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Die Gesundheitsfabrik

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Schutz vor der Tyrannei der Obrigkeit Ist nicht genug, es bedari auch eines Schutzes vor der Tyrannei der herrschenden Meinung und Gesinnung, vor der Neigung der Gesellschaft, Ihre eigene Art zu sein und zu denken, den Abweichenden auch durch andere Mittel als bürgerliche Strafen aufzudringen, die Entwicklung Jeder eigenartigen Individualität zu hemmen und womöglich zu ersticken, und alle Charaktere zu nötigen, sich nach Ihrer Vorschrift und Ihrem Vorbild zu gestalten. Es gibt eine Grenze für das berechtigte Eingreifen der Gesamtmeinung In den Bereich der Unabhängigkeit des einzelnen, und diese Grenze zu finden und gegen Ubergriffe zu behaupten, Ist ebenso unerläßlich zur Sicherung menschlichen Wohlergehens wie der Schutz vor politischer Bedrückung.

Mill: „On LibertY“

Schon vor Jahresfrist hat Dr. Rohm in einer Schrift: „Ärzteprobleme in der Sozialversicherung“ den in England studierten Plan, die gesamte Gesundheitsversorgung zu verstaatlichen und einem ärztlichen Beamtenkörper zu übertragen, auch für Österreich als Lösung empfohlen. Nunmehr wird dieser Plan mit einigen Varianten, nur noch konsequenter, von Dr. Schmidt in der „österreichischen Ärztezeitung“, dem Blatt der Wiener Ärztekammer, vorgetragen, mit der Behauptung, daß an den zuständigen Stellen Vorarbeiten in solcher Richtung schon laufen.

Man soll Meinungen nie zur Lehre werden lassen, sondern sie von vornherein klarstellen. Da dies in einer so tief einschneidenden Frage besonders nötig ist, soll mit diesen Zeilen die Diskussion angeregt werden.

Was will Schmidt in seinen Vorschlägen? Herausgelöst aus Einzelheiten: die volle Überleitung des gesamten Gesundheitsdienstes einschließlich der Krankenbehandlung in die Hände des Staates, der sie durch einen verbeamteten Ärztestand, umgeben von dem nötigen Kanzleipersonal, ausübt. Abgedeckt werden die Kosten dieses Apparates durch eine allgemeine Steuer, durch die der Steuerzahler sich die vollständig unentgeltliche Behandlung und Beratung erwirbt. Der Arzt ist wie jeder Beamte disziplinar und auch rein ärztlich der Untergebene seines ärztlichen Amtsleiters, seinen Weisungen untergeben, in seinem Tun ihm verantwortlich. Die ärztliche Tätigkeit wird in staatlichen Ambulatoriumsräumen ausgeübt, von dort aus erfolgen auch die notwendigen Besuche in dazu bereitgestellten Fahrzeugen. Auch die Spitalsbehandlung geht denselben Weg, wobei die Wahl des Spitals oder de dort behandelnden Arzte dem Kranken nicht freisteht. Da die Krankheit ja eine objektive Tatsache und keine subjektive sei, liege, wird erklärt, in dieser dem.staatlichen Organ vorbehaltenen Verfügung kein Unrecht am Kranken.

Um diesen Gedankengang voll zu verstehen, muß folgende Begründung hergesetzt werden, die Schmidt der Ablehnung des Rechtes auf den Arzt seines Vertrauens zugrundelegt: In all diesen Fällen gegenseitiger Sympathie zwi-schenArzt und Pitient handelt es sich fast nie um lebensgefährliche Zustände. Hier den Arzt seiner Sympathie wählen zu wollen, ist reiner Luxus und kann von einer öffentlichen Fürsorge nicht verlangt werden!...

Dem staatlich angestellten Arzt ist die Ausübung jeder Privatpraxis verboten. Er ist ganz Amteapparat. Die Finanzierung soll außer au der direkten Geiund-heitssteuer, die jeder Staatsbürger bezahlen muß, ob er krank istodernicht, ob erdenGesund-heitsdienst in Anspruch nimmt oder ablehnt, aus ganz eigenartigen Quellen gespeist werden: Durch Monopolsteuern auf gesundheitsschädigende Genußmittel (Tabak, Alkohol), Vergnügungsstätten, wie Bar und Spielkasinos. Wenn man will, wird man ja noch viel mehr gesundheitsschädigende Institutionen finden können, die unter dem Titel der nunmehr besteuerten Ungesundheit die Gesunden bezahlen sollen. Der Staat sieht also Alkohol, Tabak, Bars und ähnliche Quellen als gesundheitsschädigend an, er macht sie aber mit einer Strafgesundheitssteuer für sich nutzbar.

