Februarkämpfe - © Foto: CC

Die gezielte Demontage der Demokratie

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Michael Buchmanns "Insel der Unseligen" und die Vorgeschichte des Februaraufstands 1934.

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Michael Buchmanns "Insel der Unseligen" und die Vorgeschichte des Februaraufstands 1934.

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Wer Kurt Bauers "Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen" unbefriedigt zur Seite gelegt hat, ist mit Bertrand Michael Buchmanns "Insel der Unseligen" besser bedient. Denn er liefert die lange Vorgeschichte, ohne die sich die Ereignisse weder verstehen noch angemessen einschätzen lassen. Buchmann, dessen Hauptinteresse eigentlich die Militärhistorie ist, widmet zwei der drei Abschnitte seines Buches der allmählichen Herausbildung des autoritären "Dollfuß-Schuschnigg-Regimes", für das er den Terminus "Austrofaschismus", der erfolgreich als "linker Kampfbegriff" gebrandmarkt worden ist, ablehnt.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage: Was brachte das in sich gespaltene, aber in der Ablehnung der Arbeiterbewegung tragisch geeinte bürgerliche Lager dazu, ein an sich funktionierendes demokratisches System Schritt für Schritt zu demontieren? "Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern!" So formulierte Richard Steidle bei einer Großkundgebung der Heimwehren 1930 in Korneuburg, und das traf sich mit der prinzipiell "distanzierten" Haltung gegenüber der parlamentarischen Demokratie, die sich von Ignaz Seipel bis Karl Schuschnigg durchzieht.

Mit den Ausschreitungen beim Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 wurde diese Stoßrichtung immer offener ausgelebt. Noch während der Kämpfe forderte Bundeskanzler Seipel im Nationalrat äußerste Härte bei der Strafverfolgung der Schuldigen. Der Justiz Handlungsvorgaben zu machen, war eine offen verfassungswidrige Kompetenzüberschreitung des Kanzlers, die sich mit dem beschönigenden Beiwort "Prälat ohne Milde" tradiert hat. Als die Sozialdemokratie aus Protest gegen den besonders provozierenden Einsatz der berittenen Polizei am 16. Juli zu einem Generalstreik aufrief, organisierten "Bundesheer, Gendarmerie und Heimwehr" mithilfe "nicht sozialdemokratischer Eisenbahner einen Ersatzverkehr". Von nun an wurde gerade in den öffentlichen Unternehmen der systematische Abbau organisierter Arbeiter betrieben -ganz unverblümt dann nach der Ausschaltung des Parlaments.

Frühe Bankenrettungspakete

Buchmann analysiert diese schrittweise Demontage der Demokratie mit unaufgeregter Akribie und zeigt dabei die politischen Akteure des bürgerlichen Lagers als von den internationalen Entwicklungen Getriebene ebenso wie als überzeugte Gegner des Parlamentarismus. Als eine neuerliche Völkerbundanleihe zur Rettung der maroden Creditanstalt anstand, versuchte Bundespräsident Miklas eine Konzentrationsregierung in die Wege zu leiten. Es sei der "historische Fehler" der Sozialdemokratie gewesen, sich dieser letzten Möglichkeit zur Einigung verweigert zu haben. Andererseits hatten alle vorangegangenen Völkerbundanleihen gezeigt, dass sie von der jeweiligen bürgerlichen Regierung nicht zur Ankurbelung der Wirtschaft und damit zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit verwendet worden waren, sondern zum größeren Teil als Bankenrettungspakete und zum kleineren Teil zur Befriedigung der seit Lueger zentralen christlichsozialen Klientel in Gewerbe und Bauernschaft. Eine derartige Politik konnte die Sozialdemokratie schwer mittragen -schließlich kämpften nicht nur die Christlichsozialen gegen den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten, sondern auch die Arbeiterbewegung, die nach und nach frustrierte arbeitslose und ausgesteuerte - also aus jeder Art von Mindestsicherung herausgefallene -Anhänger an die Nationalsozialisten verlor.

Im Oktober 1932, ein halbes Jahr vor der Ausschaltung des Parlaments, startete Dollfuß einen Testballon für die Umgehung des Parlaments mittels Notstandsparagrafen. Es ging um die juridische Verfolgung der Schuldigen am Zusammenbruch der Creditanstalt, also just eine Causa, bei der die Zustimmung der Opposition gewiss gewesen wäre. In einem Interview erklärte Dollfuß dazu: "dass es der Regierung möglich ist, selbst ohne vorherige endlose parlamentarische Kämpfe sofort gewisse dringliche Maßnahmen in die Tat umzusetzen, wird zur Gesundung unserer Demokratie wesentlich beitragen."

