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Die geistige Haltung der katholischen Universitäten im 18. Jahrhundert

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Auf Grund der Forschungsergebnisse der letzten 40 Jahre versucht der Verfasser, ein Gesamtbild über die geistige Haltung der katholischen Hochschulen zu entwerfen. Behandelt sind vornehmlich die katholischen Universitäten des 18. Jahrhunderts im Gebiet des früheren Deutschen Reiches vor 1938. In die Untersuchung hat der Verfasser von den Universitäten der habsburgischen Monarchie außer Breslau (1702 gegründet), das infolge der Schlesischen Kriege und des Anfalles an Preußen eine Sonderentwicklung nahm, nur Freiburg im Breisgau einbezogen. Als Hochschule für die vorderösterreichischen Lande erscheine sie geradezu als Typus einer österreichischen Universität mit all den Reformbestrebungen, die die Wiener Regierung unter Kaiserin Maria Theresia an den ihr unterstellten Hochschulen durchzuführen suchte. An den übrigen Universitäten der Monarchie seien die Verhältnisse dieselben gewesen. Bei dem großen Einfluß der Wiener Universität, der vom Verfasser gelegentlich gestreift wird — anläßlich des 200jährigen Jubiläums der Universität Würzburg wurde dieselbe nach Wien als die beste katholische Universität Deutschlands gerühmt —, und insbesondere bei dem bis auf den heutigen Tag für das theologische Studium maßgebenden Lehrplan des Benediktinerabtes Stephan Rautenstrauch, damaligen Direktors der theologischen Fakultät in Prag — 1776 wurde dessen „Instruktion für alle theologischen Fakultäten in den k. k. Erblanden“ veröffentlicht —■, wäre eine Einbeziehung der übrigen Universitäten der Habsburgermonarchie nicht nur lohnenswert, sondern auch für ein zutreffendes Gesamtbild notwendig gewesen. Als einen Typus besonderer Art stellt der Verfasser mit Recht die Universität Salzburg dar, die ihr Entstehen einer Konföderation von bayrischen, schwäbischen und oberösterreichischen Benediktinerabteien (1617) verdankt und 1623 vom Salzburger Erzbischof Paris Lodron feierlich eröffnet wurde. Hierzu wären freilich wesentlich zur Ergänzung die Protokolle der philosophischen und theologischen Fakultät in Salzburg, ferner das Tagebuch von Abt Dominikus Hagenauer und Briefe im Stiftsarchiv Sankt Peter (vgl. V. Redlich, Der Seckauer Fürstbischof R. Zängerle und die Salzburger Universität, in: Seckauer-Hefte, 1. Jahrgang, 1932, Nr. 2, Seite 54—58) einzusehen gewesen. Die Struktur der Salzburger Universität ist insofern lehrreich, da im 17. Jahrhundert die thomistische Philosophie und Theologie im Lehrbetrieb vorherrschend ist, während im 18. Jahrhundert die juridische Fakultät zur besuchtesten im deutschen Gebiet aufgestiegen ist, in der Aufklärungszeit jedoch die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studien in die Mitte rücken, und um 1800 der medizinischen Fakultät höchste Aufmerksamkeit zugewendet wird. -* Bezeichnend für die geistige Lage an den katholischen Hochschulen des 18. Jahrhunderts ist das Urteil des späteren Kardinals Joseph G a r a m p i, eines vielgereisten und klugen Historikers, daß sich die katholischen Universitäten im „Zustand wissenschaftlicher Stagnation“ befanden, während die mit hervorragenden und besser besoldeten Lehrkräften besetzten protestantischen Hochschulen emporblühten. Diese seien die Pflanzstätten der überhandnehmenden rationalistischen Bestrebungen. Aus dieser Erkenntnis war die Theresianische Studienreform an den österreichischen Universitäten (1752) entsprungen. Schon trat der weitblickende und gelehrte Benediktinerabt Martin Gerbert von St. Blasien in mehreren Schriften für eine gründliche Verbesserung der philosophischen und theologischen Studien ein. Erst mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773, dem stärksten Bollwerk der alten Methoden, war die Bahn für durchgreifende Reformen frei.

