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Die im Bundesrat vertretenen Herzogtümer und Länder

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Verehrtester!

In Kürze werden Sie als Diplomat in Österreich akkreditiert sein und wünschen noch schnell vor Ihrer Ankunft einen kurzen Exkurs über die politische Struktur Österreichs zu erhalten. Verehrter Freund, das ist schneller gewünscht als getan. Ihr hauptsächliches Wissen über Österreich bestünde darin, so schreiben Sie, daß Sie wissen, es heiße Österreich, sei einmal groß und eine Monarchie gewesen und sei jetzt klein und eine Republik. Ja, wenn die Dinge so einfach lägen! Wohl gibt es schon fast ein Jahrtausend Österreich als Staat, aber die offizielle Bezeichnung für diesen Staat als „Österreich“ gibt es erst seit 1915. Bis zu diesem Zeitpunkt hieß es offiziell „Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ und nur im Untertitel und sozusagen inoffiziell wurde es einmal Zis-leithanien und manchmal sogar Österreich genannt. Sie behaupten, der erstere Titel wäre keine Bezeichnung für einen Staat? Sie werden sich in Österreich noch an verschiedenes gewöhnen müssen. Vor allem nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß unser Land zwar jetzt offiziell Österreich heißt, aber inoffiziell den Untertitel führen sollte „Die im Bundesrat vertretenen Herzogtümer und Länder“, welcher sein Wesen viel richtiger ausdrücken würde. Sie sind sicherlich über das Wort Herzogtümer erstaunt. Aber darüber später. Sie fragen gewiß, was der „Bundesrat“ sei? Das ist die zweite Kammer des österreichischen Parlaments, beschickt von den Länderparlamenten. Denn Österreich, das wissen Sie, besteht aus neun Bundesländern, von denen jedes seine Regierung und sein eigenes Parlament besitzt. Der Bundesrat, der, wie schon gesagt, von den Länderparlamenten beschickt wird, stellt eine Vertretung der Länder im Gesamtparlament dar. Aber er ist nur ein „Rat“, kein „Bundestag“. Er kann praktisch, wie schon sein Name sagt, nur Ratschläge an die Regierenden erteilen, ohne eine Garantie zu haben, daß dieselben seine Ratschläge auch nur anhören.

Sie sind schon etwas verwirrt? Beginnen wir deshalb noch einmal von vorne: Das heutige Österreich, offiziell eine demokratische Republik, ein Bundesstaat, sollte sich richtiger bezeichnen mit dem Titel „Die im Bundesrat versammelten Herzogtümer und Länder“. Warum? Weil die einzigen politischen Realitäten von Dauer, die es in Österreich gibt, die österreichischen Länder sind. Österreich hat vieles im Laufe seines geschichtlichen Daseins mitmachen müssen, fast alle geschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Formen und Realitäten haben sich geändert, das einzige, was alles immer wieder überdauerte, waren diV österreichischen Länder, also Nieder- und Ober Österreich, Tirol, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg usw. Als Hitler Österreich nicht nur auslöschte, sondern den anfangs verwendeten Ausdruck „Ostmark“ auch- noch verbot, waren das einzige, was von Österreich auch offiziell noch weiterbestand, die österreichischen Länder. Sie überdauerten, Hitler ebenso wie sie die Folgen der Schlacht am Weißen Berg überlebten, Wie sie den Zentralismus eines Joseph II. und der frühen franzisko-josephinischen Epoche überdauerten.

Wenn es diese Länder nicht gäbe, gäbe es heute kein Österreich. Denn 1918, als die Monarchie zerbrach, erklärten die Länder, daß sie nur auf Grund der Pragmatischen Sanktion von 1713 vereint gewesen seien, und da dieses Band nun fortfalle, könnten sie sich frei entscheiden, was mit ihnen zu geschehen habe. Sie müssen nämlich wissen, verehrter Freund, daß die Habsburger über die „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ nicht als Kaiser von Österreich regierten. Dies ist ein Titel, der jeweils dem Chef des Hauses Habsbusg gebührt, ist aber nicht die Rechtsgrundlage für die Herrschaft über diesen Länderhaufen gewesen. Die Habsburger herrschten vielmehr über ihre Länder als König von Böhmen, Herzog von Österreich, Herzog von Steiermark, gefürstefer Graf von Tirol, Herr von Triest usw.

Es wird Ihnen schon langsam schwindlig? Das imfht nichts, es kommt noch ärger. Als 1918 also die Länder erklärten, sie könnten nun frei entscheiden, was mit ihnen geschehen solle, verfiel die mehr oder minder zentralistisch gesinnte Regierung Renner auf den genialen Gedanken, die einzelnen Länder Österreichs „einzuladen“, Österreich beizutreten. Sie spekulierte dabei nicht unberechtigt auf das österreichische Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Länder, die zwar auf das zentralistische Wien gelegentlich böse waren, aber aus irgendwelchen Gründen des Unterbewußtseins sich von Wien nicht trennen können. Die Spekulation der Regierung Renner erwies sich als richtig, die Länder erklärten ihren Beitritt zu Österreich, wodurch dieses Österreich neu geschaffen wurde. Dabei geschah etwas Köstliches, das wiederum nur in Österreich passieren kann: man vergaß Niederösterreich „einzuladen“, Österreich beizutreten. Niederösterreich gehört somit eigentlich rechtlich gar nicht zu Österreich, und es ist nur ein Glück, daß in diesem schönen Lande keine rabulistisch denkenden und mit allen Wassern des Staatsrechtes gewaschenen Madjaren wohnen, die diese Tatsache sofort ausnützen würden, um sich zumindest von jeder Steuerzahlung zu drücken, sondern gutmütige Niederösterreicher, die stillschweigend über diesen Formfehler hinweggingen. Ähnlich wie 1918 war es nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945:auch damals waren es wieder die österreichischen Länder, die als einzige politische'Realitäten das Chaos der Hitler-Zeit überstanden hatten, aus ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl sich zu einem neuen Österreich bekannten,

