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Die Hochschule brennt…

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Nachdem in allen Nachbarstaaten Österreichs (die Volksrepublik Ungarn ausgenommen) in dem vergangenen stürmischen Frühling 1968 Revolten der Studenten und der Jugend stattgefunden haben, ist es jetzt in den Ferien an der Zeit, eine vorläufige Quersumme des Ergebnisses der ersten Runde der Auseinandersetzung zu ziehen.

• Die Revolte der Studenten begann zumeist mit einem Aufbegehren gegen unzulängliche Zustände an der Hochschule; sehr bald schlug die Forderung nach einer besseren Hochschulverwaltung in einen stürmischen Protest gegen das „veraltete Modell der Hochschule“ um.

• In den folgenden Polemiken über die Hochschulreform wurde dann sichtbar, daß viele Unzulänglichkeiten des Hochschulwesens ihre Ursache nicht nur in dem gegenwärtigen Bildungssystem haben, sondern auf Defizitärzustände der herrschenden Gesellschaftsordnung des Industriesystems reflektieren. Der Konflikt entzündete sich in diesem Augenblick, als für viele eine Existenz inmitten hypermoderner Maschinen und rückständiger Einrichtungen unausstehlich wurde.

• Im Gegensatz zu der „ermüdeten Generation“ der fünfziger Jahre entschlossen sich jetzt die jungen Dozenten und Studenten nicht etwa zu einer Wiederholung einer zwecklosen „inneren Emigration“; vielmehr gingen sie daran, entweder aus einer Gesellschaft, die ihnen fremd geworden war (Hinweis: Die „alienated generation“ in den USA), auszuziehen oder die Gesellschaftsordnung des Establishments anzugreifen und zu zerstören (Aufstand in Frankreich Mai Juni 1968).

• An diesem Punkt der Entwicklung wurde der Konflikt der Revolte mit der äußeren Ordnung des Staates unvermeidlich. Daß der Staat für diese Auseinandersetzung zunächst vielfach nur die Polizei und die Pedelle, die Kirchen ihre Kirchendiener bereitgestellt hatten, kennzeichnet die Fatalität der Konflikte des heurigen Frühjahrs.

In dem jetzigen Transitorium zwischen dem stürmischen Frühling und einem Herbst, in dem nach der Erwartung der Studenten der bleibende Ertrag des Aufruhrs eingebracht werden soll, entsteht die Frage: Wie werden der Staat und seine Hochschulverwaltung, die akademischen Behörden und die autonome Verwaltung der Hochschulen, vor allem aber die in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft an der Macht befindlichen Gruppen die Resultante aus den sich tausendfach kreuzenden und überschneidenden Bewegungen ziehen, um zu einer sachlichen Lösung zu gelangen?

Die Ereignisse des Frühlings 1968 haben einmal mehr bewiesen, daß die radikale Linke ihre Aufstände niemals damit gewinnen will, daß sie die Mehrheit der Masse der Bevölkerung an sich zieht und die Majorität in den zuständigen Körperschaften anstrebt; sie arbeitet mit Hilfe winziger militanter Minoritäten, in denen allerdings jeder einzelne Kombattant von der Richtigkeit der verfochtenen Sache überzeugt und willens ist, sich für deren Realisierung unter allen Umständen, und sei es mit der Anwendung der Mittel äußerster Gewalt, einzusetzeik

Wenn ich jetzt zitiere, wie dermaßen nach der Methode des Daniel Cohn-Bendit Politik gemacht werden soll, dann bin ich mir bewußt, daß darin nicht wenige Leser eine Überschätzung dieses plötzlich zu größter Popularität gelangten Trommlers der radikalen Linken erblicken werden. Der „rote Sammy“ist nicht nur in der Studentenrevolte in Paris hervorgetreten. Sein Name steht heute für die Methode, nach der man in der neuen radikalen Linken einen politischen Stil prägen will. Wer über diesen „neuen Stil“ lächelt, benimmt sich so, wie sich jene Ende der zwanziger Jahre benommen haben, die über die agressiven Methoden der jungen Nationalsozialisten nur gelächelt haben, um nachher nicht zu zögern, das Abzeichen dieser Partei mit der größten Selbstverständlichkeit auf den Rockumschlag eines Prominenten in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu stecken. Das „Neue Forum“ bringt in der letzten Ausgabe (Juni Juli, Seite 425) die Leitsätze, nach denen Cohn-Bendit Politik machen will. Hier einige Kernsätze:

• Wir verlangen neue Freiheit innerhalb der Fakultät, wir verweigern sie jedoch den Anhängern der Amerikaner.

• Zuerst die Tat… die theo- rethische Analyse konnte daher erst in einer zweiten Phase erfolgen.

• Die Kritik an der Universität stellt alles in allem eine gewisse Macht der Studenten dar.

Die radikalen Linksintellektuellen, die alles, was sich rechts von ihnen mit Politik beschäftigt, als „faschistoid“ ausklammern und „auf den Kehrrichthaufen der Weltgeschichte“ kehren möchten, sind also selbst nicht nur „faschistoid“, sondern so rein faschistisch in den Methoden, wie es der Mussolini- Faschismus auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung gewesen ist. DieGUF (Gruppo universitaria fascista) hätte die oben zitierten Thesen nicht anders pointieren können als etwa so:

• Wir (die GUF) verlangen Meinungsfreiheit, wir verweigern sie aber den Anhängern der Demokratie.

