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Die gerettete Stadt

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„Ich werde, wenn man fortfahren wird, diese heilige Stadt zu zerstören, meinen Sitz in die gefährdetste Pfarre verlegen, um dort als der Bischof von Rom all die Gefahr und das Leid zu teilen, das die Bewohner dieser Gebiete erdulden müssen.“ Das sagte Pius XII. am 19. Juli 1943, als in den Mittagsstunden dieses Sommertages die ersten Bomben auf eines der volksreichsten Gebiete Roms gefallen waren und die alte Basilika San Lorenzo fast zerstört hatten. Kennzeichnend wie diese Worte, die er an einige Diplomaten richtete, war die Tat, die er dadurch setzte, daß er noch während des andauernden Einfluges der Bomber an der Stätte der Verwüstung erschien und persönlich bemüht war, moralisch und materiell zu helfen. Die bedingungslose Verurteilung aller Methoden, die Schrecknisse der Kriegsführung auch auf die unbeteiligte und unschuldige Zivilbevölkerung auszudehnen, kennzeichnet jede Stellungnahme Pius’ XII. in den bitteren fünf Jahren des zweiten Weltkrieges. Aber ebenso kennzeichnend ist auch seine unabirrbare Entschlossenheit, dieses Rom nicht aufzugeben und es unter keinen Umständen zu verlassen. Der Papst wußte, daß dieser erbarmungslosen Kriegsführung gegenüber jedes Ausweichen bereits ein Aufgeben, jede persönliche Nachgiebigkeit bereits eine Niederlage gewesen wäre und daß allein das Beispiel mutiger Menschlichkeit noch helfen konnte, wo jede Einsicht auf beiden Seiten der Kriegführenden völlig fehlte. Eine neue Bewährungsstunde für die oberste Hut des geistigen Patrimoniums Petri war in der Weltgeschichte angebrochen.

Als im Spätsommer 1943 die alliierten Truppen auf Sizilien landeten und damit den Auftakt zum Endkampf um Europa gaben, übersandte Präsident Roosevelt dem Papste eine persönliche Botschaft. In seiner Antwort erinnerte der Heilige Vater daran, daß er Zeuge qualvollster Szenen gewesen, die von den auf Rom geworfenen Bomben unter Frauen und Kindern verursacht worden waren, und er hatte keine andere Erwiderung auf die in der Botschaft Roosevelts zum Ausdruck gebrachte Hoffnung auf einen baldigen Einzug der alliierten Truppen in Rom als die Erwähnung des Schmerzes über die so unheilvoll verwüstete Kirche von San Lorenzo.

Immer wieder und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wies der Papst in seinen Reden und in seinen Botschaften an die Staatsoberhäupter und die Weltöffentlichkeilt darauf hin, daß Rom, diese Stadt, die in jedem ihrer Teile, ja vielfach sogar in jeder ihrer Straßen unersetzliche Denkmäler christlicher Kultur besitzt, nicht zum Gegenstand eines erbitterten Zweikampfes werden dürfe. Denn schon zeichnete sich deutlich die herannahende Gefahr ab: auf dem Boden Süditaliens wurde der erbittertste Krieg dieses Völkerringens ausgetragen, der aber gar nicht um den Besitz dieses Bodens, dieser Orte und dieser Städte ging, die er in Schutt und Asche verwandelte. Der Krieg zog ja weiter, immer weiter. Auch die Ewige Stadt beiderseits des Tibers mußte über kurz oder lang in den Bereich dieses blindwütigen Kampfes geraten, wenn nicht eine entscheidende Wendung geschah.

Man muß die Situation zu Beginn des Jahres 1944 kurz umreißen, um zu zeigen, was auf dem Spiele stand: Nach dem Sturz Mussolinis und dem Abschluß des Waffenstillstandes zwischen Italien und den Alliierten war es Hitler nochmals gelungen, durch rücksichtslosen Einsatz aller Kräfte ganz Ober- und Mittelitalien unter seine Herrschaft zu bringen. Damit schien jede Hoffnung auf ein schnelles und schmerzloses Kriegsende, auf eine Schonung dieses Gartens der Welt verloren zu sein. An allen Fronten, an denen damals die deutsche Wehrmacht zurückgehen mußte, nötigte sie der eiserne Zwang der Parteiführung zur Taktik völliger Zerstörung und Verwüstung der aufzugebenden Gebiete. Hier im Süden war es nicht anders. Und schon erschien auch der ’deutsche Botschafter im Vatikan und bot im Auftrag seines Herrn, dessen Stärke nie der Takt gewesen, dem Papst den „Schutz“ des Reiches an. Ein Anbot, das in Wahrheit eine Aufforderung darstellte, und ein Schutz, der kaum die Wirklichkeit, die geplante Verschleppung, verhüllte.

