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Die Hauptverantwortung liegt bei den Machthabern
Einen kritischen Blick auf das FURCHE-Dos-sier zum Bürgerkrieg 1934 hat uns der seinerzeitige Innenminister Olah übermittelt.
Einen kritischen Blick auf das FURCHE-Dos-sier zum Bürgerkrieg 1934 hat uns der seinerzeitige Innenminister Olah übermittelt.
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er 60. Jahrestag des Ausbruchs der Februarkämpfe von 1934 brachte in allen Medien eine Flut von Rückblicken und historischen Darstellungen.
Was mich dabei am meisten stört, ist die verlogene Diktion vom „Putsch" des Schutzbundes beziehungsweise der damaligen sozialdemokratischen Führung.
Diese „Historiker" haben scheinbar ganz übersehen, daß der Putsch schon im März
1933 stattgefunden hat ~ durch die Ausschaltung des Nationalrates durch die Re gierung Dollfuß! Der Auf stand des Schutzbundes rieh tete sich nicht gegen eine de mokratische Regierung, son dern gegen ein diktatorisches Regime (siehe links oben, Anm. d. Red.) mit dem Feigenblatt des kriegswirtschaft-ichen Ermächtigungsgesetzes von 1914!
Diese Regierung hat vom März 1933 bis zum Februar
1934 systematisch alle bürgerlichen Freiheitsrechte, einschließlich der unabhängigen Gerichtsbarkeit beseitigt. So sah die „Verteidigung" Österreichs gegen den Nazismus aus! Die Zerstörung jeder Grundlage im Inneren für eine Abwehr gegen die Bedrohung durch die Anhänger Hitlers.
In dem Artikel auf Seite 11 (FURCHE 5/1994) „Bhck zurück mi’t Stolz" (Worauf bitte? Auf Galgen, Standgerichte, Zerschlagung aller gesellschaftlichen, auch kulturellen und sportlichen Vereinigungen der Arbeiter?) feiert der alte miese Propagandaschlager von der drohenden Diktatur des Proletariats fröhliche Auferstehung.
Diese Behauptung ist so wahr wie die „Rote Katze" nach 1945 als Wahlschlager. Diese „Katze" ist schon längst elend krepiert, nur die Diktaturlüge geistert noch immer. Weil das zitierte „Linzer Programm" offenbar keiner der Schreiber und Redner gelesen hat. Ich besitze noch die erste Originalausgabe von 1927 und stelle Ihnen von den betreffenden Seiten Kopien zur Verfügung (siehe oben, Anm. d. Red.).
Es ist eine Verleumdung, Männern wie Seitz, Renner, aber auch Otto Bauer und den damaligen Gewerkschaftsführern zu unterstellen, sie hätten eine Diktatur errichten wollen. Das gilt uneingeschränkt auch für die Führung des Schutzbundes mit Julius Deutsch. Ich kann für meine Person sagen - ich war seit 1928 Funktionär in dieser Partei - , daß ich niemals einer Partei angehört hätte, die die Diktatur zum Ziel gehabt hätte. Niemals war irgendwo die Rede, daß wir eine Diktatur anstreben.
Die an den Haaren herbeigeholte Behauptung, daß Koloman Walliscn in der Obersteiermark eine Räterepubbk proklamierte, soll wohl den niederträchtigen, feigen Mord ah diesem Mann - einem gewählten Abgeordneten - rechtfertigen.
Nicht gerade eine historische Meisterleistung ist die Behauptung in dem Ar-tike „Kein Spiel mit Blut und Tränen", daß ein früherer Abwehrkampf, etwa im März 1933, anläßlich iktat- putschartigen Ausscha tung des Na-’° tionalrates - wie ich vor zehn Jahren fieinte und auch heute noch lehaupte - die Nazis noch rüher an die Macht gebracht lätte.
Hitler hatte bei seiner Re-ierungsübernahme Anfang /lärz 1933 noch keine Mehr-leit in der Reichsregierung, r hatte noch nicht das erühmte „Ermächtigungsge-stz" für seine Diktatur, und ie gesamte Führung der ieichswehr waren alte Offi-iere und Gegner Hitlers.
Übrigens bekam Hitler sein Ermächtigungsgesetz nur durch die Stimmen der katholischen Zentrumspartei! Dort herrschte eben das gleiche Maß an politischer Klugheit wie bei den Christlichsozialen in Österreich.
Bei uns im Lande aber war der Sog zu den Nazis erst am Anfang, Polizei und Verwaltung noch nicht von Nazis durchsetzt, die Bevölkerung noch nicht demoralisiert, die Sozialdemokraten waren zur gemeinsamen Abwehr bereit — ich verweise auf die gemeinsamen Beschlüsse von Sozialdemokraten und Christlichsozialen in den neugewählten Landtagen von Wien, Niederösterreich und Salzburg auf Annullierung der NS-Mandate in den Landtagen. Dadurch bekamen die Christlichsozialen wieder ihre Mehrheit in Niederösterreich und Salzburg!
Anständiger- und aufrichtigerweise wäre es, endlich klar zu sagen, daß die damalige Regierungspolitik ein Unglück für unser Volk war! Die Hauptverantwortung hegt immer bei denen, die die Macht haben, denn sie entscheiden (siehe dazu im FUR-CHE-Dossier Seite 9, mittlere Spalte, Anm. d. Red.). Ohne zu leugnen, daß auch der andere Teil seine Verantwortung zu tragen hat.
Wie weit die Sozialdemokratie bereit war zu gehen, zeigen zwei Beispiele: Die Bereitschaft, der Regierung Vollmachten zu übertragen in der Gesetzgebung und eine ständische Verfassung zu akzeptieren, wenn nur eine Bedingung erfüllt wird: Das allgemeine und geheime Wahlrecht muß gewahrt werden!
Diesen’ Vorschlag der Sozialdemokraten habe ich in der „Arbeiterzeitung" im Dezember 1933 gelesen - schon im Gefängnis damals. Zu meinem Entsetzen. Kompromisse an totalitäre Bestrebungen sind immer der Anfang vom Ende. Kämpfen muß man für die Freiheit, kompromißlos und von Anfang an - und in jeder Situation.
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