• Die Prämisse des Faschismus ist die Aktion; die Theorie kommt nachher, wenn wir am Ziel sein werden, das heißt im Besitz der Macht.

• Macht an sich ist nichts Schlechtes, solange die Machtanwendung zur Erreichung der Ziele des Faschismus dient.

An diesem Punkt der Auseinandersetzung mit den radikalen

Linksintellektuellen (die allerdings nur eine winzige Minorität innerhalb der Studenten aller Länder ausmachen) wird mit erschreckender Deutlichkeit sichtbar, wie die langatmigen Auseinandersetzungen mit der „unbewältigten Vergangenheit“ schließlich dazu geführt haben, daß sich Teile der jungen Generation dieser unbewältigten Vergangenheit bemächtigt, sie umgestülpt und zum Prinzip ihrer Aktion gemacht haben.

' Der seinerzeit von den Nationalsozialisten mit einer wuchtigen Agitation angekündigte Durchbruch zur Macht wurde bekanntlich in dem Augenblick eine politische Realität, als es dem Nationalsozialismus gelang, die erste Welle seiner Kollaborateure in Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur durch jene Nazis zu ersetzen, die anfänglich im Umgang mit der zum Untergang bestimmten herrschenden Schicht von gestern eine unheimliche Mimikri zu entfalten verstanden hatten. 1933 war es dann im Deutschen Reich soweit, daß an der Spitze aller Studentenverbände, vom CV bis zu den Burschenschaften, Parteigenossen standen, die ihre Aufträge nicht mehr von den beschlußfassenden Organen dieser Verbände entgegennahmen, sondern von der NSDAP, die sich dieser Verbände wie leerer Schneckenhäuser bediente.

In diesem Frühling 1968 ist in einigen studentischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland ähnliches geschehen: es entstand jene Ziehung halblinks, die zur Folge hatte, daß von der Dachorganisation der Studentenausschüsse bis zu den liberalen und nationalen studentischen Formationen radikale I inksintellektuelle, in vielen Fällen Marxisten, das Heft in die Hand bekommen haben. So wie es um 1933 nationalsozialistisch organisierte CVer gegeben hat, gibt es heute unter den evangelischen und katholischen Theologen engagierte Parteigänger der radikalen Linken; solche Engagierte agitieren auch (wenngleich in geringer Zahl) unter den Angehörigen zahlreicher, bisher keineswegs marxistisch fundierter oder orientierter Gemeinschaften. Viele haben den Aufruf zur „Öffnung nach links“ so verstanden, daß sie einfach den eigenen Standort nach links verlegt haben und in einer falsch verstandenen Toleranz glauben, im Anschluß daran auch die Denkweise der Linken übernehmen zu müssen.

Die ÖSU (österreichische Studentenunion), eine in diesem Jahr gegründete Studentenpartei österreichischer Hochschüler, die zuweilen in den Verdacht gerät, als stünde sie tatsächlich der ÖVP nahe, bezeichnet sich als „progressive Mitte“ und rutscht damit bereits in der Ausgangslage über die Mitte nach links ab. Rechts von der Mitte zu stehen und zu denken und damit gegenüber der neuen radikalen Linken die notwendige Alternative aufzustellen, möchten vorläufig nur wenige auf sich nehmen; sie sehen die Gefahr, allein mit dieser Frontstellung als „rechtsradikal“ punziert zu sein. Und das scheuen die Lehrer und die Studenten, die Politiker und die Wirtschafter, die Künstler und die Intellektuellen. Die radikale Linke will „aus der Universität eine politische Bastion machen“ (Cohn- Bendit), das heißt: die Lehrkanzel, die bisher der wissenschaftlichen Fachvertretung gedient hat, soll zur Kanzel werden, die (nach Unterdrückung aller gegenteiligen Meinungen) der Predigt einer neuen Linksideologie zu dienen hat. Das ist nichts Neues; das hat es nach 1933 in Berlin ebenso gegeben wie nach 1945 im ostzonalen Berlin. Neu ist jetzt die Tatsache, daß es zu diesem Aktionsprogramm der radikalen Linken rechts davon eine Alternative nicht gibt, es sei denn die Bereitschaft zu Appeasement, Kapitulation und Übergabe.

So scheußlich das System von Blut und Eisen ist, das die Revolutionen hinterlassen, so übel kann das sein, was nachher, „wenn alles vorüber ist“, in dem Fall geschieht, wenn es Reaktionäre sind, die „die Dinge wieder in den Griff bekommen“. Die Ereignisse des heurigen Frühlings haben erneut bewiesen, wie labil die Zustände im entideologisierten Industriesystem sein können; vor allem dann, wenn einmal die um soziale Errungenschaften bangenden Kleinbürger in einer verschreckten Abwehrreaktion nach links ausweichen, um dann, wenn ihnen der Terror des Linksradikalismus zu nahe kommt, ebenso erschreckt nach rechts umzuspringen. So geschah es nicht nur in Frankreich.