Zur Ergänzung des Planes Dr. Schmidt sei noch auf den geforderten Gesundheitspaß, den jeder Staatsbürger haben muß, hingewiesen, der ja eigentlich das ganze Planen erst gedanklich erfüllt. Er ist der Begleiter des Menschen von der Geburt bis zum Tod und verzeichnet alles, was seinen Körper angeht.

Bemerkenswert ist die Stellung der S p i t a 1 s ä r z t e. Sie werden als fixangestellte Staatsärzte von älteren Kollegen dauernd kontrolliert und überwacht, die Uberwachungsärzte haben über sie Disziplinargewalt, können den Besuch von Fortbildungskursen anordnen, Gehaltskürzung und Urlaubssperre verhängen. Ist ein durch seine Steuer zum unentgeltlichen Bezug der Arzthilfe berechtigter Staatsbürger mit der so gebotenen Hilfe nicht einverstanden, so kann er auf seine eigenen Kosten zn einem Privatarzt gehen und ein Privatspital aufsuchen und sich so seine eigene ärztliche Betreuung nach eigener Wahl sichern, aber die Steuer muß er jedenfalls zahlen. Das wäre in wesentlichen Zügen der in der „österreichischen Ärztezeitung“ ernstlich erwogene Plan.

Die vorgeschlagene Lösung Ist u n ä r z t-1 i c h und die Lösung ist ein wirtschaftlich Unmögliches:

Man spricht in allen “Kreisen von ganz rechts bis ganz links heute in allen Fragen von der Unbedingtheit des Leibseelwesens, man hat theoretisch den Materialismus zu den Irrlehren gelegt und verfällt doch in den Lösungen immer wieder in diese materialistische Betrachtungsweise. Wer sich mit Wesen un*1 Stellung des Arztes befaßt, muß unterscheiden zwischen dem ärztlichen Forscher, dem wissenschaftlichen Betrieb, den Aufgaben der Klinik, die zugleich dem Krankendienste wie dem wissenschaftlichen Fortschritt und der Lehre zu dienen uncl andererseits den Aufgaben des einzelnen ärztlichen Praktikers, der wohlausgerüstet die Heilspflege, das „Curare“, zur Berufspflicht hat, ein Helfer in allen den großen und kleinen Leiden des Menschen, der oft ebenso seelische wie körperliche 'Heilung verlangt. Wer als Arzt lebt, muß öfter erst den armen Kranken seelisch sich erleichtern lassen, bevor er an das organische Leiden herangeht. Die Neurose, die gar so von oben herab aus der staatlichen Beratungsstelle ausgewiesen wird, ist wahrlich kein abwegiges Geschehen, sondern ein Leiden. Und wer verfolgt, wieviel nur nervöse Leiden sich eines Tages in einer sehr schweren Qrganerkrankung vorstellen, hat auch im rein materiellen Geschehen eine einprägsame Lehre von der Begrenztheit auch des gewissenhaftesten ärztlichen Erkennens. Diese Gefahr würde zu einer ungeheuren, bei einer Lösung, wie sie jener, Plan vorschlägt. Der hier ins Auge gefaßte Arzttypus wäre der Tod jede Arzttum und seine Überleitung in einen Sanitätsbürokratismus. Das würde eine Berufsqualität mit Anfang und Endziel des versorgten Beamten. Wenn nicht mehr die Ärzte unter die freien Berufe, unter die Kunstsucher, gezählt werden, dann könnte e wohl geschehen, daß künftig auch die Maler, Musiker, Dichter und Philosophen verbeamtet werden, damit jeder um einen bestimmten Gehaltsbezug allen Staatsbürgern, die dafür eine Kunststeuer bezahlen, ihr Kunstschaffen — natürlich unter disziplinarer Beaufsichtigung mit Urlaubsentzug und Fortbildungskursen — zur Verfügung zu stellen hat. Ich will nicht spotten, aber ich als Arzt weiß nichts Einprägsamere als dieses Zerrbild der Zukunft.