Für die geistige Lage des Katholizismus ist es bezeichnend, daß man hierin sowohl in Oesterreich als in Bonn, Münster, Trier und anderswo die protestantischen Universitäten, besonders Göttingen, zum Vorbild nahm. In den siebziger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts war man auf katholischer Seite in der Pflege der Wissenschaften hinter den Protestanten weit zurückgeblieben. Dem Beispiel Josef II. folgend, suchten geistliche wie weltliche katholische Fürsten den Vorsprung aufzuholen. Zweifelsohne war die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts für das Geistesleben die schwerste Krise, die die katholische Kirche Deutschlands seit der Reformation durchzustehen hatte. Aber man wird dieser Zeit, wie der verdienstvolle Verfasser mit Recht betont, nicht gerecht, wenn aus dem geistig stark bewegten 18. Jahrhundert der „Aufklärung“ nur ein Zug, und zwar ein wesentlich verneinender Zug herausgearbeitet wird. Wenn schon die Führer der Aufklärung (Thomasius, Christ. Wolff u. a.) das christliche Glaubensgut ohne Abstriche zu wahren suchten, so ist dies in weit größerem Maße auf katholischer Seite der Fall. Auch die Jesuiten waren in ihrem philosophischen Schaffen des 18. Jahrhunderts Kinder ihrer Zeit. Bedenkt man, daß sie fast an allen katholischen Hochschulen — von den bedeutenderen ist nur die Benediktineruniversität Salzburg auszunehmen — die die Lehrstühle der Philosophie ganz oder zum großen Teil in der Hand hatten, so kommt der Verfasser am Schluß seiner eingehenden Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß an den Brennpunkten katholischen Geisteslebens die Scholastik, das heißt die Barockscholastik allgemein geringgeschätzt und die Hochscholastik völlig unbekannt war. Mehr oder weniger hatte man sich unter Wahrung des katholischen Dogmas der herrschenden Aufklärungsphilosophie angeschlossen, wobei die Jesuiten um 1770 noch das konservative Element darstellten. Die meisten anderen Orden, voran die Benediktiner, waren drei Jahrzehnte früher in die moderne Richtung eingeschwenkt. Im Augustinerchorherrenstift V o r a u (Oststeiermark) wurden bereits 1758 bei einer Disputation Thesen verteidigt, die eine eklektischmoderne, nicht mehr scholastische Haltung erkennen ließen. Um 1780 herrschte an den meisten katholischen Universitäten der philosophische Eklektizismus der Göttinger Professoren J. G. H. F e-d e r, Chr. M e i n e r s u. a. m., kurz der sogenannten Popularphilosophen. Mit Kants Vernunftkritik trat am Ende der achtziger Jahre auf katholischer Seite eine neue Wende ein. Der Ueberwin-der der seichten Aufklärungsphilosophie, insbesondere dessen tiefer moralischer Ernst imponierte den katholischen Philosophen, denen damals noch nicht allgemein dessen Unvereinbarkeit mit den wesentlichen Lehrstücken des katholischen Glaubens geläufig war. Eine Reihe von Reformversuchen sind daher in der dogmatischen-Theologie zu verzeichnen. Hier ist der Freiburger Professor Engelbert K 1 ü p f e 1 mit seinen „Institutiones theologiae dogmaticae in usum auditorum, Wien, 1789“ zu nennen, die als Lehrbuch für alle österreichischen Universitäten nach dem Reformplan Rautenstrauchs vorgeschrieben wurden. Eine biblische Dogmatik bricht sich immer mehr Bahn, deren leitender Gedanke die biblische Idee vom Reiche Gottes ist, vertreten insbesondere von dem Würzburger Professor Franz Oberthür (1773 bis 1809), der die trockene, seelenlose scholastische Philosophie der alten Schule ablehnt. Diese Reformbewegung, die sowohl eine biblische wie auch patristische Tiefenwirkung anstrebte, hatte zweifelsohne auf die Dogmatik des 19. Jahrhunderts einen wohltätigen Einfluß ausgeübt und es ist schade, daß dieser Einfluß nicht noch nachhaltiger gewesen war, denn s o ist es verständlich, wie der Verfasser mit Recht betont, daß in unseren Tagen der immer noch unerfüllte Wunsch nach einer biblischen Theologie auf katholischer Seite wieder laut wurde. Die andere Richtung, die den Versuch unternahm (Georg Hermes, f 1831, und Anton Günther, t 1863), die katholische Dogmatik auf den Ideen der modernen Philosophie aufzubauen, muß heute, rein historisch betrachtet, als gescheitert angesehen werden. Dem Verfasser ist es gelungen, aus den historischen Gegebenheiten heraus das geistige Leben des deutschen Katholizismus des 18. Jahrhunderts, dieser immer noch umstrittenen Epoche, gerecht beurteilt zu haben. Dafür gebührt ihm ganz besonderer Dank. Zu Seite 166, Anmerkung 3, wäre als wesentliche und befriedigende Ergänzung über den Josephinismus, das im Herold-Verlag, Wien, erschienene Werk von Ferdinand M a a ß, Der Josephinismus. Quellen zu seiner Geschichte in Oesterreich 1760—1790, I. und II. Band (Fontes rerum Austriacarum, II. Abt. Diplomataria et acta, 71. und 72. Band) in Rechnung zu ziehen.

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