Hier ist zunächst nicht von Staatsaktionen die Rede, sondern von Studenten. Einmal ist von einer Revolution, es war die 48er-Revolu- tion in Wien, deren Kern die AKADEMISCHE LEGION und die Mobilgarden der Vororte gewesen ist, ein kostbares Relikt übriggeblieben: die Lehr- und Lernfreiheit. Daß dieses Bleibende im Rückstau der nachfolgenden Ereignisse des neoabsolutistischen Systems nicht ersoffen ist, verdankt die österreichische Hochschule dem damaligen Unterrichtsminister Leo Graf Thun-Hohenstein (1849—1860). Bekannt ist die Szene in einer Ministerratssitzung der Ära des Ministerpräsidenten Schwarzenberg: Der Kriegsminister stellte dem Unterrichtsminister die Frage, was dieser zu tun gedenkt, wenn der zur Ernennung vorgeschlagene Hochschulprofessor Ansichten vertreten wird, die mit denen der Regierung seiner Majestät nicht konform sind. Und Thun: Es ist nicht die Aufgabe des Unterrichtsministers, Lehrmeinungen zu widerlegen, sondern die Lehrfreiheit zu gewährleisten; diese Lehrfreiheit wird auch dem zugute kommen, dessen wissenschaftliche Fachvertretung mit der des eben zur Ernennung gelangenden Kandidaten im erklärten Widerspruch steht. Der Abstand zwischen Thun-Hohenstein und Cohn-Bendit markiert die Gefahr, die neuerdings der Freiheit des Geistes droht.

In dem vor uns liegende» Herbst wird es darum gehen, ob es der Revolte der radikalen Linken gelingen wird, da und dort in Europa mit ihren Methoden weiter vorzustoßen; oder ob das „Establishment“ imstande sein wird, über den unruhig gewordenen Boden der Verhältnisse wieder eine betonierte Ordnung auszugießen; oder ob der Ertrag der Polemik eine verwertbare Einigung im Sachlichen sein wird. Vorläufig ist das Substrat des Gespräches eher dürftig:

• Die Studenten haben umstürzende Analysen des jetzigen Bildungssystems verfaßt und sehr weitreichende Forderungen an Staat, Gesellschaft und Hochschule gerichtet.

• Die Regierungschefs verschiedener Länder in Ost und West haben in der Krise der Revolte versprochen, die Hochschule würde reformiert werden. Ziele, Methoden und Typen, die zu diesem Reformverspre- chen gehörten, wurden von den Regierungschefs nicht genannt; in den seither verlauteten Regierungsprogrammen wurden sie nur in Umrissen angedeutet.

• Bei einer solchen unterschiedlichen Ausstattung der Standpunkte ist die akute Gefahr vor allem darin zu erblicken, daß die Studenten zwar spüren, worin die Situation unhaltbar geworden ist, daß sie aber inmitten der turbulenten Ereignisse noch nicht in der Lage gewesen sind, ihre stürmische Bewegung auf sachlich umgrenzte Ziele auszurichten.

So hat die Bewegung, die notwendigerweise in erstarrte Verhältnisse gekommen ist, zwar einige Kraft, aber es fehlt dort, wo die Bewegung im Gange ist, vielfach die Orientierung. „Die andere Seite“ hat sich bisher vielfach in einer erstarrten Abwehr gezeigt und die für sie gültigen Konzepte kontrastieren so stark mit den zunächst aufgezeigten Zielen der studentischen Bewegung, daß es größter Zivilcourage auf beiden Seiten bedürfen wird, um zunächst einmal Ordnung in die Gesprächssituation zu bringen.

Am Ende des stürmischen Frühlings 1968 ist es wenigstens Österreich gelungen, den gefährlichen Konflikt der Beatniks mit den Spießern hintan zu halten. Möchte sich doch darin jene Wohl- temperiertheit äußern, mit der sich das österreichische in guten Zeiten von dem unterscheidet, was sich anderswo zuträgt. Wir danken dies vorerst der Zivilcourage des Unterrichtsministers, der sich im abgelaufenen Studienjahr immer wieder in einer freien Gesprächssituation mit den Studenten getroffen hat; aber auch der Oppositionsführer Doktor Kreisky hat es hierin an Entschiedenheit nicht mangeln lassen. Der Rektor der Wiener Universität des Studienjahres 1967 68 hat (von Progressisten und Konservativen gleichermaßen bedrängt) der größten Hochschule des Landes und damit der Gesamtsituation, den Ausbruch jenes Pandämoniums erspart, das anderswo den lebensnotwendigen Zusammenhalt der Gesellschaft zeitweise zerrissen hat. Die Ausgangslage in Österreich ist daher geordneter als anderswo. Dia Chance, daß Ordnung in die Gesprächssituation zwischen Staat, Hochschulverwaltung, akademischen Behörden und Studenten kommt, blieb gewahrt. Eine Frage drängt sich aber auf: An welcher Linie wird wohl in Zukunft um die Einigung im Sachlichen gerungen werden?

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