Auch rein wirtschaftlich fordert dieser Plan entschiedenen Widerspruch heraus. In den Städten mag sich manches mit dem Fabriksbetrieb der Heilspflege rechnerisch in Ordnung bringen lassen. Aber schon hier sind tausend Unmöglichkeiten. Der beamtete Arzt wird sofort beamtenmäßig arbeiten. Denn er ist ja Beamter, so wie ein anderer etwa Post- oder Steuerbeamter ist. Da, wie ja schon Rohm hervorhebt, die ärztliche Tätigkeit sich bei dem Plan in die Richtung der Gesunderhaltung (Beratung) wesentlich verschieben und die Behandlung von Krankheiten im bisherigen Ausmaß zurücktreten wird, muß gerechnet werden, daß, vom Gesundheitspaß und der karteimäßigen Erfassung angefangen bis zur Anweisung eines Medikaments oder einer sonstigen Maßnahme der Ablauf dieses amtlichen Weges erfahrungsgemäß sich zeitlicK sehr weitläufig gestalten wird. Es gäbe denn so viele dieser Ambulatorien, daß sie diesen Ansturm befriedigen könnten. Käme nun zur ärztlichen Untersuchung, Beratung, noch die bürokratische Führung der Gesundheitskartei für die große Masse der Bevölkerung, dann wird der Apparat wahrscheinlich das teuerstelnstrument des Staate vorstellen. Der staatliche Arzt würde natürlich seinen Achtstundentag beanspruchen — warum soll er ihn nicht haben, da alle anderen Beamten ihn haben? Also würden drei Ärzte die bisher von einem Arzt gewährleistete Permanenzbereitschaft zu sichern haben, einer von ihnen nochi dazu den Nachtbereitschaftsdienst mit folgender Dienstfreiheit. Ein Schwerkranker würde damit in die abwechslungsweise Behandlung dreier Ärzte am Tag kommen, der Samstagnachmittag und der Sonntag würde die meisten Ambulatorien geschlossen finden. Die Frau des Arztes, bisher seine treueste unermüdliche Helferin und für viele Kranke oft Beraterin und Trösterin, würde aus der ärztlichen Apparatur herausfallen und von der nötigen Anzahl von Sekretärinnen, natürlich mit Achtstundentag usw. ersetzt werden. Daß die instrumentelle Ausstattung dieses ganzen Apparates für Österreich heute eine unlösbare Aufgabe wäre, ist sicher, aber das mag ja mit der Zeit eine überwindbare Schwierigkeit darstellen.

Aber1 die Rechnung beginnt ganz irrationell zu werden, wenn es zu einer Verbeam-tung des Arztes auf dem flachen Land oder auch nur der Kleinstadt kommt. Das Problem drei mal acht gibt vierundzwanzig Stunden, wird Ort für Ort gelöst werden müssen Also mindestens drei Ärzte, drei Beamtinnen und was sich sonst um das Amt gruppiert.

Solche Ideen können nur entstehen, wo man im Menschen nicht mehr den Mensehen, im Kranken nicht mehr den hilfebedürftigen Nächsten, sondern das bloße Objekt, und im Arzt nicht mehr den von sittlichem Berufsethos und Verantwortungsbewußtsein erfüllten Mann, sondern einen Bestandteil aus einer mehr oder weniger gut geölten, mechanisch laufenden Registriermaschinerie, genannt Volksgesundheitsamt, erblickt. In einem sozialen Organismus also das unsozialste System: Der Kranke, eine registrierte Paßnummer, die das Recht verleiht, durch den amtlichen Apparat getrieben zu werden, der Arzt ein Mechaniker an dieser Maschine, die möglichst rasch und billig laufen soll und wie alle amtlichen Apparate möglichst umständlich und teuer laufen wird, und befreit von alldem nur, wer das Geld dazu hat. Er kann sich all das, was er als Kranker braucht, frei und vom Staat ungehemmt kaufen: Den Arzt seines Vertrauens, das Spital seines Vertrauens, wenn er nur erst der Fiktion der Volksgesundheit seinen Beitrag geleistet hat für etwas, was er nicht will, nicht braucht und nicht bezieht.

Laßt uns nicht schweigen zu einer unmenschlichen Lösung, solange es zu einem kräftigen Nein noch Zeit istl

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