Der Weg in die Diktatur

Es ist bekannt, kann aber nicht oft genug betont werden, "dass nicht ein einzelner revolutionärer Akt das republikanischdemokratische System hinwegfegte, sondern viele auf einen langen Zeitraum verteilte Maßnahmen die autoritäre Regierung nach und nach festigten, bis diese in eine Diktatur mündete." Der Rechtsbruch mit der Anwendung des "Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes im Oktober 1932" war ein erster Schritt. Am 4. März 1933 nutzte Dollfuß dann eine unklare Geschäftsordnungssituation im Parlament - das er am nächsten Tag bei einer Rede am Delegiertentag des Bauernbunds in Villach unter großem Beifall "verhöhnte" - zur Ausschaltung des Nationalrates. Doch das "Parlament hatte sich nicht, wie es die Regierung wissen machen wollte, selbst ausgeschaltet, vielmehr war es gezielt und unter Aufbietung der gesamten exekutiven Macht durch die Regierung ausgeschaltet worden."

Am 31. März 1933 wurde der Republikanische Schutzbund aufgelöst und ab nun begannen die "wie ein Platzregen auf die Sozialdemokraten niederprasselnden Notverordnungen". Bis zur Verabschiedung der sogenannten Mai-Verfassung am 1. Mai 1934, mit dem Verbot oppositioneller Parteien, der Möglichkeit der "konzentrierten" Unterbringung von Regimegegnern in sogenannten Anhaltelagern, der Beseitigung der Pressefreiheit und der Auflösung der Freien Gewerkschaften, waren es 466 Notverordnungen, die "Stück für Stück den Rechtsstaat aushebelten".

Noch im April 1933 wurde ein Streikverbot erlassen und der traditionelle Mai-Aufmarsch verboten. Es folgten Eingriffe in das Kollektivvertragsrecht, die Kranken-und Unfallversicherung sowie andere arbeitsrechtliche Verschlechterungen, um die "Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft" zu stärken. Der Verfassungsgerichtshof wurde lahmgelegt und im Juni 1933 die Option einer Präventivhaft ohne Gerichtsurteil eingeführt. Die Sozialdemokratie, die immer noch hoffte, von der Regierung zu Gesprächen eingeladen zu werden, ist "Glied um Glied", so Heeresminister Carl Vaugoin in einer Ministerratssitzung, "zum Krüppel geschlagen worden".

Das ist der Resonanzraum, in dem der zum Scheitern verurteilte Aufstand der Arbeiter am 12. Februar 1934 ausbrach. Der Generalstreik wurde nicht nur zu "zögerlich" ausgerufen, er war kaum mehr durchführbar, Sozialdemokraten waren seit einem Jahr systematisch aus relevanten Betrieben wie der Eisenbahn entfernt worden, viele Führer des verbotenen Republikanischen Schutzbundes saßen in Haft. Dass das Ziel des Aufstands nicht die Verteidigung der Demokratie, sondern "wohl die Errichtung einer Diktatur des Proletariats" gewesen sei, klingt vor diesem Hintergrund nicht übermäßig plausibel. Unabhängig von der Einschätzung der Ereignisse haben die Exekutoren der nachfolgenden Rachejustiz eine "schwere Blutschuld" auf sich geladen. Justizminister Schuschnigg ordnete an, dass es zumindest "eine Hinrichtung pro umkämpfter Stadt geben" soll. Ein klassischer Beispielfall, wenn das Recht der Politik zu folgen hat.

Aufruf zu politischer Wachsamkeit

Der dritte Abschnitt zeichnet die nationalen und internationalen Entwicklungen bis zum Einmarsch der Nationalsozialisten nach, auch hier mit großer Ausgewogenheit und viel Verständnis für die innen-wie außenpolitischen Dilemmata, ohne Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen zu beschönigen. Gerade dadurch ist "Insel der Unseligen" eine lehrreiche Lektüre, die zur politischen Wachsamkeit auffordert. Etwas verwunderlich ist einzig, dass Buchmann die Protokolle des Ministerrates durchgängig indirekt nach Büchern älterer Historiker zitiert, wurden doch die Protokolle vom Mai 1932 bis Februar 1934 bereits 1984 in hervorragender Art und Weise von Gertrude Enderle-Burcel ediert.

Justizminister Schuschnigg ordnete an, dass es zumindest 'eine Hinrichtung pro umkämpfter Stadt geben' soll. Ein klassischer Beispielfall, wenn das Recht der Politik zu folgen hat.

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