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Die Intellektuellen und der Staat

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In den Erfahrungen und Leiden der letzten Jahre spielen vielleicht die größte Rolle die Überwertung des Staatsbegriffs, die Überspannung der’Forderungen, die der Staat an den Menschen stellte, aber auch die Maßlosigkeit, mit der die Menschen selbst sich dem Staate hingaben, ja, sich für, ihn hinopfern ließen, so daß für Glück und Entfaltung der einzelnen nichts übrigblieb. Es ist , der aüto- ritäre Staat, der bei uns die, freie Persönlichkeit beengte, in seiner totalitären Form zu ersticken drohte und jenseits unserer Grenzen vielfach wohl schon vernichtet hat.’ Wenn der patriotische Japaner im Einmannboot, sich selbst vernichtend, auf den Feind stürzte, war unsere Bewunderung nicht ungeteilt; jetzt sehen wir mit’Schaudern, wie sich ganze Völker in Termitenstaaten verwandeln, in denen der Sinn für menschliche Freiheit und Würde erloschen ist.

Von zwei Seiten erhebt sich im Abendlande Widerspruch gegen diese Entrechtung des Individuums, von seiten derer, die etwa mit Benedetto Croce in der ungebundenen Freiheit das Allheilmittel für den Fortschritt erblicken, , und von seiten der Religion, die in der Verantwortung des Menschen vor seinem. Gew.issen und vor Gott die Autonomie des Individuums verankert sieht. So stehen heute die beiden stärksten Faktoren menschlicher Geschichte, die sich seit Jahrhunderten bekämpften, in einem auffallenden Bündnis. Aber es bedurfte nicht dieser theoretischen Bekämpfung. Die millionen- fadie Verletzung der . Menschenrechte durch den Staat hat ‘eine Stärkung des Individualbewußtseins und eine Reaktion zur Folge gehabt, die nachgerade für unsere Zukunft gefährlich wird.

Es ist ja kein Wunder, daß in den Massen Respekt und Hingabe für den Staat untergingen. Umfang und Gestalt des Staates, seine Symbole und seine Formen haben jäh gewechselt; seine Beamten mußten in kurzer Frist den verschiedensten Systemen Treue schwören. Was die Autoritäten verkündeten, hat siA nur zu oft als Irrtum, ja als Betrug entpuppt. Die strengsten Gesetze wurden durch gegenteilige abgelöst. Gericht und Polizei haben bald die einen, bald die anderen verfolgt. Der Staat hat für nationale Ziele das Volk zu unermeßlichen Blutopfern aufgerufen, die begeistert gezollt wurden; die Zerstörung der Städte, Hunger und die ärgsten Drangsale wurden in patriotischer Ergebung erduldet. Und was war der Lohn? Die im ersten Weltkriege Gefallenen wurden noch durch Kriegerdenkmale geehrt. Die Helden des zweiten Weltkrieges gelten bestenfalls als Menschen, die für eine falsch Idee geopfert wurden. Di Heimkehrer werden gefragt, warum sie nicht davongelaufen sind. Der härtesten Pflichterfüllung wird die Anerkennung versagt. So ist der Staat im Laufe der Zeit so gut wie allen einmal Feind gewesen und darum sind jetzt sehr viele zu Feinden des Staates geworden, den zu schädigen für erlaubt, für klug, ja für geboten erachtet wird Daß solche Erscheinungen auch unter jungen Akademikern verbreitet sind, deren Sturz aus allen Himmeln berechtigter Erwartungen und Ansprüche am tiefsten war, ist nicht zu verwundern.

Zu verwundern ist vielmehr, daß sich doch eine gewisse Kontinuität des Moralischen in den geistigen Anlagen erhalten hat und daß sich immer wieder ordnungsbereite Elemente, pflichtbewußte Beamte, disziplinierte Polizisten usw. finden, die, unbekümmert um die hoffentlich und wahrscheinlich weit übertriebenen Gerüchte von Korruptionsund Protektionswirtschaft, mit reinen Händen, innerlich, also auch wenn keine Gefahr des ErwisAtwerdens droht, bereit sind, nach den Vorschriften zu handeln und dem Staate aktiv und passiv ehrlich zu dienen. Es ist aber höchste Zeit, daß diese Reste gepflegt werden. Denn wie will man einen modernen Staat mit seinen verwickelten Aufgaben führen, wenn die Steuenmoral, die Wahrheitsliebe, der Gehorsam vor dem Gesetz nicht weiter reichen als die Kontrolle?