Österreich ist somit eine Union von Ländern Von im Grunde sehr selbständigen Ländern, wie es besonders scharf der Artikel 1 der Verfassung von Vorarlberg ausdrückt, der sagt: „Vorarlberg ist ein selbständiger Staat.“ Vielleicht wäre es richtig, unser Land als „Vereinigte Staaten von Österreich“ zu benennen. Aber dieser Titel wäre zu unromantisch und deshalb ist es viel schöner, als richtigen Titel für Österreich vorzuschlagen „Die im , Bundesrat versammelten Herzogtümer und Länder“. Jetzt.geht ihnen das Wort Herzogtümer endgültig auf die Nerven. Darf ich es Ihnen erklären? Sie kommen doch über Salzburg nach Österreich. Gehen Sie in der schönen Stadt ein wenig spazieren und schauen Sie sich auch den Sitz der Landesregierung, den Chiemseehof, an. An diesem Gebäude werden Sie das offizielle, heute gültige Wappen des Landes Salzburg sehen, gekrönt von einem — Herzogshut. Ihnen bleibt jetzt der Mund offen? Das wird Ihnen in Österreich noch öfter widerfahren. Vielleicht erhalten Sie im Laufe Ihrer kommenden Tätigkeit einmal Schreiben von der steirischen oder oberösterreichischen Landesregierung. Immer werden Sie als Briefkopf das Wappen des Landes mit dem Herzogshut finden. Wie aber, so frage ich Sie, kann ein Land einen Herzogshut im Wappen führen, ohne wirklich ein Herzogtum zu sein? Sie lächeln? Gewiß, diese Argumentation klingt nach Sophistik. Wenn Sie aber einmal Österreich näher kennengelernt haben, dann werden Sie sehen, daß die Chefs der Länder, die Landeshauptleute, tatsächlich so etwas sind wie Herzöge oder Grafen im frühmittelalterlichen Staat. Diese Landeshauptleute stellen eine gewaltige Macht dar, denn sie repräsentieren die dauerhafteste politische Realität, die es in Österreich gibt: die Länder. Und wenn der Bundesrat, die zweite Kammer des Parla-, ments, zwar gar keine Macht hat, so stellt dagegen eine Zusammenkunft der Landeshauptleute Österreichs eine gewaltige Macht dar, einen echten „Bundestag“, und keine Bundesregierung würde es wagen, einer energischen Fronde dieser „baronets“, dieser „etats unis“, ernsthaften Widerstand zu leisten. Allerdings, die kluge österreichische Bürokratie vermochte auch diesen „baronets“ einige Fesseln anzulegen. (Die österreichische Bürokratie ist neben den Ländern die zweite politische Realität, die alle Katastrophen überdauerte. Während man 1918 in Deutschland sagte, „der Kaiser ging, die Generale blieben“, konnte man nach 1918 in Österreich sagen, „der Hof verschwand, die Hofräte blieben“. Die Stärke dieser Bürokratie ist ihr hervorragendes Funktionieren sowie ihre menschliche Handlungsweise, die sie in allen Ländern und zu allen Zeiten beliebt machte.) Diese kluge Bürokratie legte den österreichischen „Herzögen“ insofern sehr wirksame Fesseln an, indem sie den Landeshauptleuten auch noch die Würde (es ist eher eine Bürde) eines Statthalters für „Wien“ zuerteilte. Sie müssen nämlich wissen, verehrter Freund, daß es bis 1918 in den „im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“ eine doppelte Verwaltung gab: die autonome der Länder, repräsentiert jeweils durch den Landeschef, und die zentralistische, repräsentiert durch den Statthalter. Diese Doppelgeleisigkeit hat man abgeschafft und die Landeshauptleute auch zu Statthaltern gemacht, die nun in gewissen Fällen den Rang eines Staatssekretärs der Bundesregierung bekleiden und dem jeweiligen Ressortminister unterstehen. Wodurch die eine oder andere Fronde schon im Keim erstickt ist.

Wenn Sie, hochverehrter Freund, nun nach Österreich kommen und Ihnen im Laufe Ihrer' Tätigkeit immer wieder versucht werden wird, zu erklären, wer in Österreich die wirkliche Macht darstelle, dann lächeln Sie und glauben es nicht. Denn Sie wissen nun, daß die einzige echte politische Realität in Österreich die Län-fder' sindr-defen Existenz bisher noch kein geschichtliches Ereignis beseitigen konnte. Aber verraten Sie hieifiahdem. daß Sie dieses Geheimnis Österreichs wissen. Nehmen Sie vielmehr jede andere Macht auch ernst; je ernster man sie nimmt, desto weniger ernst ist sie. Womit ich verbleibe

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