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Die geknickte Kurve

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In den sechziger Jahren hat sich nun das Bild geändert: Die „billigen“ Produktivitätsreserven — also jene, die mit verhältnismäßig geringem Kapitalaufwand und mit schneller Wirksamkeit erzielt werden können — sind weitgehend ausgeschöpft, und die Märkte weisen da und dort deutliche Zeichen einer Sättigung auf; Produzieren allein genügt nicht mehr, um die Gesamtheit reicher zu machen. .Das rasche allgemeine Wachstum muß einem verlangsamten, gezielten Wachstum bei steigenden Investitionskosten weichen.

Die Kurve der Lohnforderungen nahm aber eine gegenläufige Entwicklung. Nach anfänglichem Begehren nach drei, vier oder fünf Prozent Erhöhung sind wir jetzt schon bei zehn, zwölf und mehr Prozent angelangt — ungeachtet der übrigen sozialen Forderungen wie mehr Freizeit, Abfertigung, höheres Krankengeld, Urlaubsgeld und so weiter —, deren Bedeutung als Kostenfaktor meist übersehen wird. Die Folge ist, daß 'sich die Lohnerhöhungen in Preissteigerungen niederschlagen und der Schilling — in den fünfziger Jahren eine der stabilsten Währungen Europas — heute zu den am meisten abwertenden gehört, wobei neben unrealistischen Lohnbegehren auch noch die ständige Oberforderung des Staatshaushaltes in den letzten Jahren als zusätzlicher Inflationsimpuls wirkt.

Arbeiterkammer in Graz auf die sinkende Wachstumsrate der österreichischen Wirtschaft hingewiesen. Er werde bei einer Pauschalabgeltung der Teuerung nicht mitmachen, denn es gehe um die Verantwortung für die Zukunft unserer Wirtschaft und damit unserer Arbeitsplätze. Jetzt müßten auch Reallohneinschränkungen hingenommen werden, wobei die berechtigte Hoffnung bestehe, daß man das Einkommen der Arbeitnehmer später weiter verbessern könne. Man werde die Lohn- und Gehaltspolitik mit dem Wirtschaftswachstum koordinieren müssen, wobei heuer nicht mehr viel zu erreichen sein werde.

Diese weitblickenden und verantwortungsbewußten Feststellungen sind um so erfreulicher, als sie gerade aus dem Mund des Obmannes der wichtigen Metallarbeitergewerkschaft stammen, deren Schwesterorganisation in der deutschen Bundesrepublik Schrittmacherin der Radikalisierung war.

Freilich, was ist schon eine zehnpro-zentige Erhöhung bei — sagen wir, 500 Schilling Wochenlohn? Mit 50 Schilling kann man heute keine großen Sprünge machen, und subjektiv erscheint diese Forderung daher gering. Hier sei aber an die indische Legende über den Erfinder des Schachspiels erinnert, der — scheinbar bescheiden — als Lohn für seine Idee nur ein Ge-treidekorn für das erste Feld des Spieles forderte, allerdings aber jeweils das Doppelte für die weiteren Felder

— also 2, 4, 8, 16 Körner und so weiter. Dem König erschien dieser Wunsch leicht erfüllbar. Er sagte voreilig zu, mußte aber bald erkennen, daß auf diese Weise eine größere Menge Getreide zustande kam, als sein ganzes Reich hervorbringen konnte.

Ähnlich verhält es sich mit den Lohnforderungen. So viel, wie häufig gefordert wird, ist im Fortschritt der Wirtschaft einfach „nicht drin“ — zumal man ja nidftBtrr an den Lohn des Industriearbeiters, sondern auch an den des Bauern, des Staatsbeamten, 'des Selbständigen und Unselbständigen in den — nur bedingt rationalisierbaren

— Dienstleistungsbetrieben und — vielleicht doch nicht zuletzt — sogar an den Lohn des geistigen Arbeiters denken muß.

Das „Kleine ehren“

Wir haben daher trotz allem Fortschrittsoptimismus — soferne wir keine Inflationisten sind und für uns das Bekenntnis zur Währungsstabilität keine bloße Phrase ist — nur die Wahl zwischen jahrelangen Lohnpausen oder

mehr Achtung für den kleinen Prozentsatz, in dem mehr steckt, als der oberflächliche Betrachter annimmt. Für Deutschland etwa wurde errechnet, daß der Reallohn von 1891 bis 1951 — also in 60 Jahren — um durchschnittlich 1,5 Prozent jährlich stieg.

Was steckt nicht alles in diesem unscheinbaren Prozentsatz! Der ganze Aufstieg des Arbeiters vom besitzlosen

Proletarier, der kaum genug zur Deckung der dringlichsten Lebensnotwendigkeiten hatte, zum Autobesitzenden, nach Italien reisenden Konsumbürger von heute ist darin enthalten. Er umfaßt ferner die Zeit einer sprunghaften technischen Entwicklung, in der mit — vom heutigen Standpunkt — verhältnismäßig bescheidenen Investitionen ein gewaltiger Produktivitätseffekt erzielt werden konnte.