Der Papst lehnt es nicht nur ab, Rom zu verlassen, was auch immer geschehen möge, sondern er legt auch Verwahrung ein gegen diesen unerhörten Anschlag, „der weniger gegen Unsere bescheidene Person,'

als gegen den Stellvertreter Christi gerichtet ist.“

Daswar die A n t w o rt, die Pius XII. am 5. Februar des Jahres 1944 dem deutschen Botschafter zustellen ließ. Im Kreise jener, die damals in verschiedenen Eigenschaften in Rom weilten und bemüht blieben, noch Repräsentanten deutscher Anständigkeit zu sein, sprach es sich rasch herum, daß Freiherr von Weizsäcker, der damals das Deutsche Reich beim Heiligen Stuhl vertrat, selbst aufgeatmet hatte, als er dieses Schreiben in seinen Händen hielt. Mit ihm aber atmeten alle auf, die um Rom bangten. Ihre Sorgen galten ja nicht nur den unersetzlichen Herrlichkeiten abendländischer Kultur innerhalb der Mauern dieser unvergleichlichen Stadt, sondern sie galten auch der ständig anwachsenden Zahl jener, die da und dort unter dem Schutze der weißgelben Flagge des Vatikans Schutz und Zuflucht vor politischer und rassischer Verfolgung gefunden hatten. Ihre Zahl ging in die Tausende-, und die Hilfsbereitschaft des Vatikans kam allen zugute, ob sie nun vor der Gestapo auf der Flucht waren oder als aktive Kommunisten und Partisanen von den faschistischen Behörden gesucht wurden. Aber auch die Bevölkerung Roms selbst, die in diesen Wochen täglichen Zuzug aus Norden und Süden bekam, aus den Gebieten der furchtbaren Panzerschlachten am Fuße der Albanerberge und aus den Dörfern und Städten, die an den großen Bahnlinien und Straßen lagen, über die Tag und Nacht hindurch die Bomben fielen. Zwar war nirgends festgelegt, daß Rom als offene Stadt anerkannt sei, und alle Versuche, die von den wohlmeinenden Kreisen auf beiden Seiten der Kriegführenden immer wieder in Gang gebracht wurden, um eine verbindliche Erklärung darüber herbeizuführen, verliefen immer wieder ergebnislos. Der Entscheidungskampfhatte eine Unerbittlichkeit, eine grenzenlose Verbissenheit angenommen, die ein vernünftiges Einhalten angesichts des drohenden Furchtbaren, Unsagbaren zu verhindern verhieß.

Der Papst übersah die Lage, und gerade deshalb erfolgte seine entschlossene Weigerung, auch nur vorübergehend seine Bischofsstadt zu verlassen. Denn allein seine Anwesenheit, die ständige Gegenwart seiner unerschütterlich mutigen Persönlichkeit und die immerwährende Betonung dieser Gegenwart gaben noch Hoffnung.

Im Vatikan war man unermüdlich tätig. Obgleich Hitler selbst es mehrmals abgelehnthatte, die Vermittlung des päpstlichen Hilfswerkes zwischen den Kriegsgefangenen und ihren Angehörigen für Deutschland in Anspruch zu nehmen, wurde diese Nachrichtenübermittlung in größtem Ausmaße organisiert und mit Hilfe der vatikanischen Radiostation aufrechterhalten. Die drohende Hungersnot in Rom zwang zu neuen Maßnahmen: alle verfügbaren Automobile des Vatikans wurden in den Dienst der Herbeischaffung von Lebensmitteln für die hungernde Bevölkerung der Ewigen Stadt gestellt. Mit den päpstlichen Farben versehen, fuhren sie aus der Vatikanstadt nach allen Himmelsrichtungen aus, um wenigstens Brot und Getreide herbeizuschaffen, die wegen der völlig zerstörten Bahnlinien nicht mehr in das nun bereits unmittelbar an den Rand des Schlachtfeldes gerückte Rom gelangen konnten. In langwierigen Verhandlungen ersuchte der Papst, freie Zufahrt für seine eigene kleine Handelsflotte zu den italienischen Häfen zu erlangen, um auch mit ihren Frachten zur Linderung der Not beitragen zu können.

