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Die Gunst der Stunde genützt

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Adenauer hat Kohl schon „überrundet”, Bismarck könnte er noch schaffen. An Metternich wird er scheitern.

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Adenauer hat Kohl schon „überrundet”, Bismarck könnte er noch schaffen. An Metternich wird er scheitern.

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Am 31. Oktober überrundet mit 14 Jahren und einem Monat Amtszeit Helmut Kohl Konrad Adenauer als Bundeskanzler und ist damit einer der am längsten amtierenden Regierungschefs der jüngeren europäischen Geschichte. Bruno Kreisky zum Beispiel brachte es nur auf knappe mehr als 13 Jahre. Als am 1. Oktober 1982, also vor 14 Jahren und einem Monat, der deutsche Bundestag in einem konstruktiven Mißtrauensvo-tum Helmut Kohl zum sechsten Kanzler der Bundesrepublik wählte, wer dachte damals daran, daß diese Ära so lange dauern würde?

Die Kanzlerschaft Helmut Kohls ist ein Phänomen. Interpretationen und Deutungen gibt es viele, alleine ob sie der Person Kohls gerecht werden, ist eine andere Frage. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre konnte man im politischen Milieu der Bundesrepublik oft folgenden Satz hören: „Bichard von Weizsäcker, ist der am meisten überschätzte Politiker Deutschlands, Helmut Kohl der am meisten unterschätzte.” Dieser Vergleich, bezogen auf den früheren Bundespräsidenten und Liebling des kritischen Feuilletons, trifft und lüftet vielleicht ein wenig das Geheimnis Helmut Kohls. An ihm scheiden sich so manche Geister: Er sei ein Aussitzer, ein Zauderer und Generalist. Entscheidungen schiebe er lange vor sich her, bei Personaldingen sei er jedoch beinhart, nicht zuletzt in der eigenen Partei. Er habe die CDU als Partei zum Kanzlerwahlverein degradiert, die nach seiner Pfeife zu tanzen habe und was zu Befürchtungen nach der Ära Kohls Anlaß gebe. Intellektua-lität und Visionen seien seine Stärke nicht. Seine Vorgänger Willy Brandt und Helmut Schmidt waren kaum derart Objekte von Karikaturen („Birne”) und Witzen wie Helmut Kohl. Das Bild derart veröffentlichter Meinung mag nicht so recht zu den tatsächlichen politischen Rea-litäten passen, obgleich in den letzten Jahren durchaus Respekt auch seitens der Opposition gegenüber Kohl zu spüren ist, wenn es um die Würdigung seiner Leistungen um die Wiedervereinigung und die europäi-sehe Integration geht. Das wirkte sich auch auf Burgenlands Landeshauptmann Karl Stix aus, der beim jüngsten Staatsbesuch Kohls in Österreich meldete: „Herr Bundeskanzler, wir bewundern Sie!”

Der politische Weg Helmut Kohls war nicht immer eben: Erst beim zweiten Anlauf 1973 wurde er CDU-Vorsitzender, und man denke auch an seine Bivalität mit Franz Josef Strauß, der Kohl 1980 die Kanzlerkandidatur streitig machte. Und als bei den Bundestagswahlen 1986 die Unionsparteien Verluste hinnehmen mußten und auch zwischenzeitlich andere wichtige CDU-Positionen in Ländern und Städten verloren gingen, regte sich 1988 die innerparteiliche Opposition (um Heiner

Geißler, Lothar Späth und Rita Süßmuth), die jedoch an den Rand gedrängt wurde.

Es ist bereits viel über den Kanzler der Einheit geschrieben und gesagt worden, über die Gunst der Stunde, die Helmut Kohl damals geschickt ergriffen hat. Tatsache ist: die AVie-dervereinigung Deutschlands hat das erwartete Wahldebakel 1990 in einen großen Erfolg gewandelt. Helmut Kohl ist seitdem in der Partei unumstritten, über mögliche Nachfolgekandidaten wird zwar gelegentlich in politischen Kommentaren spekuliert. Aber werden die dabei Genannten je eine Chance besitzen?

Die Wahlen 1994 gingen zwar mit nur knapper Mehrheit für die Regierungsparteien aus, aber was wird bei der nächsten Bundestagswahl 1998 geschehen? Man nimmt allgemein an, daß Helmut Kohl nochmals als 68jähriger kandidieren wird, und dann wird er noch immer jünger sein als Adenauer, der 1949 als 73jähriger zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Wird Kohl aber auch Chancen haben, die Wahlen 1998 mit seiner Koalition zu gewinnen? Das ist jetzt noch schwer zu sagen, weil man nicht abschätzen kann, wie sich die problematische wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf das Wählerverhalten auswirken wird. Sicher ist nach gegenwärtigem Stand: Der langjährige Regierungspartner FDP scheint konsolidiert zu sein, und bei der SPD sind die innerparteilichen Querelen noch lange nicht zu Ende. Mit Glück - und das gehört wesentlich zur Politik - kann es Kohl 1998 nochmals schaffen.

Um die Jahrtausendwende wird es für Deutschland eine wichtige Zäsur geben: Der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin ist mehr als nur eine technische Angelegenheit. Damit verbunden ist zweifellos die Frage, welche Rolle das wiedervereinigte und nach wie vor wirtschaftlich starke Deutschland in der Weltpolitik spielen wird, was auch Ktinse-quenzen für Österreich haben wird.

Und wenn Kohl bis zum 1. Oktober 2001 Bundeskanzler bleibt, dann hat er Beichskanzler Otto -Fürst Bismarck überrundet. Den am längsten regierenden Begierungschef der neuen Geschichte wird er aber wohl kaum einholen können: Fürst Metternich war mehr als 38 Jahre Staatskanzler.

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