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Die Hoffnung im Süden

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Ein europäischer Kirchenfürst sagte bei seinem Besuch in Rio de Janeiro, die Zukunft der katholischen Kirche werde sich in Lateinamerika entscheiden, weil im Jahre 2000 die Hälfte aller ihrer Gläubigen auf diesem Halbkontinent leben werde.

Nun ist die Vorstellung, daß die Kirche die ausschlaggebende (auch politische) Kraft in Lateinamerika sei, weil fast alle seine Bewohner nach dem Taufschein sich zu ihr bekennen, irrig. Der Prozentsatz der Kirchenbesucher in vielen lateinamerikanischen Hauptstädten ist sehr gering. Trotzdem spielt die Kirche für die Zukunft des Kontinents eine viel größere Rolle, als ihr in anderen Zonen der Welt zukommt. Das beruht darauf, daß die Mehrheit der lateinamerikanischen Bevölkerung aus „Nichtweißen“ be- siehLÜRv.j Übrigen das mit dem Peking diesen Erdteil gegenüber Moskau vom Standpunkt der kommunistischen Weltteilung beansprucht).

Die 70 Prozent (von 200 Millionen Lateinamerikanern), die von den Wissenschaftlern als unterernährt bezeiihnet werden und die 20 Millionen „Eingeborenen“ (meist „Indios“), die am Rande der westlichen Wirtschafts- und Konsumzivilisation noch nach den Gesetzen ihrer mehr als 1000 Jahre alten Gesellschaftsordnung isoliert leben, haben als wesentlichen Kontakt mit der Umwelt die Priester. Gerade aus diesem Gesichtspunkt muß der Priestermangel alarmieren. In Guatemala, einer der wichtigsten Indiozonen, kommt ein Priester auf 14.000 Gläubige; in Lateinamerika lebt über ein Drittel der Katholiken der Welt, aber weniger als zehn Prozent der Priester.

Der andere Gesichtspunkt, aus dem der katholischen Kirche in Lateinamerika eine weit größere Rolle zukommt als in anderen Kontinenten, ist das Verhältnis zum Staat. Dabei kommt es in keiner Weise darauf an, ob nach den Verfassungen eine Staatskirche besteht oder Kirche und Staat getrennt sind.

Während in Argentinien ein

Patronat des Staates über die katholische Kirche als Erbe der spanischen Könige bis vor kurzem bestand und sie jedenfalls „Staatskirche“ ist, wirkt sich die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Kirche in Brasilien keineswegs als Schwächung ihres Einflusses aus.

Die Beziehungen zwischen Klerus und Regierung hängen weitgehend davon ab, ob antiklerikale Kräfte, wie zum Beispiel früher die „Radi- kalertwrofEibtlraW. ftpu Atgefttihi öder Chile, oder praktizierende Katholiken, wie zur Zeit in Argem! tinien, Brasilien und Chile, an der Macht sind. Auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirehe wirken sich die inneren Kämpfe zwischen konservativen und fortschrittlichen Kreisen des Katholizismus in außerordentlich interessanter Form aus. Die Lösung dieser Spannungen ist von größter Bedeutung für die zukünftige religiöse und politische Orientierung von Völkern der „Dritten Welt“.

Vor und nach dem Konzil

Die Kluft, die in katholischen Ländern zwischen den sogenannten „präkonziliaren“ und den „post- konziliaren“ Geistlichen besteht, ist in Lateinamerika besonders breit.

An der Spitze der fortschrittlichen ,’,postkonziliaren“ Bewegung stand zunächst der chilenische Primat-Kardinal Raúl Silva Henri- quez und der durch einen Autounfall ums Leben gekommene Monsignore Manuel Larrain, der Bischof von Talca, der auch als Präsident der „CELAM“ („Lateinamerikanische Episkopalkonferenz“) große Verehrung genoß. Er hat — noch vor den brasilianischen Bischöfen — eine „private Agrarreform“ durchgeführt, indem . er die Ländereien der Kirche mit sachgemäßer Beratung usw. an Landarbeiter verteilte.

Die „sozialreformerische“ Tendenz wird weiter seit etwa acht Jahren von den brasilianischen Bischöfen vertreten. Ihr Haupt ist Dom Helder Camara, der Erzbischof von Recife, des Mittelpunktes des nordöstlichen Hungergebietes. Die

19 Bischöfe dieser Zone haben in zahlreichen Beschlüssen dieu. sofortige Durchführung der Agrar- sowie Verwaltungsreformen gefordert,- ohne aber den Widerstand der Latifundienbesitzer bisher brechen zu können. Unter der Ägide von Dom Helder Camara wurde eine Konferenz der Bischöfe der „Dritten Welt“ abgehalten, der unter anderem Kirchenfürsten aus Kolumbien, Algerien, Ägypten, Libanon, Südvietnam und Formosa beiwohnten. Auf ihr wurde in scharf antikapitalistischer Formulierung Unabhängigkeit auf zwischenstaatlichem und ökonomischem Gebiet und Sozialreformen verlangt. Die brasilianischen Bischöfe hielten weiter unter dem Vorsitz des Kardinals von Säo Paulo, Agnelo Rozzi, in Apa- recida eine Nationalkonferenz ab, in der die Verteilung des Grundbesitzes der Kirche beschlossen wurde.

Auf Seite der Demonstranten!

Der päpstliche Nuntius in Rio de Janeiro, Sebastiano Baggio, steht energisch auf seiten der Fortschrittler. Die brasilianische Presse meldete, die Regierung habe beim Vatikan seine Abberufung verlangt, eine Meldung, die von der Regierung als abscheuliche Intrige zur Verschärfung des Konfliktes „dementiert“ wurde. Dagegen kämpfte der Nuntius in Buenos Aires, Humberto Mozzoni, gegen die fortschrittlichen Priester. Nach einem vielbeachteten Hungerstreik in der Kirche „Cristo Obrero“ („Arbedterchristus“) in Cordoba hat er zur Maßregelung der dortigen Priester ebenso beigetragen wie zu der Absetzung des führenden „Arbeiterpriesters“

Podestà. Während bisher die Mehrheit der argentinischen Kirche — im Gegensatz zu der brasilianischen — im Einvernehmen mit dem Präsidenten General Juan Carlos Ongania — auf der präkonziliaren Haltung beharrt und auch auf der letzten „CELAM“-Tagung in Mar del Piata die Beschlüsse über eine konkrete Agrarreform zu Fall brachte, deutet ein kürzlicher Vorfall auf eine Richtungsänderung auch innerhalb der argentinischen Kirche.

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