Rasch näherte sich der schicksalhafte Kampf um Rom seinem Höhepunkt. Die Alliierten vermehrten ihre Anstrengungen, endlich ausden Pontiniischen Sümpfen, wo eit dem 22. Jänner 1944, dem Tage der Landung von Anzio und Nettuno, eine fast ununterbrochene Panzerschlacht tobte, auszubrechen. Als es ihnen im April gelang, in die Bergstellungen der deutschen Truppen in den Abruzzen entscheidende Einbrüche zu erzielen und auch an der Adriafront weiter vorzustoßen, mußte es jedem mit der Lage Vertrauten klar werden, daß sich die Entscheidung über das Geschick der Ewigen Stadt nahe. Diese Erkenntnis steigerte die Bemühungen, doch noch eh. Gespräch zwischen den kriegführenden Mächten über den Schutz der Ewigen Stadt zustande zu bringen. Unerträgliche Spannung lag auf allen Menschen der Stadt. Unter den vielen mit ihrer politischen Führung längst unzufriedenen deutschen Offizieren gärte es. Die Gestapo wieder und die verschiedenen deutschen Spionagedienststellen waren auf der Lauer, verdoppelten ihre Vorsicht und verschärften ihren Zugriff auf Verdächtige. In immer rascherer Folge trafen die berüchtigt gewordenen Befehle aus dem Führerhauptquartier ein, kein Schritt dürfe mehr zurückgewichen werden, neue Linien seien zu errichten, die „unter allen Umständen“ gehalten werden müßten, von einer Verlegung oder dem Verschwinden einzelner Dienststellen aus Rom dürfe nicht einmal gesprochen werden.

Indessen waren die Hügelzüge um Frascati und das unmittelbare Vorgelände Roms im Süden und Südwesten bereits zum Kampfplatz geworden. Nur wenige Kilometer davon getrennt lebte eine Großstadt ein scheinbar noch ungestörtes Leben, wenn auch von vielen Nöten um Wasser, Licht und Brot überschattet. Nie zuvor und auch nie nachher im Verlaufe des zweiten Weltkrieges waren Krieg und Frieden, Verwüstung und Schönheit, Drangsal und Luxus so nahe nebeneinander, wie damals in jenen letzten Tagen der Schlacht um Rom.

Am 2. Juni trat das Kollegium der in Rom anwesenden Kardinale im Vatikan zusammen. Noch war alles ungewiß. Von keiner der kriegführenden Parteien war bis jetzt ein ernsthafter Versuch unternommen worden, den Kämpfen vor der Stadt Halt zu gebieten. Pius XII. erhob in letzter Stunde wieder seine Stimme: „Wir stehen nicht an, nochmals mit gleich abwägender Unparteilichkeit und pflichtmäßiger Bestimmtheit zu wiederholen: „Wer immer es wagen soll te, die Hand gegen Rom zu erheben, macht sich des Muttermordes schuldig vor der zivilisierten Welt und vor dem ewigen Gericht Gotte s.“

Diese Rede ist in die Geschichte unserer Zeit eingegangen, denn in ihrem weiteren Verlaufe sprach der Papst damals auch jenes so prophetische, leider nicht beherzigte Wort von der Notwendigkeit weiser Mäßigung; er verurteilte jede Racheankündigung und unterstrich die Notwendigkeit ehrenvoller und nicht „vorübergehender" Lösungen, welche die Giftkeime neuer Ve'rwicklungen und Kriegsgefahr in sich tragen.

Indessen nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Die unmittelbar vor der Stadt errichtete neue deutsche Auffanglinie wurde von den aus den Albanerbergen herabkommenden deutschen Truppen ohne Aufenthalt durcheilt. Als sich dann das deutsche Oberkommando endlich Zu einem konkreten Vorschlag über die Erklärung Roms zur offenen Stadt an die Alliierten entschloß, standen die amerikanischen Vorhuten bereits an der Porta San Giovanni. Zwischen dem Abenddämmern des 4. und dem Morgengrauen des 5. Juni vollzog sich, nur mehr zum Teil von der deutschen Führung kontrolliert, der Aus- und Durchzug der deutschen Divisionen nach dem Norden. All die seit vielen Wochen mit mathematischer Gründlichkeit vorbereiteten Zerstörungspläne blieben unausgeführt, die Tiberbrücken flogen nicht in die Luft, mit Ausnahme kleiner Vorhutgeplänkel am Colosseum, am Bahnhof und an den Grenzen der Altstadt kam es auch beim Abzug der deutschen Nachhuten zu keinerlei Kampfhandlungen im Weichbild der Stadt.

Der sonnenübergoldete Mittag des 5. J u n i sah Rom bereits in den Händen der Alliierten. Daß es aber ein unzerstörtes, ein ungeschändetes und ein dem Abendland und der Christenheit bewahrtes Rom war, verdankt die Stadt, verdankt die Menschheit dem, den man heute nicht nur auf den marmornen Erinnerungstafeln Roms, sondern in der ganzen Christenheit den Pastor angelicus Pius XII. nennt.

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