Mit dieser Überlegung wäre eigentlich schon die Frage nach der Umverteilung mitbeantwortet. Wir wollen aber dennoch genauer untersuchen, was aus den Betrieben der gewerblichen Wirtschaft im Falle einer radikalen Umverteilung überhaupt noch herauszuholen ist. Aus einer deutschen Studie über die Vorstands- und Aufsichtsrätsbezüge in den' industriellen Aktiengesellschaften für 1961 gehi hervor, daß die Vorstandsbezüge im Durchschnitt 1,16 Prozent des Personalaufwandes ausmachten, und diejenigen des Aufsichtsrates 0,28 Prozent. Würde man also im Zuge der Umverteilung die Bezüge der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder denen des Normalverdieners weitgehend angleichen wollen, so ergäbe sich eine — wohlgemerkt einmalige — Lohnerhöhung für die ganze Belegschaft von rund ein Prozent.

Da in Österreich die vergleichbaren Vorstands- und Aufsichtsratsbezüge

im allgemeinen geringer sind als in der Bundesrepublik, so wäre die Ausbeute der Umverteilung noch bescheidener. Da ferner in den meisten Personengesellschaften — die in Österreich infolge der mittelständischen Betriebsstruktur vorherrschen — die Entnahmen der geschäftsführenden Gesellschafter für den persönlichen Verbrauch im allgemeinen keineswegs höher sind als die Bezüge für die Führungsgremien der Aktiengesellschaften, ist auch von dieser Seite nicht viel zu erwarten.

Wir und die Spitzenverdiener

Eine besonders beliebte Zielscheibe für Angriffe sind die Aktionäre, die angeblich von den Dividenden in Saus und Braus leben und deren einzige Arbeitsleistung in den Betrieben im Betätigen der Kuponschere besteht. Eine Untersuchung der Geschäftsberichte der österreichischen Aktiengesellschaften zeigt jedoch, daß am Gesamtertrag im Durchschnitt die Löhne und sozialen Aufwendungen mit 60 Prozent beteiligt sind, die Gewinne jedoch nur zu fünf Prozent (zum Vergleich: die Steuern mit 14 Prozent). Also eine — ebenfalls einmalige — Lohnerhöhung von acht Prozent könnte die Gewinne total und für alle Zeiten beseitigen. Vergessen wir dabei nicht, daß die Gewinne fast nie zur Gänze verteilt werden, sondern weitgehend in die Betriebe für neue Investitionen zurückfließen. Investitionen sind aber der Wohlstand von morgen. Werden durch übertriebene Lohnsteigerungen Gewinne unmöglich gemacht, können

Die Schlußfolgerung

Es ergibt sich also, daß Lohnerhöhungen in übertriebener Höhe und Häufigkeit — selbst bei radikalster Umverteilung und bei befriedigendem Produktions- und Produktivitätszuwachs — derzeit keine Reallohn-erhöhurtgen mehr sein können, und daß die von den Unternehmen „geschluckten“ Lohnerhöhungen praktisch immer auf Kosten der Investitionen und damit des künftigen Massenwohlstandes gehen.

Wollen wir dem Teufelskreis einer anfangs schleichenden, später immer schneller werdenden Inflation entrinnen, so müssen sich die Lohnforderungen und die sonstigen sozialen Wünsche — sowohl dem Betrieb wie dem Staat gegenüber — künftig nach dem tatsächlichen Wirtschaftswachstum ausrichten. Man muß dabei das Wachstum der Gesamtwirtschaft und nicht dasjenige eines ein-

keine Investitionen vorgenommen werden; auf diese Weise werden künftige Reallohnsteigerungen unterbunden.

Damit soll keineswegs gesagt sein, daß es keine Spitzeneinkommen gäbe, die — auch unter Berücksichtigung der Leistung — vom Standpunkt rigoroser sozialer Gerechtigkeit überhöht sind. Es gibt ferner die „conspicious con-sumption“ — auch Prestigekonsum oder schlicht Protzentum genannt — die zweifellos aufreizend wirkt auf den Durchschnittsverdiener, der — trotz allen Reallohnsteigerungen in den letzten anderthalb Jahrzehnten — noch mit dem Groschen rechnen und sich viele berechtigte Wünsche versagen muß.

Die Forderung, daß ihm auf Kosten diverser Playboys und ähnlicher Gestalten ein größeres Stück vom Wohlstandskuchen gegeben werde, ist daher nur zu verständlich. Es wird aber immer wieder vergessen, den Rechenstift zur Hand zu nehmen und nachzurechnen, was die Aufteilung aller Kapitalerträge und Spitzeneinkommen für die Massenverdienste abwerfen könnte. Und da zeigt sich, daß damit kaum eine einzige Lohnerhöhung im heute üblichen Ausmaß finanziert werden könnte, geschweige denn eine alljährliche Aufbesserung.

zelnen Betriebes oder einer Branche im Auge behalten. Es entspräche wohl kaum der sozialen Gerechtigkeit, wenn die Entlohnung der Arbeiter in typischen Wachstumsbranchen die in den übrigen Gruppen unverhältnismäßig weit hinter sich ließe.

Eine Beschleunigung der Reallohnsteigerung ist nur dann möglich, wenn , das Wachstum des Sozialproduktes vorher beschleunigt wurde. Es dürfen daher nicht alle Gewinne sofort in Löhne umgewandelt werden, sondern es muß eine, den Markterfordernissen entsprechende Quote für neue Investitionen zurückbehalten werden. Nur bei ständiger Investitionstätigkeit können Produktion und Produktivität und damit auch die Löhne laufend- gesteigert werden. Nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die gesamte Volkswirtschaft gilt der Grundsatz, daß das Saatgut nicht verzehrt werden darf.

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