Unser Staat erscheint heute vielen noch als ein farblos-abstraktes Gebilde, als eine rein Nützlichkeitserscheinung, der höchstens durch das Heimatgefühl, durch di Liebe zu unserer Landschaft und zur stammverwandten Art etwas von den notwendigen Gefühlsmomenten beigefügt wird. Eine wesentliche Unterstützung wird diesem Gefühlskomplex au® der Errichtung einer Staatswehr erwachsen, die nun einmal da sinnfälligste und der Masse wohl unentbehrliche Symbol des Staates ist, dessen Ehr geradezu mit der Ehre seines Heeres identifiziert wird. Wohl wird diese Auffassung mitunter als militaristisch abgelehnt. Allein, solange die öffentliche Gewalt von souveränen Gemeinschaften gehandhabt wird, wird und muß der Grundpfeiler der staatlichen Ordnung auch als Repräsentant des Staates angesehen werden.

Wir sind in zwei Weltkriegen besiegt worden; es ist begreiflich, daß die Forderung nah einer heroischen Opferbereitschaft für den Staat bei uns zunächst nicht populär sein kann. Allein, man vergleiche die Pflege des Wehrgedankens in der Schweiz oder das Interesse für das Heerwesen in den Niederlanden oder in Schweden, Staaten, die gleich Österreich aus Weltmächten zu Kleinstaaten geworden sind, um zu begreifen, daß Staaten — wie Menschen — nur mitzählen, wenn sie bereit sind, sich und ihr Land zu behaupten.

Di soldatischen Tugenden weichen denn auch von den statsbürgerlichen im Wesen nicht ab. Mut und Pflichttreue, Kameradschaftsgeist, Gefolgs- und Opferbereitschaft sind bald mehr, bald weniger in jedem Berufe notwendig. Die Grundlage und da® treibende Motiv einer vom Sondernutzen absehenden, gemeinnützigen Haltung kann aber nur die Liebe zum Vaterland sein, di die Achtung vor seinen Gesetzen in sich begreift.

Vaterlandsliebe: das Wort ist ausgesprochen, das bei der heutigen Sachlage leichter in stiller Stube zu schreiben, als in Gesellschaft öffentlich auszusprechen ist. Man wird leicht lächerlich, wenn man so große Worte gebraucht. Bei offiziellen Anlässen ist das etwas anderes. Da wird dem Redner gern konzediert, daß er so reden muß, und öffentliche Redner haben in Österreich seit jeher vom Vaterland mit leiser Ironie gesprochen. Hier aber soll allen Ernstes davon geredet werden. Es ist erschreckend, wie sehr das Staatsbewußtsein, das von Gemeinsinn und Gesetzestreue nicht zu trennen ist, besonders in manchen Schichten unserer Jugend abhanden gekommen, ja unverständlich geworden ‘ ist. Es soll hier nicht auf Denker und Dichter verwiesen werden, die das menschliche Ideal nur in seiner nationalen Ausprägung verwirklicht sehen und die höchsten Ziele nur im Dienste am Volk erblicken. Die ganze Pflege der antiken Klassiker wäre eine Verirrung, wenn das, worin si einig sind, nichts wert wäre, in dem Sinn für den Staat. Es sei gesagt, daß alles, was das Leben unseren jungen leuten ihrer Meinung nah schuldig bleibt, ihnen nur vom Staate kommen kann.

Der geistige Faktor wird in Staat und

Wirtschaft heute weit unterschätzt. Sein mißhandelten Träger mögen von der Klasse lernen, die sich vor fünfzig und mehr Jahren mit Recht für ausgebeutet erachtet , von der Arbeiterschaft. Durch ihr Umschwenken vom antistaatlichen Standpunkt, durah ihr Eintreten für den Staat in den Augusttagen 1914 und in der Folge hat sie in Deutschland und Österreich den Grund für eine Stellung im Staate gelegt, die sie nicht mehr preisgegeben hat. Heute gibt es wohl nur wenige Arbeiter, die an der politischen Ent wicklung uninteressiert wären, wie ich dessen viele Intellektuell verblendeterweis rühmen. Es ist gerade für den geistigen Arbeiter selbstverständliche Gemeinschaftspflicht, soweit sein Einfluß irgend reicht, dem Staat und allem öffentlichen Wesen die Form zu geben, die seinem Ideal entspricht, und vor allem den Kampf gegen da® Unrecht niemals aufzugeben. Interesselosigkeit gegenüber dem Staate bedeutet gerade für den Kulturmenschen Mitschuld am Niedergang.

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