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Die große Kontaktnahme

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Madrid entwickelt seit einigen Tagen eine fieberhafte außen- und handelspolitische Tätigkeit. Minister gehen auf Auslandsreisen, Staatsbesuche werden gemacht und empfangen — schon lange war die Aktivität oder sagen wir lieber: die Geschäftigkeit hier nicht so auffällig. Geschäftigkeit deshalb, weil alles einen etwas hektischen, un-koordinierten Eindruck macht. Man will plötzlich mit aller Welt ins Gespräch kommen, Handelsminister Ullastres besucht fünf Staaten Schwarz-Afrikas, Industrieminister Lopez Bravo kehrt aus Algerien heim und bereitet einen Trip nach Marokko vor; der portugiesische Außenminister besucht Franco, König Hassan von Marokko ist angesagt, eine Wochenschrift, die als besonders gut „gelenkt“ gilt, empfiehlt die Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion, zu Rotchina, zu dem „linken“, bisher nur die spanische republikanische Exilregierung anerkennenden Mexiko, zu Israel, das man den Arabern zuliebe bisher nicht zur Kenntnis nahm. Soviel wie in diesen Wochen stand sonst in einem ganzen Jahr nicht auf dem spanischen Regierungsprogramm.

Warum das Ganze? Zweierlei dürfte vor allem bestimmend sein: Madrid snürt die Fiihviineskrisp im Westen, die Schwierigkeiten der USA, zu deren ruhigsten und anspruchslosesten Verbündeten es gehört. Darum will Spanien vom Gängelband der Yankees, das es so viele Jahre ohne ernstlich zu murren duldete, wenn Washington nur die Formen zu wahren verstand, loskommen. De Gaulies neo-bona-partistische Politik soll zwar nicht imitiert werden, wirkt aber doch inspirierend auf Spanien.

Der zweite Grund scheint zu sein, daß die Spanier schon lange nicht so stark ihre Isolierung spürten wie in dieser Zeit der Blockbildung und politischen Verlagerungen. Diese Vereinsamung hat jedoch nicht das geringste mit der Herrschaft Fran-cos zu tun. Auch Regierungen, die ideologisch ein Regime wie das spanische ablehnen, unterhalten zu ihm gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Nein, die Existenz am Rande ist eine Konstante in der Geschichte Spaniens, und bloß Karl V. und Philipp II. vermochten Spanien in die Weltpolitik zu integrieren. Wird nun dem 71jährigen Franco nach 25 Jahren einer Politik des traditionellen Abseitsstehens die Abkehr von dem gelingen, was bislang als geopoliti-sches Schicksal Spaniens galt?

Vorerst ist praktisch so gut wie nichts in diesem Sinn erreicht worden, freilich dauert die neue Geschäftigkeit erst kurze Zeit. Da ist zum Beispiel das vieldiskutierte Schiffe-gegen-Zucker-Geschäft mit Kuba. Ein geschwätziger hoher Funktionär spanischer Werften sprach von der Möglichkeit, daß Spanien Schiffe im Wert von 500 Millionen Dollar als Gegenleistung für Zuckerlieferungen nach Kuba exportieren könnte, und die Amerikaner, die, wie die Spanier bemerken, an einer Kuba-Hysterie leiden, nahmen die Prahlerei ernst. Niemandem fiel es ein, das Potential

der spanischen Werften zu prüfen, das etwa die Hälfte der .angeblich geplanten Lieferungen nach Havanna ausmacht. Niemand bedachte auch, daß die gesamten Ausfuhren Madrids nach der Zuckerinsel zuletzt 15, vorher 12 Millionen Dollar betrugen, und daß Madrid überglücklich wäre, wenn es diese Zahl verdoppeln könnte, was aber jenseits aller Möglichkeiten liegt. Durch die Welt ging die Meldung vom „Blockadebrecher Spanien“, der dem bärtigen Castro den Widerstand ermöglichen werde, und der Spekulationen war kein Ende.Jetzt hat der spanische Botschafter in Washington, Garrigues, Anweisung bekommen, den Kuba-Streit mit den USA zu regeln, was an Hand von Handelsstatistiken nicht schwer sein dürfte. So wird der 14. Februar, an dem die USA entscheiden wollen, ob sie dem „Castro-Freund“ Franco die Kredite sperren sollen, wohl ohne Sensation vorbeigehen, und man wird wieder einmal erkennen, daß in spanischen Belangen die nationale und mehr noch die internationale Einbildungskraft zu üppig ins Kraut schießt.

Ähnlich verhält es sich mit der angeblich bevorstehenden Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Madrid und Moskau. Vorliegen ein paar höfliche Worte zwischen russischen und spanischen Diplomaten, ferner ein in urbaner Form gehaltenes Antwortschreiben Francos an Chruschtschow auf dessen Vorschlag, Gebietsansprüche nicht mit Waffengewalt durchzusetzen. Schlußfolgerung vor allem in den USA: der spanische Stier und der russische Bär werden bald friedlich nebeneinander weiden. Die Möglichkeit dazu existiert, aber auf der Tagesordnung steht dieses Ereignis wohl nicht. Man vergißt, daß offiziöse Kontakte zwischen beiden Ländern zumindest seit acht Jahren bestehen, daß schon Bulganin Noten an Franco schickte, daß hier immer mit der Regelung des Verhältnisses zur UdSSR geliebäugelt wurde, und doch nie etwas daraus wurde. Substantielle Gründe dafür gibt es manche, ausschlaggebend aber dürften die Imponderabilien sein: Spanien lebt in der Vorstellung, der einzig wirkliche antikommunistische Staat der Welt zu sein, und die Sowjetunion, nicht minder einer Autosuggestion erliegend, sieht in dem typisch iberischen Generalsdiktator Franco eine Art Reserve-Hitler. Bis die sich daraus ergebenden psychologischen Hemmungen überwunden sind, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Wie es um spanische internationale Geschäftigkeit bestellt ist, zeigt am besten der jüngste Ausflug des Madrider Industrieministers Lopez Bravo nach Algerien. Der Minister machte in Algier und Madrid Erklärungen, die zu dem Schluß führten, daß der Bau einer Erdgas-Pipeline Mostaganem (Algerien)— Cartagena (Spanien) beschlossene Sache sei. Der Jubel in der hiesigen Presse war ungeheuer, die Realpolitik, die zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Volksdemokratie und dem Spanien Francos führte, wurde über den grünen Klee gelobt. Aber bald nach des Ministers Heimkehr veröffentlichte eine Madrider Zeitung den unverkennbar inspirierten Kommentar, daß von einer Pipeline vorläufig nicht die Rede sein könne, und Lopez Bravo wischte selbst in einer Pressekonferenz die ganze Angelegenheit mit einer Handbewegung weg: Zu teuer, zu wenig Abnahmemöglichkeiten in Spanien.

Diese Erklärung ist einleuchtend. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß französische Firmen derzeit im Kampf mit dem algerischen Staat um den Bau der Erdgasleitung bis zur Küste liegen. Ben Bella droht, ihnen die Konzession zu entziehen, und daß es also Paris gewiß nicht recht wäre, wenn plötzlich Spanien als Klient und vielleicht Geldgeber (wovon?) Algeriens aufträte. Da aber Frankreich Madrid kürzlich einen 150-MillionenDollar-Kredit gewährte, könnte hier eine weitere Begründung für die rapide Meinungsänderung der Spanier gesucht werden. Jedenfalls: Spanische Projekte, besonders wenn sie laut in die Welt hinausposaunt werden, sind mit der Lupe zu untersuchen. Es zeigt sich dann meist, daß sie bloß — Projekte sind.

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