weitere Schutzmaßnahmen stärken das Vertrauen, das sich Sir Gerald Templer in wenigen Monaten errungen hat. Den weißen Kolonisten, die mit ihren einheimischen Arbeitern hauptsächlich gefährdet sind, werden jetzt gepanzerte Autos, Lastwagen und Personenwagen zur Verfügung gestellt, und das Londoner Kriegsministerium sorgt neuerdings für einen raschen Nachschub, ohne daß erst Sankt Bürokratius, der Schutzheilige aller zivilen Verwaltungen, seinen vielzähligen Stempelsegen für diese Exporte zu erteilen hat.

Millionen von weißen, gelben und braunen Menschen in Malaya, die Regierungsbehörden in Kuala Lumpur, die Engländer in Singapore und in London atmen auf und vertrauen hoffnungsvoll auf den starken Arm General Templers, und eine nicht allzu ferne Zukunft wird erweisen müssen, ob England.die Geister, die es in Malaya rief, doch noch wieder loswerden wird!

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